England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage

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England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe] - Jon  Savage


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Beziehungen« Großbritanniens zu den zunehmend isolationistischen Vereinigten Staaten nicht mehr als selbst verständlich betrachtet werden können.

      Im Juni 2000 kam das alte England in der Weltpresse wieder zum Vorschein, als eine starke nationalistische Abordnung in Brüssel und Charleroi während der Fußball-Europameisterschaft Amok lief. Seit dem ekstatischen Sommer 1990, gekennzeichnet von der halbwegs erträglichen offiziellen England-Hymne »World in Motion« von New Order, war Fußball Teil des neuen Großbritanniens, aber jetzt kollidierte die Begeisterung der Mittelklasse und der Medien mit der Realität der Hooligans. Innerhalb der Jungskultur und ihrer vermarktbaren Vorlieben für Sexismus, Alkohol und Machismo, war es möglich, diese schlecht gelaunten Schlägereien als logische Folge der ganzen maroden Vorstellung zu betrachten. Am aufschlußreichsten war ein Sonderbericht für BBC Panorama: Den »Fans« galt die Tatsache, dass Großbritannien den Krieg gewonnen hatte, als Rechtfertigung ihres Benehmens. »Wenn England nicht gewesen wäre, wärt ihr jetzt Krauts«, brüllten sie in Amsterdam.

      Dennoch war es genau jener Mythos Churchills, den Punk dreißig Jahre nach dem V-E-Day, dem Victory in Europe, mit voller Wucht angriff: England hatte den Krieg nicht gewonnen, sondern verloren. Das Empire als Ruhekissen existierte nicht mehr, nur noch die Träume vergangener Glorie und das Thronjubiläum mit rot-weiß-blauem Festschmuck. Und so ragt Winston Churchill bedrohlich wie ein Punk aus der King’s Road Anfang der 80er Jahre auf. Einer von der Sorte, die einem ein paar Pfund dafür berechnen, dass man sie fotografieren darf, um sich seine ganz persönliche Punk-Postkarte anzufertigen. 1976 sahen Punks nicht so aus, aber das interessiert heute niemanden mehr: Das ist fünfundzwanzig Jahre her – also mindestens fünf Popgenerationen – und der unmittelbare Bezug ist verschwunden. Die Teenies von heute waren nicht mal geboren, als Mrs Thatcher gewählt wurde. Wir sind mittlerweile so weit von den Sex Pistols entfernt wie die Pistols damals von Johnny Ray. Punk existiert noch als vergangener Popstil, aus dem man sich bedienen kann, so wie er auch in de Medien noch als nebensächliche Absonderlichkeit fortbesteht. Punk gibt der englischen Elite immer noch Futter, die ihrerseits aber ihre lang andauernde Vorherrschaft über den britischen Pop mit der Dance Explosion Ende der 80er Jahre eingebüßt hat. Punk hatte Wert darauf gelegt, in einer hyper-intensiven Gegenwart zu leben, aber nun ist er Geschichte – lediglich ein weiterer englischer Traum.

      Punk war eine internationale Außenseiter-Ästhetik: dunkel, entfremdet, fremd, voll schwarzen Humors. Er breitete sich 1975 von den Vereinigten Staaten über Großbritannien und Frankreich nach Europa, Japan und Australien aus. Wer sich damals in Großbritannien aufgrund seiner Klassenzugehörigkeit, Sexualität, seiner Wahrnehmungsweise, seines Geschlechts oder seiner persönlichen Präferenzen ausgestoßen fühlte, wer sich nutzlos oder unwert vorkam, für den waren die Sex Pistols ein Hass/Liebe-Generator von – wie Paul Morley schrieb – »infernalischer Macht, die die Chance zum Handeln, sogar zur Hingabe – an etwas, das größer war als man selbst – und damit möglicher Transzendenz bot«. Indem man zum Alptraum wurde, konnte man den eigenen Träumen begegnen.

      Punk hat die herrschenden Jungsmodalitäten nicht reproduziert. Es waren gerade abweichende Sex- und Genderstrategien, die seine ursprüngliche Wirkung ausmachten. Plötzlich musste man nicht mehr alleine sein. Man hatte viel Spaß dabei, es sich schlecht gehen zu lassen. Man war erfüllt vom Gift. Man versank darin und lebte nach Iggys Anweisung in »Death Trip«: »Sick boy, sick boy, learning to be cruel.« Man griff die Väter an, die Generation des Zweiten Weltkriegs: Alles, was sie nicht ausdrücken konnten, hielt man ihnen stolz vor: Ihre unerbittliche Selbstbeherrschung hatte sich zu einem leeren Starren und einer gewaltsamen Geste verfestigt. »Gimme World War Three we can live again.« Das war harter Stoff. England bekam gesagt, was es nicht hören wollte. Punk verlangte ein Engagement, auf das sich viele Popfans nicht einlassen wollten, und tatsächlich drückte sich die Gefährlichkeit dieser dunklen Ästhetik bald in Todesopfern, Drogenabhängigkeit und Zynismus aus, eine schwarze Wolke, die viele verfolgte.

      Es gab eine schreckliche, bewusste Flucht kopfüber in die Zerstörung: »You can always tell«, sangen die San Francisco’s Sleepers,

      »when you are going to hell.« Diese emotionale Verstörtheit ist eine kulturelle Besonderheit von Punk und bis heute Thema für alle Beteiligten. Punk war aber auch in der Welt und zwar fest entschlossen, seit John Lydon in »Anarchy in the UK« Akronyme aneinanderreihte. Die Sex Pistols hatten die größte Macht, als sie noch nicht festgelegt oder definiert waren. »God Save the Queen« war ein stolzes »fuck you«, das England scheinbar aus einem Nirgendwo, tatsächlich aber von der Haupttribüne aus zugerufen wurde. Was sie lostraten, besaß so viel Sprengkraft, dass die Polarisierung des politischen Klimas sehr bald nach einer Definition verlangte. Punk hatte sich auf die Politik gestürzt, und die Politik reagierte und meldete Ansprüche an, und zwar unabhängig davon, ob sie sich auf die äußerste Rechte berief, auf die Linke (Rock Against Racism), auf Anarchie (Crass) oder auf offenere Formen der Autonomie, die Wert auf kulturelle und soziale Unabhängigkeit legte. Jetzt, wo Popmusik in allen Medien präsent ist, vergisst man leicht, dass Punk 1976 und 1977 missbilligt und sogar verboten wurde, woran zunächst die Musikindustrie Anteil hatte, dann die Printmedien und die Politiker und schließlich die Öffentlichkeit insgesamt. Als Folge entstand ein alternatives Vertriebs- und Produktionsnetzwerk, das aus der Not eine Tugend machte: Es war einfach und billig, also los. Das Ideal der Zugänglichkeit, das seither durch das Internet erweitert wurde, ist ein Vermächtnis von Punk.

      Obwohl Punk seit Anfang 1978 für die Musikindustrie lukrativ wurde, bewahrte er sich im Kern einen wütenden Abscheu vor Konsum, der Funktion von Popkultur und der Rolle, die Punk selbst dabei spielte. Wie John Lydon am Tag seines letzten Konzerts als Sex Pistol sagte: »Ich will einfach alles kaputt machen. Ich mag Rockmusik nicht, und ich weiß nicht, warum ich überhaupt noch mitmache.« In »Der Mann, der vom Himmel fiel« von Nic Roeg, ein Film, der 1976 erschien und großen Einfluss auf Punk hatte, fällt David Bowie in der Rolle des Newton vom Glauben ab. Er vergisst, warum er auf die Erde kam, und gibt sich allerhand Vergnügungen hin. In einer der denkwürdigsten Szenen des Films räkelt er sich völlig betrunken auf einem Stuhl und versinkt in einem Meer undefinierbaren Rauschens, das aus Dutzenden von Fernsehapparaten dringt. Im England von 1976 war dies auf jeden Fall futuristisch, aufregend und erschreckend zugleich. Diese Reaktion entsprach der im Punk, wo man gleichzeitig von den Medien fasziniert war und sie verdammte. Als Punk der Medienindustrie angepasst wurde, führte dieser Widerspruch zu den vorhersehbaren Ergebnissen. Und jetzt, da wir alle Newtons sind, ist es nicht sterbenslangweilig geworden?

      Aber so wie die Hippiebewegung auf ökologische Belange und ein anderes Verständnis von Autonomie verwies, genauso blieben die Punkideale virulent, weil sie nach wie vor nicht eingelöst wurden. Der Widerspruch, an dem Punk zu Grunde ging, bestand in dem Versuch, Konsum und Medien von innen heraus zu kritisieren und verändern zu wollen, ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt war. In den 90er Jahren scheiterte Nirvana, die in den Vereinigten Staaten den Sex Pistols am nächsten kamen, an genau jenem Widerspruch, diesmal innerhalb einer globalen Pop/Medien-Ökonomie von beispielloser Unbarmherzigkeit und mit entsprechend schwerwiegenden Folgen. Das zentrale Problem bleibt bestehen, zumindest für jene, die die Grundlagen der Gesellschaft hinterfragen: Wie vermeidet man, dass man Teil dessen wird, wogegen man protestiert?

      Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft der Mai-Unruhen, die wie die Demonstrationen am 30. November gegen die World Trade Organization aus einer radikalen Kritik am globalen Kapitalismus entstanden ist, deren Wurzeln auch auf Punk zurückgehen, auf Anarchie, Anti-Konsumismus und Demokratisierung von Zugangs- und Teilnahmemöglichkeiten.

      Trotz der Verschwörungstheorien in der Boulevardpresse gab es während der Mai-Unruhen keine Führer. Gewalt und Vandalismus tobten sich aus, aber in den Demonstrationen verschaffte sich durch das neue Styling Winston Churchills und durch das Pflanzen von Cannabis-Samen auf dem Parliament Square auch spielerische Subversion Ausdruck. Das Fehlen einer umfassenden, festgelegten Ideologie wurde heftig kritisiert, aber ebenso wie Punk am Einflussreichsten war, als er noch nicht definiert war, ist dies keine Schwäche, sondern eine Stärke. Die einfache Verfremdung des Denkmals durch Punk und den Radikalismus ist eine jener Momentaufnahmen, die eine grundlegende Kluft in der Wahrnehmung der Gesellschaft offenbaren, die Kluft zwischen 1940 und 2000, zwischen jenen, die die Aktion für eine Schändung, und jenen, die sie für eine perfekte Metapher Englands halten,


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