England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage

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England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe] - Jon  Savage


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»Viva Rock’n’Roll-Faschismus«, schrieb Nick Kent Ende jenes Jahres, während McLaren es einfach nur auf die Checkliste der Komponenten setzte, die die Dolls so großartig machten.

      Die Tourneen mit den Dolls ließen McLaren erkennen, dass er nicht so alleine war, wie er geglaubt hatte. Viele verschiedene Leute hatten gleichzeitig gute Ideen, und was er in London gesucht hatte, war in Paris bereits angestoßen worden. »1973«, erzählte Marc Zermati Chris Salewicz in The Pretenders, »nannten wir uns Punks. Wir mochten diese präpsychedelischen Gruppen wie die Shadows of Night sehr.

      McLaren kam in meinen Laden, als er da war, um die New York Dolls zu sehen. Die Szene in Paris war damals echt in Bewegung geraten. Es passierte eine ganze Menge.«

      Zermati, ein sehr engagierter Mann, führte im Viertel Les Halles in Paris einen Laden, The Open Market, wo er 60er Jahre Punk unter dem Titel »Nuggets« verkaufte. Dieser Sampler von Lenny Kaye wurde in England nur vereinzelt wahrgenommen, aber in Paris löste er einen Kult aus, dessen Hohepriester Yves Adrian war, Journalist beim französischen Monatsmagazin Rock and Folk. Zermati gründete außerdem ein Label, Skydog Records, dessen erste Veröffentlichung eine Live-EP der Flamin’ Groovies war, eine der wenigen prägnanten Rock’n’Roll-Gruppen, die es damals gab. Ebenfalls auf dieser Fahrt traf McLaren Charles Castebaljac, einen jungen Designer, dem die Ähnlichkeit ihrer Ideen aufgefallen war.

      Anfang 1974 kehrte McLaren nach London zurück und hatte einiges aufzuholen. Er bearbeitete Nick Kent: »Ich hatte meine erste Unterredung mit ihm im Laden«, erinnert sich Kent. »Wir sprachen über die Ronettes. Ich ging ziemlich oft dort vorbei: Granny Takes A Trip, wo sich Keith Richard damals sein Heroin besorgte, war nur die Straße runter. Ich hing da rum mit ein paar Amerikanern. Gene Krell und Marty Breslau. Der Spanier Tony Sanchez, der später Up and Down with the Rolling Stones schrieb, war immer da. Eines Tages, wir saßen rum und redeten, kam Malcolm rein: Ich dachte ›Mein Gott, dieser Typ ist wirklich in einem schlimmen Zustand‹. Er trug ein Tweed-Jackett, Kunstlederhosen, kleine Schuhe und lockiges Haar. Seine Krawatte war wirklich sehr nervös. Ungefähr zur gleichen Zeit schrieb ich einen Artikel über die Dolls mit dem Titel ›Auf Wiedersehen Androgynität‹, in dem ich behauptete, dass Glam-Rock gescheitert sei, weil jeder Idiot mit einem Bart Make-up auflegte, und dass man das wieder loswerden müsste. Die Leute sollten wieder über vorzeitige Ejakulationen singen, über Dinge, die einem Teenager-Publikum etwas bedeuteten, statt so zu tun, als seien sie schwul, obwohl sie es nicht sind. Bowie wurde seicht, Bryan Ferry war auf dem Gatsby-Trip, und ich dachte, ›Das war’s, es ist vorbei.‹ Es hätte ein paar interessante Einsichten bringen können, aber unter den Bands waren die Dolls die einzigen Retter, die übrig blieben. Malcolm liebte den Artikel, und wir kamen uns näher. Er wollte alles wissen, was zwischen 1963 und 1974 passiert war. Für ihn war Billy Fury der Archetypus. Malcolm war verrückt nach Larry Parnes. Er betete ihn an. Er behauptete, er habe die Rolling Stones in Eel Pie gesehen und dann aufgehört, sich dafür zu interessieren. Also erzählte ich ihm von den Doors und Jimi Hendrix.Er fing an, ständig auf Konzerte und in Clubs zu gehen, und stellte Nachforschungen an.«

Foto

      Malcolm McLaren vor World's End, März 1974 (© Pennie Smith)

      Das Hauptproblem, die Langeweile, blieb aber bestehen. McLaren suchte die Stadtlandschaft nach Vorzeichen ab. »Überall das gleiche, ob in NY oder hier«, kritzelte er Frühjahr 1974 in ein Geschäftsbuch: »In NY stoßen mehr Leute öfter aufeinander. London – Leute versuchen, an einem Ort viele andere Leute zu treffen. Aber wenn es nur ein paar gibt, dann haben sie das Gefühl, sich zu verschwenden. Leute spüren ihre eigenen Möglichkeiten durch diffuse Aufregung. Sie wollen, aber sie nutzen sie nicht. Sie halten nur die Heiterkeit wach, bis sie müde werden.« Wie lässt sich die Büchse der Pandora öffnen?

      Beflügelt von dem, was er in Paris und in New York gesehen hatte, wollte McLaren Nummer 430 rasch in die Gegenwart versetzen. Der Laden hatte bereits den toten Punkt erreicht, an den die meisten Secondhand-Läden gelangen: Was passiert, wenn der gute Bestand aufgebraucht ist? »Ich wollte einfach etwas Neues, ich wusste nicht was, aber die Vorstellung von irgendeinem Retrokram konnte ich nicht mehr ertragen. Schwarz schien die beste Farbe zu sein: Wo schwarz war, hatten wir die aufregendsten Ideen.«

      »Ich beschloss einen Laden zu eröffnen, der strikt auf schwarz und eigene Entwürfe ausgerichtet war, der diese ganze Sex-Kleidung anbieten würde, die es normalerweise nur als Fetisch-Klamotten gibt, die wir aber als Straßenkleidung verkaufen würden.« McLaren und Westwood nahmen Kontakt zu Speziallieferanten von Gummi und Lederkleidung auf: John Sutcliffe bei Atomage und London Leatherman in Battersea.

      Um in das neue Konzept zu passen, musste 430 komplett auf Vordermann gebracht werden. McLaren und Westwood schlossen Too Fast to live, Too young to Die im April 1974. Die Renovierungsarbeiten nahmen mehrere Monate in Anspruch. Ein Maurer wurde bestellt, aber er konnte die Aufgaben nicht erfüllen und ließ den Laden unter einem Haufen Schutt zurück. »Diese ganzen Teddy Boys haben wie wahnsinnig an die Tür geklopft, und wir mussten Schuhe aus Kisten heraus verkaufen«, sagt McLaren, »überall lag Staub und Scheiße, der Laden war in tausend kleine Splitter zerschlagen.« McLaren und Westwood mussten alles selbst renovieren.

      McLaren und Westwood waren ganz besessen von der Vorstellung, etwas Weiches als Wandverkleidung zu nehmen: Gummi war zu teuer, um damit den ganzen Laden auszukleiden, aber dann fanden sie ein dünnes, schwammartiges Material auf der Fahrt zur Pentonville Rubber Company. McLaren suchte ein Grau aus und rollte es wie eine Tapete. Es war durchsetzt mit kleinen Knäueln, die wie Nähte aussahen. Dieses Design wurde auch an der Decke angebracht, so dass das Innere des Ladens wie eine Gebärmutter aussah.

      »Nachdem das erledigt war, wurde mir klar, dass noch etwas fehlte«, erinnert sich McLaren. »Etwas Irres und straßenmäßiges musste her. Ich besorgte ein paar Spritzpistolen und suchte Sätze aus Fetischbüchern heraus – wie Alex Trocchis School for Wives –, das schließlich auf T-Shirts gedruckt wurde.« Graffiti wurden an den Wänden angebracht: Sätze wie »Does passion end in fashion?« oder Zitate der King-Mob-Heldin Valerie Solanas. Der Sturm der Verweise wurde durch ein Pro-Situ-Epigramm gekrönt: »Es gilt jetzt die Vorstädte so schnell wie möglich zu verlassen.«

      Als nächstes war das Gesicht des Ladens dran. Auf dem Fenstersturz wurde ein Slogan von Rousseau gesprüht: »Kunstfertigkeit braucht Kleider, aber die Wahrheit liebt es, nackt zu erscheinen.« Die Ausstellungsflächen in den Fenstern links und rechts der Tür wurden ebenfalls mit dem Material aus Schwamm verkleidet, diesmal in einer hautähnlichen, blassen Aprikosenfarbe. In ein Fenster stellte McLaren einen alten farbverspritzten Holzstuhl, über dessen Lehne er eine Let It Rock-Lederjacke hängte. Der Name stand noch nicht fest. Im Mai spielte McLaren noch mit einem Zitat aus einem Pornoheft: »Die schmutzige Stripperin, die ihre UNTERWÄSCHE auf dem Geländer hängenließ, um trampen zu gehen, sagte, du GLAUBST doch nicht, dass ich mich all die Jahre nur für GELD ausgezogen habe?«

      Im anderen Fenster waren außergewöhnliche Zeichnungen zu sehen, die auf die existentiellen Wurzeln des Nachkriegsutopismus zurückgriffen: Unterschrieben mit Tabou (nach dem Club), bildeten sie das Leben an der Rive Gauche auf pikaresken Vignetten ab. Die Themen reichten von der Trunkenheit der Beatniks bis zu schicker Verslummung. McLaren behauptet, er habe sie einem Mann abgekauft, der einfach von der Straße hereinkam: »So war die King’s Road damals.« Die Tabou-Zeichnungen zeigen die Existentialisten als Lettristen, mit Schriftzügen auf der Kleidung. Die Slogans, die die Wände schmückten, tauchten bald auch auf McLarens und Westwoods neuer Kleidung auf.

      Die griffigen Oberflächen im Laden passten zu den neuen Klamotten, die den Körper betonten. Nach zwei Jahren Schneiderei fand Vivienne zu ihrem eigenen Stil, verwandelte ihre Unerfahrenheit in einen Vorteil. Eines Tages hantierte sie mit zwei einfachen quadratischen Stücken Stoff und versuchte, ein T-Shirt mit Ärmeln zu machen. Dann dachte sie: »Wieso soll ich mich mit den Ärmeln plagen?« und nähte die beiden Quadrate grob zusammen, die Nähte so stark wie möglich hervorgehoben, ließ Löcher für Kopf und Arme. Es passte sich dem Torso auf


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