Beim Zwiebeln des Häuters. Gerhard Henschel

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Beim Zwiebeln des Häuters - Gerhard Henschel


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in mein Gesicht. DRECKlocks eigentlich, die können unmöglich nur von Bier und Zuckerwasser so steinhart sein.«

      Wo die Untermenschen ihre Mähne herumschleudern und die tautropfentrunkenen Spinnweben der Märchen und Mythen beschmutzen, tritt schließlich Claus-M. Wolfschlag auf den Plan. Dem Studenten mit dem aparten Vornamen wurde eines Tages »die Gnade zuteil, ›Träger‹ zu sein«, aber nicht etwa Bierkisten- oder Hosenträger, sondern »Träger von seelischen Strömungen, von Ideen, die geistig schon existieren, bevor sie sich bestimmte Körper als Medien suchen«. In Claus-M. Wolfschlags Fall ist es Claus-M. Wolfschlags Körper, den sich die seelischen Strömungen als Medium gesucht haben. Seither sind »keltisches Triskell und germanische Lebensrune« Claus-M. Wolfschlags persönliche Symbole. Er glaubt »an die wundersame Göttlichkeit der Natur«, fordert einen sofortigen »Zuwanderungsstop«, den »Abriß aller Trabantenstädte« und den »Aufbau menschlicher, grüner Orte«. Er hatte einst ein schönes Vaterland: »Doch Seele besitzen die Konsumgüter keine. Der selbstbemalte Schrank einer alten Bauernfamilie drückt mehr Atmosphäre aus als so manches aus dem Möbelmarkt stammende Apartment Frankfurter Großverdiener.« Und er hat einen Traum: »Er handelt von reinen, natürlichen Menschen, denen ideelle Werte mehr bedeuten als Geld und rücksichtslose Konsumbefriedigung. Ich sehe starke, gefestigte Männer, die mit Mut die Würde ihrer Gemeinschaft verteidigen – und tapfere, schöne Frauen mit langem, leuchtendem Haar und ästhetischen Gewändern, bei denen es den Männern zur Ehre gereicht, sie ›Gefährtin‹ nennen zu können.«

      Claus-M. Wolfschlags Traum von willigen Walküren und heftiger Bauernschrankmalerei spielt sich in der grauen Lagune ab: »Ich träume davon, nackt im Main schwimmen zu können – und zehn nackte Mädchen springen mir hinterher.« Doch am Ende erweist sich auch dieser Träger des neuen Heroentums nur als kleinkarierter Bausparer: »Ich hoffe auf Gesundheit, Erfolg, ein Palais mit Pool, an dem sich eine schöne Frau sonnt.«

      So sind sie, die »89er« – mährischer Herkunft, gesamtdeutsch erzogen, charakterfest und immer obenauf. In langen Fuxenstunden haben sie das Volkstum zum Eckstein ihrer Geschlechtlichkeit gemacht. Jetzt träumen sie davon, dass tapfere Frauen mit leuchtendem Haar ihre schöpferische Potenz im Metzgerhandwerk ausagieren. Danach wird im Palais am Pool gefummelt.

      Zauberhaft.

      Was sie wohl als nächstes aushecken? Patrick, Roland, Dieter, Manuel, Michael, Frank, Simone, Ellen und Claus-M. mögen so viele Abenteuer beschieden sein wie Hanni und Nanni! Ich persönlich möchte jedenfalls noch viel Spaß mit den »89ern« haben, bevor sie erwachsen werden.

      Titanic 5/1996

      Johannes Mario Simmel träumt den unmöglichen Traum

      Wenn sie einen populären Roman verreißen möchten, beschreiben deutsche Kritiker das Arbeitszimmer des Autors gern als unsaubere Küche. 1970 verriet Jürgen Eyssen in der FAZ das Geheimrezept, nach welchem Johannes Mario Simmel verfahre: »Man nehme zu denselben Teilen Sex and Crime, mische sie unter kräftigem Rütteln tüchtig durcheinander, gebe eine Prise Vulgär-Sadismus hinzu und garniere das Ganze recht appetitlich frisch mit einigen besonders exquisiten Geschmacklosigkeiten« – fertig sei der neue Simmel. Wenn es so einfach wäre, müsste nach diesem Rezept im Handumdrehen jeder Verlag zu sanieren sein. Die Formel »Man nehme etc.« stimmt natürlich nicht; sie scheint nur gut zu klingen, nach höheren Einsichten in niedere Machenschaften. Welcher Verlag würde einen Lektor einstellen, der zu vulgär-sadistischen Prisen und Geschmacklosigkeits-Garnituren riete?

      Mit Johannes Mario Simmel haben sich die Kritiker nur selten größere Mühe gegeben. Bis ungefähr 1960, als ihm mit »Es muss nicht immer Kaviar sein« der Durchbruch gelang, habe er »glänzende Kritiken« bekommen und nur wenige Leser gefunden, hat Simmel einmal geschrieben. Danach sei die Leserzahl groß und die Kritik meist vernichtend gewesen. Eingehandelt hat er sich Rüffel von allen Seiten, von prüden Sittenwächtern ebenso wie von Linken, als der Vorwurf des Eskapismus noch im Umlauf war. In Frankreich oder in den Vereinigten Staaten sei das anders: »Dort zählt auch, wer eine Geschichte mit aktuellen Bezügen klar und spannend schreiben kann. Dort muss Literatur nicht immer gleich etwas Unsterbliches sein.«

      Freundlichere Kritiker haben Simmel bescheinigt, er produziere »demokratische Gebrauchsliteratur« (Günther Rühle) und verbreite, wie Bertolt Brecht es empfohlen habe, mit List die Wahrheit. Der Leser werde spannend unterhalten und unaufdringlich belehrt, er empfinde Mitgefühl für die Gerechten und Empörung über die Ungerechten, woraus politisches Bewusstsein und soziales Engagement erwüchsen. Das Elend der Welt, Drogensucht, Schwerverbrechen, Rechtsradikalismus, Kriegsgefahr, Korruption und Alkoholismus hat Simmel immer wieder behandelt, natürlich auf andere Art als Freimut Duve früher mit seiner Elends-Taschenbuchreihe »rororo-aktuell«, aber ähnlich wachsam und mit Gespür für aufsehenerregende Missstände.

      Aus den Elendsquartieren, aus Gefängniszellen, Luftschutzkellern oder Suchtkliniken führt die Romanhandlung regelmäßig hinauf in luxuriöse, der Mehrheit unzugängliche Kulissen der Stinkfeinen, wo sich Millionäre und Schönheiten tummeln. Thomas Lieven, der Held in »Es muss nicht immer Kaviar sein«, bevorzugt ausdrücklich »schöne Frauen, elegante Kleidung, antike Möbel, schnelle Wagen, gute Bücher, kultiviertes Essen« – normalerweise stellen sich in Simmels Romanen allerdings gerade die wohlhabenden Genießer als Schurken heraus. Schreckliches und Mondänes wechseln sich auch in billigen Illustrierten ab; auf die Nachricht vom grausigen Fund folgt zuverlässig die Home-Story über den muskulösen Krösus mit seinen antiken Wagen und schnellen Möbeln. Aber weder hiermit noch mit dem erwähnten »Man nehme«-Rezept ist der durchschlagende Erfolg zu erklären oder abzutun, den Simmel bis heute hat.

      Er ist ein liebenswürdiger Mann, ein liberaler Menschenfreund, der krebskranken Kindern hilft, es vor Gericht mit Nazis aufnimmt, sich für Kollegen einsetzt und gewissenhaft Recherchen anstellt, bevor er zu schreiben beginnt, und es wäre wundervoll, ein gutes Wort über seinen neuen Roman sagen zu können – »Träum den unmöglichen Traum« –, doch es ist unmöglich.

      Erzählt wird die Geschichte des alten Schriftstellers Robert Faber. Er kann nicht mehr schreiben, verzweifelt an sich selbst und am Zustand der Welt und will sich das Leben nehmen, wird jedoch im letzten Moment durch einen Anruf davon abgehalten: Faber soll sich um Goran kümmern, sein todkrankes, aus Sarajevo ausgeflogenes, jetzt in Wien darniederliegendes Enkelkind. Die Sorge um Goran führt Faber ins Leben zurück. Er trifft seine Jugendliebe Mira wieder, rekapituliert sein Leben, kann auf einmal wieder schreiben und wird schließlich erschossen, von einem rechtsradikalen Killer, wie es aussieht.

      Robert Faber war auch schon in Simmels erstem Roman »Mich wundert, dass ich so fröhlich bin« der Held. Jetzt ist er Simmels Alter ego, das nicht mehr recht fröhlich sein kann und sogar das Vertrauen in die Sozialdemokratie eingebüßt hat: Faber, so wird berichtet, habe einmal »Kreisky hier und Brandt in Deutschland zu unterstützen versucht«, werde aber nichts dergleichen mehr tun: »Aus auch dieser Traum.« In einem Spiegel-Interview hat Simmel gesagt, er habe mit diesem Roman seine eigene »innere Biographie« geschrieben. Aber auch das Äußerliche, das den Lesern Gelegenheit gibt, in Jet-Set-Phantasien zu schwelgen, hat in dem Roman seine angestammten Platz gefunden.

      Man erfährt, dass Faber in New York im Carlyle zu Gast war, in Madrid im Ritz, auf Capri im Quisisana, in Hamburg im Atlantic, in Los Angeles im Beverly Wilshire, in London im Claridge, in Oslo im Continental, in Cannes im Carlton, in Paris im George V, in Monte Carlo im Hôtel de Paris und in Singapur im Mandarin, aber glücklich hat es ihn nicht gemacht. Das Glück stellt sich erst wieder ein, als Robert Faber und Mira den genesenden Goran betrachten: »Mira und Faber lächelten. Eng aneinandergeschmiegt standen sie auf der Terrasse, sein Arm lag um ihre Schulter.«

      Kinder, teilt einer der Ärzte mit, seien »etwas Wunderbares«, und er liebe sie alle. Das ist schön für ihn, aber nicht für den Leser, der sich von der Lektüre mehr erhofft als wohlfeile Plattheiten. Robert Faber lernt auf seine alten Tage, dass das Universum nur »eine Träne im Ozean« sei, »dass Leben und Mitleidhaben zusammengehören«, dass »die Fähigkeit, intensiv zu trauern«, etwas »unerhört Wichtiges« sei, dass Macht korrumpiere und dass alle Politiker bösartig und korrupt seien, »so wie allen Politikern alle Menschen gleichgültig sind, weil sie nur eines kennen, eines erstreben, eines wünschen: die


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