England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage

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England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe] - Jon  Savage


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das Publikum festhielt, als wären sie in der Achterbahn.«

      Die neue, namenlose Verbindung verkündete ihre Andersartigkeit, wie alle Bewegungen im Pop das tun müssen: downtown rigour statt midtown glitter. Es gab eine neue musikalische Tradition, die zur autorisierten Version wurde: 60er Jahre Punk im Verbund mit den verachteten Bubblegum-Bands, aber das war eine absichtliche Vereinfachung, eine ausgeklügelte Form der Naivität. Obwohl neue CBGB’s-Gruppen wie Blondie und Talking Heads spielten, was sie für Pop hielten, waren sie noch weit von den Erwartungen der Industrie entfernt, und damit hatten sie gleichzeitig Zeit, sich zu entwickeln.

      Eine CBGB’s Gruppe war bereits kurz davor, die Seite zu wechseln. Als Teenager in New Jersey war Patti Smith fasziniert gewesen von einem Bild Edie Sedgwicks in der Vogue vom August 1965: »Sie gab solch ein eindrucksvolles Bild ab, dass ich dachte: ›Das ist es.‹ Es stellte alles für mich dar, strahlende Intelligenz, Geschwindigkeit, das dem Augenblick Verhaftetsein.« 1968 zog Smith mit einem jungen Fotografen namens Robert Mapplethorpe ins Chelsea Hotel: Zusammen hingen sie am Eingang zu Max’s rum: Außenseiter, die hineinschauten.

      1974 hatte Smith bereits zwei Gedichtbände veröffentlicht, für den Rolling Stone geschrieben und am Theater mit Sam Shephard und Tom Ingrassias zusammengearbeitet. Ihre erste Single wurde im Juni aufgenommen. Als McLaren nach New York zurückkehrte, befand sich die Patti Smith Group mitten in einem siebenwöchigen Engagement im CBGB’s, vier Abende die Woche. Am Ende der Saison unterschrieb die Gruppe einen Vertrag mit Arista, das erste Zeichen von Interesse seitens der Industrie an einer Gruppe aus dem CBGB’s, deren Entwicklung McLaren beobachtet hatte. »Er kopierte die New Yorker Gruppen«, sagt Sylvain. »Er liebte Richard Hell.«

      Bevor McLaren nach England zurückkehrte, versucht er, Hell zu überreden, Frontmann seiner Band zu werden, aber Hell stritt bereits mit Tom Verlaine darüber, wer der Star bei Television war. In den sechs Monaten, die McLaren in New York verbrachte, hatte er gesehen, wie sich eine musikalische Subkultur entwickelte, die sich selbst schuf, gegenseitig unterstützte und dennoch möglicherweise kommerziell war, die »Intelligenz und Geschwindigkeit« ausstrahlte und »dem Augenblick verhaftet war«.

      Als McLaren nach New York reiste, war der Charakter des neuen Ladens bereits festgelegt. Kein langes Zitat mehr, sondern eine kurze, scharfe Absichtserklärung. »Auf dem Schild stand SEX, in großen pinkfarbenen Schwammbuchstaben«, sagt McLaren. »Man sollte denken, dass dies nicht irgendein Laden auf der King’s Road war, sondern einer, der Sachen verkaufte, die man normalerweise nur über Versand bekam. Man musste nicht so voyeuristisch denken, sondern konnte einfach hineingehen und es aus erster Hand bekommen.«

      In seiner städtischen Unverblümtheit funktionierte der Name als Provoktion, aber McLaren und Westwood verstanden intuitiv, dass sie neue Darsteller in der ersten Reihe brauchten, die diese neue Stoßrichtung verkörperten. Es genügte nicht, einfach nur den Namen und die Ideen zu haben: Sie mussten in eine körperliche Form übersetzt werden – sexy und bedrohlich. Um Pop zu sein, musste der Laden die Erfahrung und die Gefühle vermitteln, die McLaren und Westwood zu wecken versuchten, um diese aber selbst darzustellen, fehlte ihnen das Selbstvertrauen, die Hingabe oder das Engagement.

      Mit Jordan bekam die Geschichte ein anderes Tempo. Sie ist der erste Sex Pistol. Durch Zufall gewann der neue Laden mit ihr eine Hauptdarstellerin, die die Grundsätze auslebte, die SEX ganz bewusst vertrat. Sie war die lebende Werbung für den Laden, indem sie ihren Körper in ein Kunstobjekt verwandelte. Von ihrer Teenagerzeit an hatte sie ein Erscheinungsbild kultiviert, das so verblüffend war, dass sie jedesmal ihr Leben aufs Spiel setzte, sobald sie einen Fuß vor die Tür setzte. Ihr Leben war ein pas de deux mit der Ungeheuerlichkeit.

      1955 als Pamela Rooke geboren wuchs Jordan in einer Sozialbauwohnung auf den Hügeln außerhalb von Seaford in Sussex auf, einem ehemals eleganten Seebadeort. »Ich fing mit Ballett an, als ich ungefähr vier war«, sagt sie, »und machte bis ungefähr achtzehn weiter damit. Es vermittelt einem körperliches Selbstvertrauen, wenn man sich einer so strengen Disziplin unterwirft. Es gefiel mir, mich wie ein Gemälde zu behandeln. Ich hatte mir nicht überlegt, dass sich Leute davon angegriffen fühlen könnten. Es hat etwas mit der Art zu tun, wie man sich gibt und wie man läuft. Wenn man die richtige Körperhaltung hat, kommt man damit durch.«

Foto

      Jordan und die Polizei (© Ray Stevenson)

      Von ihren frühen Schultagen an experimentierte Jordan mit ihrem Erscheinungsbild: Zuerst hatte sie ihr Haar kurzgeschnitten und nach dem Vorbild von Mia Farrow gefärbt. »Ich wollte in der Schule nicht zu viele Freundschaften schließen. Ich war sehr streng, was meinen Lebensstil betraf. Damals änderte ich meinen Namen. Ich mochte schon immer den Klang von nur einem Namen, und bei Jordan ist es dann geblieben.«

      »Als ich nach London kam, ging ich in den Masquerade Club in Earl’s Court, ein schwuler Club, der sogar an heutigen Maßstäben gemessen wirklich etwas Besonderes war. Für eine Frau war es sehr schwer, in diese Clubs zu kommen, die Schwulenszene schottete sich vollkommen ab. Sie waren beunruhigt, wenn Frauen in ihren Clubs aufkreuzten, und der einzige Weg, um reinzukommen, lief über das Aussehen. Sah man verrückt und unerhört aus, dann klappte es. Ich mochte gute Tanzmusik, und die einzigen Orte, wo man sie zu hören bekam, waren diese Schwulenclubs. Sie spielten Sachen wie ›Rock Your Baby‹, ›Rock the Boat‹, haufenweise Bowie. Als ich im Laden anfing, trugen nicht viele Leute dieses Zeug. Das war das Tolle, man konnte ausgehen, und niemand begegnete einem in demselben Outfit. Wir hatten Stammkunden, für die wir Sachen anfertigten, die sie bestellen konnten, ganze Gummianzüge, die wahnsinnig teuer waren. Das erste, was man lernte: Es machte ihnen nichts aus, wenn man ihnen sagte, was man dachte. Sie kamen trotzdem wieder. Ich war echt stolz auf mein Aussehen. Ich behielt den Job, weil ich gut aussah und weil ich etwas vom Job verstand. Als ich anfing, war der Bienenkorb schon da: Ich ging in einem hautengen Vinylanzug und Netzstrümpfen zur Arbeit und einmal nur in Netzstrümpfen und einem großen Mohairpullover mit Satinbesatz vorne. Nachdem ich den Job bekommen hatte, verlor ich meine Wohnung in Drayton Place und musste also zurück nach Seaford und pendeln. Ich bekam im Zug eine Menge Ärger wegen meines Outfits, aber ich hatte nichts anderes erwartet. Manchmal stieg ich in einen Zug ein, und alles, was ich anhatte, waren Strümpfe und Strapse und ein Gummioberteil. Einige der Pendler sind völlig ausgeflippt. Einigen Männern ist es unter der Zeitung auf dem Schoß ziemlich heiß geworden.«

      Mit Jordan als skandalöser Auslage und Michael Collins’ Kontakten zur Schwulenszene entwickelte der Laden eine neue Atmosphäre, die dem Sortiment entsprach. »Michaels Freunde hingen herum«, sagt Jordan. »Wie Amadeo, der Wirt des Sobrero, einer unserer Treffpunkte, nachdem das Masquerade aus Gründen öffentlichen Ärgernisses geschlossen worden war.«

      Ein anderer Stammgast des Masquerade und ein neuer Angestellter im SEX hieß Alan Jones. »Ich trug die engen Jeans von Let It Rock in den Schwulenkreisen«, sagt er. »vergiss nicht, dass damals die Glam Rock Ära dran war. In der Schwulenszene hatten alle lange Haare und Pullover um die Schultern gebunden. Ich arbeitete neun Monate dort. Die ganzen schmutzigen alten Männer kamen und taten so, als betrachteten sie sich das Zeug, und dann wollten sie unbedingt, dass Jordan es anprobiert. Sie beschwerte sich, weil sie die Vorhänge der Umkleidekabine ständig saubermachen musste.«

      Während Malcolm in New York war, führte Vivienne das Geschäft, machte Kleidung und zog Ben Westwood und Joe Corré gleichzeitig groß. Ihr Selbstvertrauen wuchs, obwohl sich der Laden kaum selbst trug. »Eine Menge Geld floss durch den Laden«, sagt Andy Czezowski, ein Ex-Mod, der als Buchhalter arbeitete, »aber es gab überhaupt keine Struktur. Viviennes ganze Einstellung war nicht geschäftsmäßig – sie wollte Sachen machen, Dinge schaffen, etwas anzetteln –, es gab keinerlei Sinn für Profit oder Wachstum. Darum ging es nicht.«

      »Die Kunden waren halb und halb«, sagt McLaren, »die eine Hälfte waren Parlamentsmitglieder und Fetischkäufer vom Land, aber die andere Hälfte waren junge Leute. Weil der Laden so ungewöhnlich war, verschaffte er ihnen das Gefühl, gefährlich und einzigartig zu sein. Und schließlich fingen sie an, mit der Kleidung zu experimentieren, um an die dunkle Stelle in ihren Herzen zu


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