Beim Zwiebeln des Häuters. Gerhard Henschel

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Beim Zwiebeln des Häuters - Gerhard Henschel


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Stimme schwang Abscheu.« Wenn Abscheu schwingen kann, ist alles möglich.

      Die Politiker sind machtbesessen, die Taxifahrer sind ausländerfeindlich, die Bewegungen schöner Frauen haben »unendliche Grazie, die Geschmeidigkeit eines jungen Tieres«, und die Fernsehsender zeigen, Gipfel der Verruchtheit, das Unglück der Menschen. Faber denkt scharf darüber nach: »Unglück wollen wir haben, Unglück! Welche Einschaltquote hätte wohl eine Sendung mit dem Titel ›Heute habe ich Glück gehabt‹?« Das ist Medienkritik auf dem Niveau des Wortes zum Sonntag, wo die frohe Botschaft gegen die »Reizüberflutung« ausgespielt wird und immer verliert.

      Die Moral der Geschichte ist hausbacken und banal, die Geschehnisse sind vorhersehbar, und der Stil ist armselig. Es leuchten »die abertausend Lichter der Stadt« unter einem »gewaltigen Himmel voller Sterne«, der nur zum Gähnen einlädt, und mitunter wird bloß noch geschlampt: »Nicht mehr der kleinsten Anstrengung mehr gewachsen, dachte er, nun, diese war die letzte.« Verwendet er ausnahmsweise einmal eine originelle Vokabel, rechtfertigt sich der Erzähler sofort: »Und diese vertretenen, alten und ausgehatschten – ja, wie man in Wien sagt, ausgehatschten – schwarzen Schuhe ...«

      Bis zum Bersten mit Pathos gefüllt sind die Sprechblasen, die die Romanfiguren einander an den Kopf werfen. Als ihm sein Großvater zum ersten Mal gegenübertritt, sagt der fünfzehnjährige Goran: »Du bist meine Familie und mein einziges Land ...« Überhaupt besteht der Roman fast nur aus hölzern konstruierten Dialogen – »sagte er«, »sagte sie«, »sagte er«, »sagte sie«, heißt es ein ums andere Mal, so als habe man keinen Roman, sondern bereits das Drehbuch des Films zum Buch vor sich. Ob er einen Roman lesen werde oder nicht, hänge von der Dialogmenge ab, sagte wiederum Vladimir Nabokov: »Dialog kann deliziös sein, wenn dramatisch oder komisch stilisiert oder kunstvoll mit beschreibenden Prosapartien untermischt, mit anderen Worten: überall da, wo er stil- und strukturbildend wirkt. Wo das nicht der Fall ist, ist er nichts als automatisches Maschinenschreiben, amorphes Gebrabbel, das Seite um Seite füllt, über die der Blick des Lesers hinweg gleitet wie eine fliegende Untertasse über die Staubwüste.« Aus solchem amorphen Gebrabbel setzt sich Simmels neuer Roman größtenteils zusammen.

      Unter den Autoren weltweit verbreiteter Bestseller hat vor allem Michael Crichton den drögen, auf die Dauer unerträglichen Schuss-Gegenschuss-Dialogismus auf die Spitze getrieben, ohne die Leser damit zu verschrecken. Auch Johannes Mario Simmel laufen sie nicht davon, obwohl er die Langeweile, die er mit zeitraumfressenden Romandialogen hervorruft, mit den beschreibenden Prosapartien sogar noch zu steigern weiß: »Faber ging ins Bad, duschte noch einmal, putzte lange und gewissenhaft seine Zähne und wechselte die Unterwäsche. Dann zog er eine Flanellhose und einen blauen Pullover an.« Von solchen vollkommen belanglosen, unergiebigen, nichtsnutzigen und schmählichen Mitteilungen wimmelt es im Roman. Dazwischen ziehen sich die Dialoge hin.

      Er wollte »niemals Langeweile mit Literatur verwechseln und immer aufregend schreiben« – das hat Simmel, nach eigener Auskunft, schon als Neunzehnjähriger beschlossen. Der Roman »Träum den unmöglichen Traum«, sein »›summing up‹, eine Summe des Lebens« (Simmel), verströmt allerdings nichts als Ödnis – inhaltlich, moralisch und stilistisch, ohne jede Spannung und Klarheit. Um so rätselhafter ist der Erfolg, der vermutlich auch diesem Roman beschieden sein wird. Der Verlag gibt als Erstauflage 150 000 Exemplare an. Üben stilistische Reizarmut und Fahrlässigkeiten des Lektorats eine besondere Faszination auf die Leser aus? Wollen Sie partout gelangweilt werden? Oder wollen sie einfach nur eng aneinandergeschmiegt auf der Terrasse stehen und intensiv trauern?

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.8.1996

      PW = I mal Dx

      Alles über L. Ron Hubbard

      Ein Gastwirt greift sich an den Kopf: Sein Restaurant ist gähnend leer. Nun schreitet der Ehrenamtliche Geistliche von Scientology ein. Zwischentext: »Nachdem sich der Ehrenamtliche Geistliche die Geschichte angehört hat, isoliert er die Faktoren der Situation, um die wirkliche Quelle des Problems zu finden.« Er begibt sich in die Küche und weist den Gastwirt auf einen Koch hin, der mit kiebiger Miene heimlich Gift ins Essen träufelt. Schon ist ein Polizist zur Stelle und nimmt den Übeltäter fest. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! »Ein Handschlag zwischen dem Ehrenamtlichen Geistlichen und dem Gastwirt besiegelt ihre Freundschaft, während ein neuer, qualifizierter Koch eingestellt wird und viele ständige Gäste das Restaurant füllen, das nun wieder voll aufblüht.«

      So endet einer der Fotoromane, die L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology, seinem »Handbuch für den Ehrenamtlichen Geistlichen« vorangestellt hat. Die Fotoromankulissen sind überaus dilettantisch zusammengenagelt, die Darsteller sind hilflose Amateure, und ihr Outfit – schamlos farbenfrohe Hemden, Kragen bis zur Achselhöhle und wuchernde Kotelettengebüsche, 1975 der letzte Schrei – gibt sie vollends der Lächerlichkeit preis.

      Auftritt des Betrunkenen. »Heutzutage ist großer Alkoholkonsum auf Partys nicht ungewöhnlich, und häufig braucht die betrunkene Person Hilfe, die Sie dank Ihrer Ausbildung als Ehrenamtlicher Geistlicher ebenfalls geben können«, teilt Hubbard mit. Zu sehen ist ein Betrunkener, zusammengesackt und etwas derangiert. Er hält eine Whiskyflasche in der Hand. Der Ehrenamtliche Geistliche hilft ihm auf und deutet auf ein Bild an der lachsrosafarbenen Wand. Es zeigt Schäfchen, die einen Hirten umringen. »Ein Lokalisierungs-Assist (Ortsbestimmungsbeistand), den Sie der Person geben, lässt sie sich wieder in ihrer Umgebung zurechtfinden.« Sofort danach schütteln der schlagartig ausgenüchterte Trunkenbold und der Ehrenamtliche Geistliche einander die Hand. Gritzgrün ist nunmehr der Tapetenhintergrund, und vor Glück versinken die Protagonisten fast im apfelsinenfarbenen Teppichflausch.

      Der Ehrenamtliche Geistliche von Scientology berät die Polizei, heilt Unfallopfer, kittet Ehen (»Sie können nun mehr Ehen pro Häuserblock retten als je zuvor«), redet Bischöfen gut zu und unterstützt den lokalen Mittelstand: All das beweisen die entzückend komischen Fotoromane in Hubbards Handbuch. Die Junge Union und Hans-Otto Wilhelm, der medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben sich für den Kulturkampf gegen Scientology gewappnet und gehen mit Zensur- und Boykott-Aufrufen in die Offensive. Wer sich mit Hubbards Schriften beschäftigt hat, ist jedoch auf kein Bundesprüfstellenurteil mehr angewiesen.

      Der neue, nach Hubbards Methode befreite Mensch heißt »Clear« – eine »perfekte Maschine, gut geölt, kraftvoll, schimmernd«. So steht es in Hubbards »Dianetik«-Bibel. Der »Clear« hat keine Probleme mehr. Er ist der »optimale Mensch«, ringsherum pumperlgesund, fröhlich, fromm und resistent: »Clears bekommen keinen Schnupfen.« Das, so erklärt es Hubbard allen Ernstes, sei »eine experimentell erwiesene Tatsache, die nach den bis jetzt vorliegenden Ergebnissen durch 270 Fälle ausnahmslos bestätigt wurde«.

      Über die erwähnten Experimente, über die 270 Fälle, über die »vorliegenden Ergebnisse« und über die ominöse Schnupfenresistenz werden selbstverständlich keine Einzelheiten mitgeteilt. »Alle diese Dinge sind wissenschaftliche Tatsachen, die geprüft, getestet, nachgeprüft und wieder getestet wurden. Davon ausgehend, können wir Clears erzielen. Von ihnen hängt die Zukunft der Menschheit ab«, behauptet Hubbard und geht mit krausen Formeln auf Dummenfang: »Der potentielle Wert (PW) einer Person oder einer Gruppe kann durch die Formel PW = I mal Dx ausgedrückt werden, wobei I für Intelligenz und D für Dynamik steht.«

      Aufgehübscht wird dieser Nonsens durch künstliche Patina und die Verheißung einer schmucken Zukunft. »Scientology ist eine Fortsetzung, die direkte Fortsetzung, des Werkes von Gautama Siddharta Buddha«, verkündet Hubbard. Er denkt in Äonen: »Die ganze qualvolle Zukunft dieses Planeten – jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes darauf – und Ihr eigenes Schicksal für die nächsten endlosen Billionen Jahre hängen davon ab, was Sie hier und jetzt mit und in der Scientology tun.«

      Hubbards Sendungsbewusstsein ist grenzenlos. »Die einzige Ursache aller Geisteskrankheiten, aller Psychosen, Neurosen, Zwänge, Verdrängungen und sozialen Störungen« glaubt der Religionsstifter entdeckt zu haben. Asthma, Krieg und Husten seien auf eine einzige Ursache zurückzuführen – auf den »reaktiven Mind« und sonst nichts. »Das sind wissenschaftlich bewiesene Tatsachen. Sie stimmen ausnahmslos mit den gemachten Beobachtungen überein.« Wo, von wem, wann, wie, unter welchen Umständen und an wem diese Beobachtungen


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