Beim Zwiebeln des Häuters. Gerhard Henschel

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Beim Zwiebeln des Häuters - Gerhard Henschel


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das Verschwinden Osteuropas nur den Beginn vom Ende einer bestimmten Zivilisation einläutete.« Wie meinen? »Das Desinteresse / die Unkenntnis des Westens am Osten insgesamt wird sich rächen.« Wie der Ministerialrat Boeger darauf verfallen konnte, dass Lutz Rathenows Gestammel eine Werbung für die Kenntnis »am Osten« sei, steht dahin.

      Lutzreif schreibt auch Uwe Saeger (»Die Umbenennung des Feuers«): »Das Berufliche an sich, und damit meine ich das Schreiben, den Vorgang, wo das Ich sich in der Notation des Stoffes realisiert, ist unverändert; die für mich nötige Hermetik des Schreibenden-Seins ist ein nicht antastbarer Imperativ meiner Existenz.« Es ist unwahrscheinlich, dass irgendwer den Imperativ der Existenz von Uwe Saeger antasten möchte. Doch er muss damit leben, dass sein Genie von dem der Dichterin Gabriele Stötzer weit übertroffen wird.

      Den Untergang der DDR, betont sie, »fand ich als gerecht«, und dann breitet sie 22 Seiten lang ihre kleingeschriebenen, ohne Punkt und Komma zusammengestoppelten Fickgeschichten aus – »ich ficke dich ich kann mit deinem schwanz in mir spielen«, hört, hört, »dabei ist mein fickfleisch schon dem süffizianten geschmack der sich durch dein lecken in mir multipliziert ich spüre es sprießen unsere geilheit bringt mich hoch ein orgasmus tänzelt ich verdränge ihn und der druck bringt den schmerz noch mal hoch den der vergangenen jahre vor der wende 4 jahre ohne ficken gelebt ...«

      Minsierialrat Boeger vertritt die Auffassung, dass die Texte der Anthologie einen Beitrag »zur Erziehung zum Frieden und zur gewaltfreien Konfliktlösung« leisteten, doch in Wirklichkeit ergeben sie nur einen eigenartigen, von Stümpern gestrickten Jammerlappen, seltsam miteinander verknüpft und verwoben.

      2.230 Seiten Makulatur für Lehrerbildner – der Bund der Steuerzahler sollte sich der Sache annehmen.

      Titanic 10/1995

      Trompete des Volksempfindens

      Kulturkritik mit Klaus Rainer Röhl

      Der Leserschaft »zur vergnüglichen Lektüre« empfiehlt Klaus Rainer Röhl sein »Deutsches Phrasenlexikon«. »Den Lesern dieses Buchs empfehle ich deshalb als Therapie: Erst mal ablachen.« Was Eckhard Henscheid mit seinem Wörterbuch »Dummdeutsch« gelungen ist – Begriffe der aktuellen Schaumsprache aufzuführen und der Lächerlichkeit preiszugeben –, musste Röhl, der das meiste einfach aus Henscheids Buch übernommen hat, missglücken, denn ihn leitet allein sein politisches Ressentiment. Röhl passt die ganze Richtung nicht.

      Wenn von »Streitkultur«, »Politikverdrossenheit« und »Emanzipation« die Rede ist, glaubt Röhl polemisch leichtes Spiel zu haben. Viel Mühe hat er sich jedenfalls nicht gegeben: Die Mehrzahl der Begriffe und Wendungen qualifiziert er schlicht und einfallslos als »toskanisch«, »toskanadeutsch«, »frühtoskanisch«, »alttoskanisch«, »hochtoskanisch«, »nordtoskanisch«, »medientoskanisch«, »gewerkschaftstoskanisch« oder »realtoskanisch«. Wenn er dann auch noch »grüne Toskanatantchen« verspottet, hält sich die angekündigte Vergnüglichkeit in engen Grenzen.

      Gleich elfmal präsentiert er eine Gleichung, die schon beim ersten Mal weder komisch noch erhellend, sondern nur vulgär war – »Autonomendeutsch (= Scheißdeutsch)« –, und mangels Pointen schließt er seine Einträge mit Floskeln ab: »Noch Fragen?« – »Noch Klärungsbedarf?« – »Alles klar für die nächste Party?«

      Und als sei er niemals der Herausgeber von konkret gewesen, spricht Röhl jetzt herablassend »von winzigen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheinenden altkommunistischen Sudelblättchen«. In Pardon, schreibt er, hätten Robert Gernhardt und Friedrich Karl Waechter »eine freischwebende Blödel-Ecke namens ›Wiese‹ mit Beiträgen« versehen. Möglicherweise meint er die unter dem Kürzel »WimS« bekannte, ja: berühmte Kolumne »Welt im Spiegel«. Eine »Wiese« hat es in Pardon nie gegeben. Mit Fakten geht Röhl überhaupt generös und erstaunlich lax um. Harry Rowohlt, teilt er mit, veröffentliche in der Zeit eine Kolumne, »in der der kauzige Permatrinker aus Hamburg-Eppendorf auf gestelzte Art zum Ausdruck bringt, dass er fast alle übrigen Menschen bekloppt findet«. Auch hier hat Röhl sein Ressentiment dem Augenschein vorgezogen.

      Nicht einmal der Spott über Esoteriker und Selbsterfahrungsgruppen ist so billig zu haben, wie durchschnittliche Kabarettisten und neuerdings auch Klaus Rainer Röhl sich das vorstellen. Wenn er sich über »Willensänderung durch Fußreflexzonenmassage« lustig zu machen versucht, offenbart er nur seine Ahnungslosigkeit. Jene obskuren Gestalten, die sich »gruppendynamischer, die Seele aufrüttelnder Tanzgymnastik zu fernöstlicher Musik und gemeinschaftlich betriebenen Zärtlichkeitsübungen (altdeutsch: Ringelpietz mit Anfassen, neudeutsch: rudelbumsen)« hingeben, bevölkern eher Röhls Phantasie als sein teures Vaterland.

      Früher war alles besser. »Doch bald etablierten die Wächter der political correctness einen Tugendterror, der sich mit dem der Jakobiner durchaus messen könnte«, stellt er fest. Diesen verblüffenden Befund hat der Zeichner Klaus Böhle für das Lexikon ins Bild gesetzt: Eine seiner Karikaturen zeigt die Köpfe von Philipp Jenninger und Stefan Heitmann im Strohkorb vor der Guillotine.

      Röhl sieht, mitten unter uns, Köpfe rollen, und er registriert nicht nur »Knoblauchkränze« und »Asylantengruppen«, die ihm »durch ihre Tänze oder ihre in Parkanlagen gegrillten Knoblauch-Klopse« unangenehm auffallen, sondern auch die »typisch somalisch-afrikanische Bereitschaft, zu plündern«. Und Israel, vermerkt er, da er keine Reputation mehr zu verlieren hat, erhalte aus Deutschland »eine Art Ablass oder besser eine ›Ablöse‹, wie man die fragwürdigen Transaktionen von Zuhältern beim Wechsel eines Mädchens (ab 50 000 DM) oder von Fußballvereinen (ab 500 000 DM) beim Wechsel eines Profis nennt«.

      Gegen das Milieu und die Phrasen der guten Menschen, die sich regelmäßig mit einer Kerze in der Hand und einer Träne im Knopfloch nach Taka-Tuka-Land einschiffen, um die Probleme der Welt zu lösen, ist vieles vorzubringen. Röhl beschränkt sich jedoch auf die Phrasen seines eigenen Milieus, in dem man selbstbewusst Position gegen »Knoblauch-Klopse« bezieht und stolz darauf ist, deutsch zu sein. Hier hat das gesunde Volksempfinden endlich wieder eine genuine Stimme gegen die Verniggerung der Kultur gefunden: »Die Jüngeren himmeln einen Schlagersänger nur an, wenn er zumindest englisch singt, noch lieber spanisch, italienisch, französisch, griechisch, am liebsten lateinamerikanisch oder einen Dialekt von den glücklichen Multikulti-Inseln benutzt (Rap, Rasta). Die Mädchen lassen sich ihre meist zu dünnen blonden Haare, wenn irgend möglich, zu Rastalöckchen aufnudeln und ziehen Jeans nur an, wenn sie aus den USA kommen, während ihre Eltern für eine farbige Bluessängerin am Bildschirm fast zu Boden sinken, wann immer möglich ›beim Türken‹ einkaufen gehen und sich als schönste Gaumenfreude erträumen, Tsaziki ›beim Griechen‹ zu essen ...«

      So primitiv hat uns zuletzt Alfred Tetzlaff die Welt erklärt, als Röhl sein Geld noch mit links verdiente. Heute sind die beiden Politologen ein Herz und eine Seele.

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.12.1995

      Der Bundespräsident, unbehaust

      Ungewohnt offenherzig zog Roman Herzog in seiner Weihnachtsansprache über seine ehelichen Gepflogenheiten her. Man solle andere Menschen nicht leichtfertig als »Betrüger« oder »Mörder« beschimpfen, wie es »uns allen« zum Beispiel »bei Ehestreitigkeiten« immer wieder unterlaufe, sagte der Bundespräsident. Im übrigen, und das dürfte vor allem die Obdachlosen beeindruckt haben, seien »wir doch alle unbehaust in den Veränderungen, die neue politische und gesellschaftliche Probleme, neue technische Entwicklungen, Globalisierungsvorgänge und anderes mehr mit sich bringen«.

      Ein wahres Wort. Oder ist hier etwa jemand »behaust« in den laufenden Globalisierungsvorgängen? Geht das überhaupt? Muss man dafür Miete zahlen? Was kostet der Quadratmeter? Gibt es Kündigungsschutz, und welche Fristen sind zu beachten? Sind Häuser aus Globalisierungsvorgängen spitzgiebelig oder Bungalows? Und wären Häuser aus Liebe nicht komfortabler?

      »Ich baue uns ein neues Haus aus lauter Liebe auf«, sang Peter Alexander einst, und Reinhard Mey griff die Metapher auf: »Manchmal wünscht’ ich, unsere Liebe wär’ ein Haus, und du könntest darin wohnen ...« Schön und gut. Doch die Unbehaustheit des Bundespräsidenten, den seine Frau, wenn er sich mit ihr streitet, der Kapitalverbrechen bezichtigt, sollte uns, bei aller Liebe, zu denken


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