England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage

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England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe] - Jon  Savage


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bösartige Lady. Es war ein echter Kampf, in dem Laden etwas kaufen zu wollen. Ich liebte dieses Gummi-T-Shirt mit allem drum und dran. Ich fand, es war das abstoßendste Teil, das ich je gesehen hatte. Es als Kleidungsstück und nicht als Sexualfetisch zu tragen war toll.«

      »Jordan war immer freundlich. Ehrlich interessiert. Sie sah in uns offensichtlich das, was wir waren, nämlich alberne kleine Kinder, die keinen blassen Schimmer hatten. Wir gingen in die King’s Road, um Leute zu ärgern. Das war damals nötig. Überall lange Haare. Was hätte man machen sollen? Es gab Soul Boys- und Roxy Music-Klamotten. Das war alles sehr schmierig, schlapp und führte zu nichts. Die Leute waren steif und langweilig. Mich ödete das alles an.«

      »Anger is an energy«, sang John Lydon Jahre später. Als er neunzehn war, verdeckte seine Schüchternheit einen Vulkan an Sarkasmus und verbaler Angriffslust. Die vier Johns befanden sich alle in derselben Zwangslage: »Wir waren extrem hässlich. Wir waren Ausgestoßene, wir waren Ungewollte.« Die Gruppe steckte in einer ausweglosen Situation: Sie waren intelligent und bewegten sich innerhalb einer Arbeiterklassekultur, die Intelligenz nicht schätzte. Andererseits waren sie aufgrund mangelnder Möglichkeiten nicht in der Lage, diese Kultur zu verlassen. Das Ergebnis? Entsetzliche Frustration.

      »Mein Vater war Kranführer«, beginnt John Lydon, »aber ich verstehe nicht, weshalb meine Herkunft irgendeine Auswirkung auf mich haben soll. Ich glaube, man ist von Geburt an der, der man ist: Es lässt sich nicht verbergen, was tief im Innern ist, auch wenn man sich hinter einem kulturellen Deckmantel versteckt.« Seine Erfahrungen mit einundzwanzig haben Misstrauen in sein Hirn gebrannt.

      Lydons späterer Erfolg ließ ihn etwas Abstand zur eigenen Wut gewinnen. Es gibt jedoch zwei Themen, auf die er bis an die Grenze zum Schwulst beharrt. Das ist zunächst Malcolm McLaren. Und dann seine Überzeugung, ein »vollkommen ehrlicher Mensch zu sein«. Er besitzt eine moralische Gewissheit, die mit der von Westwood oder McLaren leicht mithalten kann.

      John wurde am 31. Januar 1956 geboren, das erste Kind von Eileen und Jim Lydon. Drei Brüder folgten Jimmy, Bobby und Martin.

      »Mein alter Herr kam aus Galway; meine Mutter aus Cork«, und er fährt fort: »Die erste Generation in England. Ich weiß nicht mal, wo ich geboren wurde. Wir sind sehr viel umgezogen, aus allen möglichen Gründen. Wir wohnten im Erdgeschoss, in Hastings direkt am Meer, bis ich ungefähr sechs war. Ich nehme an, es war wirklich erbärmlich, aber ich habe keine schlechten Erinnerungen daran. Kinder sehen den Dreck und die abblätternden Tapeten nicht.«

      Als Lydon acht war, zog er sich eine Hirnhautentzündung zu. Im Buch Sex Pistols von den Vermorels beschreibt die 1979 verstorbene Eileen Lydon deren Auswirkungen: »Das hat mich natürlich verängstigt. Ich hatte es, als ich elf war, und ich dachte, ich wüsste, was es ist. Sein Sehvermögen litt darunter, und ich weiß nicht, ob man das merkt, aber er hat so ein Starren in den Augen.« »Ich bin ein Jahr lang nicht in die Schule gegangen«, sagt John, »hab’ immer noch ein Problem mit dem ABC.«

      Die Krankheit verstärkte das Gefühl des jungen Lydon, anders zu sein. »Ich kann mich erinnern, dass meine Eltern Parties gaben und mein Bruder Jimmy zu einem dieser grässlichen irischen Volkslieder tanzte und ich in einer Ecke saß und sagte: ›Das ist grauenhaft.‹ Ich habe nie mit jemandem von ihnen geredet. Ich hasste die Kleidung meiner Mutter, sie trug dieses Kreppseidenzeug, das damals modern war, und hatte eine riesige Bienenkorbfrisur. Der Geruch ihres Haarsprays ekelte mich an. Ich erinnere mich an den Geruch verschwitzter Korsetts, und alle Männer hatten stinkende Achselhöhlen.«

      Als Lydon seine Schulausbildung wiederaufnahm, war er »ruhig, zurückhaltend« und künstlerisch interessiert. Die Familie kehrte, nachdem sie einige Jahre außerhalb gelebt hatte, wieder nach London zurück und bekam eine Sozialwohnung in Pooles Park, in der Nähe von Finsbury Park Station. Im Alter von 11 Jahren ging John auf die William of York, die katholische Gesamtschule, die ihm von der örtlichen Schulbehörde zugewiesen worden war. Sie befand sich in der Gifford Street, ein besonders finsteres viktorianisches Notstandsgebiet in der Nähe von Pentonville. »Ein Scheißloch«, sagt Lydon, »katholische Schulen sollten abgerissen werden. Sie trennen einen von allen anderen. Ich lernte dort, was Hass und Ressentiments sind. Und ich lernte Traditionen zu verachten und diesen Schwindel, den wir Kultur nennen. Der Religionsunterricht war grauenhaft: Zum Schluss sagte ich, dass ich Moslem werden wollte, nur um aus dem Unterricht rauszukommen. Es war Unsinn. Man darf keine Fragen stellen. Man muss die Tatsachen akzeptieren: ›Du wirst sterben und in die Hölle kommen, wenn du nicht an den leuchtenden Stab von Jesus Christus, dem Allmächtigen, und die Heiligkeit seiner jungfräulichen Mutter glaubst.‹ Was für ein Blödsinn!«

      »Ich hatte Haare bis über die Schultern. Mit vierzehn war das ziemlich rebellisch. Ich war der Freak im Viertel: ein Jeanshemd, keine Jacke und grell grün angemalte, genagelte Stiefel. Meine langen Haare waren teilweise der Grund, weshalb ich aus der Schule flog. Sie nannten mich einen Hell’s Angel. Weil meine Eltern arm waren, konnten sie sich die Uniform nicht leisten, und da ich gerade noch so innerhalb der Drei-Meilen-Grenze lag, musste ich mit dem Fahrrad in die Schule fahren und im Regen eine Lederjacke tragen. Also: Hell’s Angel.«

      Lydon pflegte mit John Grey den damals angesagten Lebensstil.

      »Das Roundhouse war besonders gut. Ich sah 1972 Iggy and the Stooges in der Scala: James Williamson spielte auf einer total verstimmten Gitarre. Iggy kam nicht gut an. Er wurde ignoriert. Er rannte herum und verdrosch sich selbst mit dem Mikrofon. Ich mochte das. Später ging ich regelmäßig in einen Reggae-Laden unter der Finsbury Park Station.«

      Nachdem er 1972 die Schule verlassen hatte, verfolgte Lydon ziellos, unterbrochen von verschiedenen aussichtslosen Jobs, eine höhere Ausbildung. Ab 1973 besuchte er das Hackney Technical College, um einen Realschulabschluss zu machen. »Dort traf ich Sid. Er war Bowie-Fan. Er stellte alberne Sachen an, um sich die Haare hochzustellen. Auf die Idee, Haarspray zu benutzen, kam er nie. Er steckte den Kopf zum Haarstyling in den Ofen. Sid war ein Poser, ein Klamottenfanatiker der schlimmsten Sorte. Alles, was man laut 19 unbedingt anziehen sollte, er musste es haben. Ich nannte Sid nach meinem Hamster. Es ist wahr! Die sinnloseste, blödeste Antwort der Welt! Vicious kam später, nach dem Lou Reed Song. Als ich ihn das erste Mal traf, war er ein Soul Boy. Es konnte mitten im Winter sein und schneien, aber er trug keine Jacke. Er war naiv, eine gute Eigenschaft, eine Art Unschuld, aber die hat er verloren. Er sah die Unehrlichkeit der Leute nicht. Er war lustig und lachte ständig. Alles war für ihn ein Riesenspaß.«

      Geboren als John Simon Ritchie hatte Sid Vicious bereits so viele Namen, dass ihm einer mehr oder weniger nichts mehr ausmachte. Wie abgelegte Kleidung fielen sie von ihm ab. Für seine Mutter Anne war er Simon oder »Sime«; John oder Sid hieß er bei seinen Freunden. Bis er seinen Spitznamen bekam, trug er den Nachnamen Beverley. So hieß der zweite Mann seiner Mutter. Diese bruchstückhafte Identität spiegelte ein bereits sehr chaotisches Leben wieder: »Er befand sich nie in einem stabilen Zustand«, sagt Anne Beverley, die ihn alleine aufzog,» es war wie ein Spiegel meines früheren Lebens.«

      Simon schien dazu verdammt, die Kindheit seiner Mutter zu wiederholen, die mit zwölf von ihrer allein erziehenden Mutter im Stich gelassen worden war. Auf der Flucht vor einer lieblosen Familie war Anne Randall mit 18 der Air Force beigetreten, hatte überstürzt geheiratet, und sich dann »John Ritchie in die Arme geworfen«. Ihr einziger Sohn, Simon, wurde am 10. Mai 1957 geboren: Seine Eltern, die niemals heirateten, trennten sich zwei Jahre später, als Ritchie Anne ohne einen Pfennig auf Ibiza sitzenließ. Um über die Runden zu kommen, lebte sie auf Pump, tippte Manuskripte ab und »verdiente Geld, indem ich für andere Leute Joints baute. Als ich 1961 nach Ibiza zurückkam, stand ich da mit einem kleinen Kind. Meine Haare waren zwei Zentimeter kurz, während man ansonsten riesengroße Bienenkörbe trug. Die Kleider gingen fünf Zentimeter übers Knie, meine waren zehn Zentimeter kürzer. Ich wurde mit allen Bemerkungen bombardiert, die man sich nur vorstellen kann, und Simon hat das alles mitbekommen. Ich versuchte, ihm einzuschärfen: ›Du bist du, du kannst machen was du willst, solange du niemand anderem damit weh tust. Du solltest tun dürfen, was zum Teufel du tun willst.‹ Mit vier, fünf, sechs Jahren hat das gesessen. Er hasste die Schule, aber das habe ich auch getan. Die längste Zeit, die wir jemals an einem Ort verbrachten, war in Tunbridge Wells von 1965 bis 1971.


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