England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage

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England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe] - Jon  Savage


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an diesen Fahrrädern herumbastelte, die er gestohlen hatte.« Sexbesessenheit ist eine andere Facette seines Charakters: Bereits mit 15 verspürte Jones diesen Zwang.

      Paul Cook wuchs in derselben Londoner Gegend auf wie Jones, auf der südwestlichen Seite von Shepherd’s Bush – eine große, vorrangig proletarische Gegend, die sich im Westen direkt an die reiche Londoner Innenstadt anschließt und sich hauptsächlich aus viktorianischen Reihenhäusern zusammensetzte. Mitte der 60er Jahre war Shepherd’s Bush vor allem eine Gegend der Mods und der Tummelplatz der Who. In Richtung Hammersmith waren die Wohnverhältnisse eher kunsthandwerklich: »Steve wohnte bei mir um die Ecke«, sagt Cook, »was eine sehr angenehme Gegend ist. Wir sind in verschiedene Grundschulen gegangen, aber seine Mutter kannte meine Mutter.«

      Jones war eigensinnig und furchtlos, aber Paul Cook war das Fundament. Bis heute hat er sich eine gewisse Stabilität bewahrt: Von allen Hauptfiguren im Drama der Sex Pistols ist er noch immer der ungekünsteltste. Er wurde am 20. Juli 1956 geboren, das zweite von drei Kindern und der einzige Junge. Sein Vater war Zimmermann und Schreiner, seine Mutter ging Gelegenheitsarbeiten nach. Die Familie war stabil, und er wuchs zu einem hart arbeitenden, »ruhigen und gewissenhaften« Jugendlichen heran, bis er mit Steve Jones herumzuhängen begann. Seine Zeugnisse wurden immer schlechter.

      »Eine bestimmte Gruppe von uns interessierte sich immer für Musik«, sagt Cook, »und das, was gerade in war, und so wurden wir Freunde. Wenn ein Club angesagt war, sind wir hingegangen: Es war immer Reggae, Motown. Ich mochte damals keine Rockmusik. Ich bin gern dort aufgewachsen, stellte ständig irgendwas an. Es gab so viel zu tun: Es gab ganz London zu erkunden.«

      Mit 15 verließ Jones seine Eltern und lebte bei seinem Freund Stephen Hayes, bevor er bei den Cooks einzog. Die drei führten meistens irgendetwas im Schilde: Jones war der aktive Anstifter und Cook derjenige, der bisweilen unwillig mitmachte. »Er war nie einer, den es zu Schurkereien trieb«, sagt Jones. Sie schwänzten systematisch die Schule, und wie sich Cook erinnert, fanden sie bald einen Stützpunkt.

      »Es gab da diesen Typen namens Wally, der um die Ecke der Schule in der Hemlock Road wohnte, und mit fünfzehn waren wir immer bei ihm zu Hause. Er spielte Gitarre, und uns gefiel die Idee, mit ihm zusammenzuspielen.«

      »Es hätte jeder andere sein können«, sagt Warwick Nightingale, der erste Gitarrist der entstehenden Gruppe. »Paul war in meiner Klasse, Steve war eine Klasse drunter. Da waren 1200 Kinder: Es war eine harte Schule. Ich kam durch das erste und zweite Jahr, aber im dritten Jahr hatte ich alles durchschaut und hörte auf, hinzugehen. Ich versuchte, eine Band zusammenzukriegen. Ich hatte eine Gitarre und einen Verstärker, eine Les Paul-Kopie. Nachdem ich die Schule verlassen hatte, hing ich mit ihnen herum, weil ich Steve mochte. Er war lustig, und er sorgte dafür, dass etwas passierte.«

      Das Ritual des Popstars fordert Opfer, und es war Warwick Nightingales Los, der Pete Best der Sex Pistols zu werden, rausgeschmissen vor dem Erfolg. Wally, die Abkürzung seines Taufnamens, bedeutet umgangssprachlich Idiot, und als solcher ging er in den Sex-Pistols-Mythos ein. Heute ist er in sich gekehrt, verdrossen, neigt zu Okkultismus und lebt in zerrütteten Familienverhältnissen. Warwick wanderte in den frühen 80er Jahren wegen Drogendelikten ins Gefängnis. Es überrascht nicht, dass seine Erzählungen über diese Jahre bitter sind. »Keiner der beiden hätte eine Band gegründet«, sagt er.

      »Paul war ganz in Anspruch genommen von seiner Lehre als Elektriker. Steve wäre ein Kleinkrimineller geworden, ganz einfach. Stephen Hayes endete als Punk, eine schwache Persönlichkeit. Ich war der einzige, der spielen konnte.«

      Anfänglich waren die Sex Pistols ein Vorwand, die Schule zu schwänzen. Steve Jones und seine Satelliten hatten die Pop-Phantasie der Verwandlung voll und ganz akzeptiert, aber sie waren gewöhnliche Jugendliche, hatten ihre Nasen gegen das Schaufenster gedrückt, und es gab keine Möglichkeit für sie, hineinzukommen. Der Mainstream-Pop jener Tage war Rock, der phantastisch, teuer und noch immer von der Mod-Generation der mittleren 60er Jahre bevölkert war, inzwischen zehn Jahre älter als die Sechzehnjährigen, für die sie zurückhaltende Hymnen komponierten. Steve Jones wollte Rod Stewart sein, aber was für eine Chance hatte ein Haufen schmuddeliger Prolls aus Wormholt?

      Jones beschloss, das Problem auf die ihm einzig bekannte Weise anzugehen. »Wir haben es immer irgendwie geschafft, umsonst reinzukommen, wenn Steve da war«, sagt Warwick, »es machte uns nichts aus, auch mal eine Tür einzuschlagen. Wir fuhren nach Wembley, um die Faces und die Dolls zu sehen. Um reinzukommen, mussten wir die Türfüllung rausreißen. Wir gingen ganz nach vorn, dann hinter die Bühne, tranken Backstage ihre Drinks. Rod Stewart stand einfach nur da. Wir tranken ihren ganzen Champagner und hatten viel Spaß. Sie wussten nicht, wer zum Teufel wir waren, sie ließen uns einfach machen.«

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      Von links nach rechts: Steve Jones, Warwick Nightingale und Paul Cook, Anfang 1974 (Im Besitz von Warwick Nightingare)

      »Zu dieser Zeit liefen wir auf der King’s Road rum und besorgten uns die Klamottten an den gleichen Orten wie sie – Alkasura, Granny Takes A Trip. Steve klaute das Zeug, weil er dieselben Klamotten tragen wollte wie Rod Stewart. Da war ein Typ namens Tommy Roberts: Wir haben ihn ausgenommen, nahmen jedes einzelne Kleidungsstück, das er in dem City Lights Laden hatte. Dort ließen sich David Bowie und Bryan Ferry ihre Anzüge machen. Wir zogen diese ganzen Klamotten an und fuhren in einem gestohlenen Jaguar die King’s Road runter zum Drug Store oder zum Roebuck

      Nachdem es beschlossene Sache war, eine Band zu gründen, ging Jones im Winter 1972-73 methodischer vor. Die nächsten drei Jahre klapperte er die Häuser der angesagten Popstars ab: Diejenigen, die er mochte, beklaute er. »Es war der Reiz, es zu tun, die Aufregung, das Abenteuer«, sagt er. Nur dann fühlte er sich lebendig. Aus Ronnie Woods Villa in Richmond Hill stammte ein Pelzmantel, aus dem Haus von Keith Richards im Cheyne Walk ein paar Klamotten und ein Farbfernseher. Dringender aber war die Beschaffung von Instrumenten und einer PA für die Anfängerband. »Dadurch hatten wir etwas, um unsere Energien zu kanalisieren«, sagt Paul Cook. »Wir wussten, dass wir eine Band wollten, und wir konnten uns unmöglich eine Ausrüstung leisten, also haben wir sie gestohlen.«

      Es war stets ein faires Spiel, und je riskanter es war, desto besser. Einige Teile eines Premier Schlagzeugs wurden aus den BBC-Studios in Shepherd’s Bush entfernt: Paul Cook sparte, um den Rest zu kaufen. Er war der einzige, der damals arbeitete. Der größte Teil der PA stammte aus einem Laster, der in der Nähe des Flusses in Hammersmith parkte und einer Kabarett-Gruppe gehörte. Zwei Ständer und ein Verstärker wurden einer Reggae-Band in Watford geklaut. Einen Fender Bass ließ man aus einem Transporter in Acton mitgehen, und ein Strobe Tuner war die Beute nach einem Roxy-Music-Konzert. Zwei Gitarren, einschließlich einer echten Les Paul, stammten aus Rod Stewarts Villa in Windsor.

      Den größten Coup landete die Bande im Juli 1973. David Bowie, damals auf dem Höhepunkt seines ersten Berühmtheitsschubs, gab ein großes Konzert im Hammersmith Odeon. Das Ereignis sollte von D.A. Pennebaker für eine spätere Kinoaufführung gefilmt werden. Der Einlass war für sie kein Problem, da sie dort Stammgäste waren. Drin versteckten sie sich bis nach Einbruch der Nacht. »Da war ein Sicherheitsbeamter, aber der schlief«, sagt Warwick. »Wir gingen mit einer Zange auf die Bühne und schnitten die Kabel durch. Wir packten die ganze PA, jedes einzelne Mikrofon ein. RCA nahm das Konzert auf, also standen da Neumann-Mikrofone herum, ungefähr fünfhundert Pfund pro Stück. Vorher hatte Steve einen Minibus geklaut, um das Zeug wegzukarren. Ich und Steve waren es gewesen: Paul wollte nicht mitkommen.«

      Jetzt hatten sie die Ausrüstung, aber was sollten sie spielen? In einer seltsamen Hommage hatten sie jene Gruppen bestohlen, die waren, wie sie sein wollten. Ihre kriminelle Vorliebe verweist auf eine Art Pop, die die Jugendlichen der Arbeiterklasse 1973 attraktiv fanden. Es bestand ein gewisser Widerspruch zwischen dem Jungsrock von Rod Stewart, Gary Glitters Stadiongesängen und dem sexuell zweideutigen Hard-Rock von David Bowie und Roxy Music. Die Faces zeigten, dass Rock gutgelaunte Kameradschaftlichkeit nicht ausschloss, während David Bowie und Roxy Music trotz des Lurex-Glanzes den Ideen Vorrang einräumten.

      Der Autodidakt Bowie verstand instinktiv, dass


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