Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter

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Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman - Tessa Hofreiter


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      Nein, das hatte Gisbert nicht, aber das ging hier niemanden etwas an.

      »Wir machen jetzt noch ein paar Fotos und dann kümmerst du dich um deinen Kram«, erwiderte Gisbert scharf.

      Seine Freunde zückten ihre Handys und dokumentierten Gisberts angebliche Heldentat. Wendelin und Streuner hielten sich im Hintergrund und warteten, bis die lärmende Männergruppe abgezogen war.

      Wendelin schaute sich das erlegte Tier und die Umgebung sehr genau an. Dann telefonierte er mit dem Förster und dessen Frau, der Tierärztin. Er wollte, dass sich beide den Keiler hier vor Ort anschauten.

      Lorenz und Rieke waren ebenso empört wie ihr Freund, als sie erfuhren, wie Gisbert mit dem Tier umgegangen war. Er hatte die Innereien nicht entfernt und das Wildschwein bei den sommerlichen Temperaturen einfach liegengelassen. Der Zersetzungsprozess hatte begonnen und das Fleisch war jetzt nicht mehr zu verwerten.

      »Schau dir bitte die Verletzungen durch die Falle und die Befreiungsversuche genau an und sag uns dann deine Meinung«, bat Wendelin die Tierärztin.

      Rieke untersuchte das schwer verwundete Tier und bestätigte das, was sich der Förster und sein Mitarbeiter bereits gedacht hatten. »Ich glaube nicht, dass sich der Keiler selbst aus der Falle befreit hat«, sagte sie bestimmt. »Und selbst wenn, dann hätte er sich mit dem zertrümmerten und zerfetzten Bein nicht mehr durch den Wald schleppen können. Vom Weg, auf dem dieser Gisbert ihn angeblich gesehen hat, bis zu dieser Stelle sind es mindestens sechshundert Meter. Das kann der Keiler in diesem Zustand unmöglich geschafft haben.«

      »Und schaut euch hier die Umgebung an. Der Waldboden ist aufgewühlt, die Baumrinde abgerissen, Gras und niedriges Gebüsch sind zertrampelt. Alles sieht so aus, als habe das Wildschwein lange und verzweifelt um sein Leben gekämpft. Das heißt, die Falle muss genau hier gewesen sein«, sagte Lorenz sehr ernst. »Und wenn wir jetzt an die Geschichte denken, die Gisbert uns erzählt hat, dann kann das nur heißen, dass er selbst die Falle ausgelegt hatte.«

      Wendelin nickte grimmig. »Genauso sehe ich das auch.«

      »Nur beweisen können wir es nicht«, grollte die Tierärztin.

      »Noch nicht!«, erwiderte ihr Mann. Er schaute seinen Mitarbeiter eindringlich an. »Für die Zeit, in der diese seltsamen Gäste hier sind, bist du von allen Forstarbeiten befreit, Wendelin. Ich möchte, dass du dich nur um das Jagdschlösschen und die schrägen Vögel dort kümmerst. Wenn Gisbert von Acker der Fallensteller ist – und davon gehen wir aus – dann kommen wir ihm auch auf die Schliche. Irgendwo wird er die Fallen aufbewahren, und ich kann mir vorstellen, dass du sie findest.«

      »Ich gebe mir Mühe«, antwortete Wendelin entschlossen. »Der Kerl soll nicht einfach so davonkommen.«

      »Nein, wir alle halten die Augen offen«, sagte Rieke. »Und Kathi ist ja auch den ganzen Tag auf der Hütte, vielleicht fällt ihr etwas auf.«

      Sie ging zu der Eiche hinüber und brach einige kleine Zweige ab, den sogenannten Bruch.

      Nach altem Brauch verabschiedeten sie so den Keiler, dann tat Wendelin schweren Herzens seine Pflicht und kümmerte sich um die Hauer des Tieres, die Gisbert als Trophäe haben wollte. Wenn es nach ihm ginge, würde der Mann sie niemals bekommen! Danach bedeckten sie das Wildschwein mit Zweigen und Laub und gaben es dem Wald und seinen Bewohnern zurück.

      *

      Unten im Dorf wurde der Feierabend eingeläutet. Sogar der Landdoktor konnte seine Praxis rechtzeitig schließen, und es lagen keine Hausbesuche an, sodass er und Anna wie geplant ins Försterhaus fahren konnten. Rieke und Lorenz hatten Freunde zu Käse und Wein eingeladen. Sebastian und Anna trafen dort Elli, die Besitzerin des Bergmoosbacher Buchladens, ihren Mann Till und Valentin, den Schulleiter, und dessen Freundin Mimi, der ein Friseursalon gehörte.

      »Wie friedlich hier alles ist«, seufzte Mimi und kuschelte zufrieden ihren Kopf gegen Valentins Schulter. »Man kann sich kaum vorstellen, wie angespannt inzwischen die Stimmung im Dorf wegen der Wilderei ist. Ein Wort gibt das andere, und manchmal mag ich meinen Kundinnen schon gar nicht mehr zuhören. So gefährlich geht es in unseren Wäldern nun doch nicht zu.«

      »In der Schule ist es genauso«, sagte Valentin. »Den Kindern wird eingeschärft, unter keinen Umständen vom Weg abzuweichen. Das ist grundsätzlich nicht verkehrt, aber inzwischen trauen sich manche Angsthasen nicht einmal mehr, in der kleinen Grünanlage zwischen Schule und Kirche zu spielen. Ich fürchte, da haben besorgte Eltern es übertrieben.«

      »Habt ihr denn schon irgendwelche Anhaltspunkte?«, erkundigte sich Sebastian interessiert.

      »Ja, haben wir, aber da es noch keine konkreten Beweise gibt, können wir noch nicht an die Öffentlichkeit gehen«, antwortete der Förster.

      »Ich hoffe, dass sich das bald ändert, denn die Verdächtigungen gegen Wendelin nerven mich gewaltig«, sagte seine Frau ärgerlich. »Diese Notburga Krämser hetzt die Leute geradezu auf mit ihren Sticheleien.«

      »Ich weiß, was du meinst«, stimmte die Buchhändlerin Elli zu. »Wendelin hat gestern einen schönen und nicht ganz preiswerten Bildband gekauft. Das hat Burgl durchs Schaufenster gesehen, ist ins Geschäft gekommen und wollte mich darüber ausfragen, ob es mir nicht komisch vorkommt, dass Wendelin für ein Buch so viel Geld ausgeben kann.«

      »Meine Güte!« Rieke rollte mit den Augen. »Wann wird diese Frau endlich mal den Mund halten? Ich hoffe, sie richtet nicht noch größeren Schaden an.«

      »Das wäre schlimm für Wendelin. Er hat endlich seinen Platz im Leben und auch hier in Bergmoosbach gefunden. Das darf man ihm nicht kaputtmachen«, sagte Sebastian.

      Die Hunde des Forsthauses schlugen an, und ein Mann kam zögernd in den Garten. Es war Wendelin mit Streuner. »Entschuldigt die Störung, wenn ich vorher gesehen hätte, dass ihr Gäste habt, wäre ich nicht hereingekommen«, sagte er höflich.

      »Du störst überhaupt nicht«, erwiderte Lorenz freundlich. »Was gibt es denn? Hast du etwas Neues bemerkt?«

      »Nein, noch nicht«, antwortete Wendelin. »Streuner und ich waren nur auf unserer Abendrunde, und ich wollte kurz nachfragen, wie es dem jungen Fuchs geht.«

      »Oh, schon viel besser.« Die Tierärztin strahlte. »Das Bein heilt sehr gut, und der Kleine ist schon wieder richtig frech. Nicht mehr lange, und wir können ihn wieder auswildern.«

      »Das ist schön«, antwortete Wendelin erleichtert. »Dann werde ich jetzt mal wieder gehen. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.«

      »Nicht doch, magst du dich nicht noch zu uns setzen?«, lud Lorenz ihn ein.

      Nach kurzem Zögern setzte sich Wendelin auf die Bank neben Ellis Mann Till, der ein bekannter Krimiautor war. Man sprach über das Jagdschlösschen und die Gäste, die sich jetzt dort einquartiert hatten.

      »Das scheinen ja ziemlich seltsame Jäger zu sein«, sagte Till. »Wer weiß, was sich dort noch so alles abspielt? Das könnte Stoff für einen neuen guten Heimatkrimi abgeben.«

      Alle lachten über diese Fantasterei, aber Wendelin wurde sehr schnell wieder ernst und tauschte einen beredten Blick mit dem Förster und seiner Frau. So unrecht hatte der Schriftsteller gar nicht, man konnte es nur noch nicht beweisen.

      Wendelin verabschiedete sich als Erster aus der Runde und ging ins Dorf zurück, den treuen Streuner immer dicht auf den Fersen. In Gedanken war er bei Kathi, die übermorgen Geburtstag hatte. Er wusste, dass sie Bäume besonders liebte, und hatte einen wunderschönen Bildband mit beeindruckenden Fotos von Wäldern und einzelnen Bäumen gekauft. Dazu ausgefallenes Geschenkpapier, das Elli ihm empfohlen hatte, und eine grüne Seidenschleife. Er wollte Kathi von Herzen gern eine Freude machen und stellte sich ihr Gesicht vor, wenn sie das Päckchen öffnete. Elli hatte angeboten, das Buch für ihn zu verpacken, aber er wollte es selbst tun.

      Mit dem Ergebnis war er dann nicht so ganz zufrieden, aber es sah insgesamt nicht schlecht aus. Unter die grüne Schleife wollte er noch einen frischen Farnwedel aus dem Wald stecken, aber den wollte er erst am Geburtstag selbst


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