England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage

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England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe] - Jon  Savage


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mochte Jones; Jones hatte nichts gegen mich. Ich mochte Cook ganz gern, aber er war ein bisschen langweilig. Ich brachte Matlock als Anker der Normalität in die Gruppe: Er verfügte über eine gewisse Intelligenz, die nötig war, um Cook und Jones beim Schreiben von Songs zu helfen. Rotten war einfach nur ein arroganter kleiner Schreier, der dachte, er wüsste alles. Er hasste ihre Musik. Cook und Jones fuhren auf die Tradition mutierter, unverantwortlicher Hardcore Raw Power ab: Iggy Pop, New York Dolls, MC5, die Faces. Rotten stand mehr auf die Musik der 60er Jahre Captain Beefheart, dieses merkwürdige Zeug.«

      Als die Sex Pistols begannen, keimten in ihnen bereits Missverständnisse und gegenseitige Verdächtigungen. McLaren, mit seinem Gespür für Ärger, mochte diese unbeständige Atmosphäre: Er dachte, sie könnte Funken schlagen. Dennoch richtete diese Instabilität echten Schaden an, und der Person, die dachte, sie hätte alles unter Kontrolle, nicht gerade den geringsten. McLaren liebte es, mit dem Feuer zu spielen, aber nachdem er die Welt von John Lydon und dessen Freunden betreten hatte, sollte er es mit psychischen Stoffen zu tun bekommen, die viel explosiver waren als das, was er von Cook, Jones und Matlock kannte.

      Nachdem Lydon dazugestoßen war, hatte McLaren ein Problem mit seinem Anspruch auf alleinige Urheberschaft. »Was uns zunächst zusammenführte, war, dass wir hassten, was im Fernsehen lief«, sagt McLaren. »Rotten mochte ›Eighteen‹ und ›School’s Out‹, aber er fand sie ein bisschen hirnlos. Er hielt Hirnlosigkeit für eine gute Einstellung.

      Sobald ich begriffen hatte, dass er es entsetzlich fand, Teil einer Gruppe zu sein und sich selbst ankündigen zu müssen, wusste ich, dass er ein Star war. Ich wusste, die Leute würden diese Verletzbarkeit erkennen und darauf abfahren. Und das taten sie. Wir wussten, dass er nicht singen konnte und kein Rhythmusgefühl hatte, aber er hatte diesen Charme eines Jungen, der unter Schmerzen versuchte, so zu tun, als sei er cool. Das war es, was ins Auge sprang. Man wusste, dass ihn alle Mädchen lieben würden. Ich dachte, sie könnten die Bay City Rollers werden: Das hatte ich im Kopf. Ich hatte sie nicht mehr alle. Zu glauben, dass er die Alternative zu den Bay City Rollers sein könnte: so eigensinnig und zäh, das Wahre. Eine echte Teenager Gruppe. Für mich war das Anarchie im Plattengeschäft: Das genügte mir. Es war das beste Verkauftsargument: Sie waren wie junge Attentäter. Der Rest war das Sahnehäubchen und nichts, was ich unbedingt gefördert hätte. Es bekam ein Eigenleben.«

      John Lydon brachte dieses Leben mit: Die Sex Pistols hätten ohne ihn niemals diese Wirkung erzielen können. Trotz McLarens Spott war es eben genau Lydons Interesse an den Eigenheiten von Post-Hippie-Pop – dem Expressionisten Peter Hammill und dem hochexplosiven Captain Beefheart –, die den Sex Pistols einen Ausweg aus der Nostalgie oder dem Jungsrock bot und den Zugang zu einem neuen, unbekannten Gebiet ermöglichte. Lydons Interesse an musikalischen Experimenten verlieh den Sex Pistols den Schneid, ihre immer extravaganteren Forderungen durchzuziehen. McLaren wollte einen Sturm entfachen, und Lydon katapultierte sich in sein Blickfeld und versuchte, seine Wut und seine Schuld abzuladen.

      »Die Kids wollen Elend und Tod«, schnaubt Lydon, »sie wollen bedrohliche Geräusche, weil die sie aus der Apathie reißen.« Hier ähnelt Lydon einem Archetypus. McLaren fühlte sich von jenem Charakter angezogen, den Graham Greene in Am Abgrund des Lebens (ein Buch, das Lydon für seine Schulprüfungen lesen musste) umrissen hatte: den rachsüchtigen, katholischen jungen Gangster Pinkie. »Gift wühlte in seinen Adern, wenn er auch lachte und es sich verbiss. Er war beleidigt worden. Nun, er wollte es der Welt schon zeigen! Wenn sie meinten, weil er erst siebzehn war...« Wie Pinkie war John Lydon bereit, eine ganze Welt in die Luft zu jagen.

Foto

      Die neue Generation bekommt einen Namen, Dezember 1975 (© John Holmstrom)

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      Im Herbst 1975 stand die mainstreamorientierte Musikindustrie neuen Gruppen, die soziokulturell Krach schlagen wollten, keineswegs wohlwollend gegenüber. Wie Dave Laing in One Chord Wonders bemerkt, hatte die Musikindustrie auf den riesigen Markt reagiert, der sich in den 60er Jahren eröffnet hatte, indem sie sich global organisierte: Über 60 Prozent des englischen Markts wurden von sechs multinationalen Firmen kontrolliert. Die Popmusik wurde beherrscht von ihrem »Gigantismus«, einem Marktansatz, den man als »Scheiße gegen die Wand werfen« umschreiben könnte. Der bevorzugte Musikstil war Progressive Rock, also alles, was teuer und aufwendig war.

      Innovationen hatten ebensoviel mit Marketing wie mit Musik zu tun. Abba kamen als »der klassische transnationale Sound Mitte der Siebziger« groß raus. Nachdem sie 1974 den Eurovision de la Chanson-Wettbewerb gewonnen hatten, machten sie Aufnahmen in Schweden, unterschrieben bei einem multinationalen Konzern mit Hauptsitz in Amerika und sangen auf Englisch, ein globales Pop-Esperanto, das aus fünfzig Jahren amerikanischer Pop-Kultur synthetisiert war. Ein noch eklatanteres Recycling fand statt, als die Musikindustrie die Macht des Fernsehens entdeckte: 1972 hatte eine Firma namens K-Tel mit einer Reihe von Compilation-LPs, die im Fernsehen beworben wurden, unmittelbaren Erfolg. 1976 machten diese Sampler 30 Prozent aller Verkäufe aus.

      Fernsehwerbung, stromlinienförmiger Einzelhandel, Steuertricks und eine institutionalisierte Nostalgie füllten den gesamten luftleeren Raum der Pop-Kultur aus. Ein Artikel im Melody Maker über den »Zustand des Rock« im Juni 1975 fasste die Situation zusammen: »Im Herzen des Rock-Traums steht eine Registrierkasse«. Im selben Artikel stellte der unabhängige Produzent Pete Jenner fest: »Ich denke an jemanden, der 16 ist und der sagen wird, ›schaut euch dieses Zeug an, das diese Bands mit diesen riesigen PAs und Lichteffekten machen. Darum kann es nicht gehen. Das hat doch mit den Leuten nichts zu tun.‹«

      Es gab bereits einen Ort für junge Musiker, die versuchten, den eingeschlagenen Weg der gestriegelten Anpassung und der hohen Investitionen zu sprengen. Im Herbst 1975 hatte der Eindruck, den Dr Feelgood hinterlassen hatte, die Pub-Szene für eine neue Generation aufregender, leidenschaftlicher Gruppen geöffnet: die Stranglers, Eddie And The Hot Rods und Joe Strummers 101er. »Uns wurde klar, dass wir uns beeilen mussten«, sagt Paul Cook, »es gab da eine unterirdische Strömung mit vielen Leuten, die Bands gründen wollten. Man konnte spüren, dass etwas passieren würde.«

      Auch Bernard Rhodes versuchte, eine Teenager-Pop-Gruppe zu formieren, die sich aus Musikern einer Band zusammensetzten sollte, die sich London SS nannte. Gegründet von dem Kunststudenten Mick Jones und Tony James, war London SS eine hochgradig stilbewusste Band, laut James »langhaarig wie eine Londoner Ausgabe der New York Dolls mit Mädchenschuhen«. Rhodes’ setzte der Gruppe wegen ihres Namens zunächst so zu, dass sie ihn ablegten. Dann besorgte er ihnen im Praed Street Café in Paddington einen Stützpunkt, wo sie Dutzende Möchtegern-Gitarristen, Sänger und Schlagzeuger vorspielen ließen.

      »Tausende von Leuten behaupten jetzt, sie wären bei London SS gewesen«, sagt James. »Chrissie Hynde kam und ging. Wir haben damals auch Aufnahmen gemacht, Coverversionen von MC5-Nummern und ›Protex Blue‹. Bernie und Malcolm waren am hilfreichsten, indem sie unser Selbstverständnis veränderten. Sie stellten uns Glen, Steve und Paul vor: Damals hatten sie sehr kurze Haare, und wir hatten sehr lange Haare. Wir hassten die Vorstellung, unsere Haare schneiden zu lassen. Lange Haare waren noch immer ein Symbol der Rebellion. Es gab also zwei Fraktionen. Die Sex Pistols waren King’s Road, wir waren Paddington, aber wir brachen auseinander, weil wir keinen Sänger finden konnten.«

      Selbst mit einem Sänger hatte die neu geschaffene SEX-Band noch einen Berg an Problemen zu bewältigen. Einen Monat nach ihrer ersten Probe, war noch immer alles vorläufig. Abgesehen von musikalischen Defiziten hatten die vier Schwierigkeiten, einen Übungsraum zu finden. Im September übernahm schließlich McLaren die Verantwortung für die Gruppe: Als Glen eine Anzeige für einen Proberaum im Melody Maker fand, übernahm er die 1000 Pfund Kaution.

      Der Raum befand sich im Erdgeschoss und konnte nur über einen zerfallenen Durchgang zwischen Nummer 6 und 8 in der Denmark Street erreicht werden. John mochte ihn, weil er feucht und deprimierend war; Steve Jones mochte ihn, weil er eine W1-Postleitzahl hatte; Malcom McLaren mochte ihn, weil er eine Art trojanisches Pferd direkt im Herzen von Tin Pan Alley war, die der


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