England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage

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England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe] - Jon  Savage


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T-Shirts wurden das wichtigste Modeerzeugnis des neuen Ladens, die strenge Fetischkleidung aus Gummi, Leder und Vinyl war die kommerzielle Grundlage. Sexuell Abwegiges wurde erschlossen: McLaren verhielt sich wie ein klassischer Unternehmer, versuchte jede Nachfrage zu erfüllen. An den Wänden und Balken aufgereiht hingen aufblasbare Gummimasken, Peitschen, Ketten, spitzenartige Gummipetticoats und Stiefel mit phantastischen, 20 cm hohen Absätzen, die auf Stecknadelbreite heruntergefeilt waren.

      »Das Tolle daran war«, meint Chrissie Hynde von den Pretenders, »dass sie alles machten, was eine Antithese zur Mode darstellte. Es hat mir wirklich gefallen, weil es durchsetzt war mit diesen ganzen jungfräulichen Eigenschaften, dieser Aufmerksamkeit fürs Detail. Ich fing an, in diesem Zeug herumzulaufen, im Gummirock, mit Netzstrümpfen und diesen hochhackigen Schuhen: Es war der erste Laden, den ich je gesehen habe, bei dem ich dachte ›Ich kann diesen Kram tragen und muss nie wieder in einen anderen Laden gehen.‹ Es war sehr hip und gut durchdacht.«

      Nach ihrer Ankunft in England 1973 führte Hyndes Stärke und ihre Hingabe an den Hard-Living-Rockmythos sie rasch zu Nick Kent und durch ihn zu Malcolm und Vivienne. »Ich begann für den NME zu schreiben«, sagt sie. »Dann wurde ich ›Chrissie Hynde vom NME‹, was mir nicht gefiel. Die Szene war 1974 so schlecht, dass es nichts gab, worüber man schreiben konnte. Der Wendepunkt für mich beim NME war, als sie eines Tages zu mir sagten: ›Wir wollen, dass du nochmal einen Blick auf Velvet Underground wirfst‹, und ich habe drüber nachgedacht. Warum denn immer zurückblicken? Wenn man in diesem Laden arbeitete, schien so viel mehr zu passieren, als wenn man in die Vergangenheit zurückblickte, also bin ich gegangen. Den Job hatte ich nicht lange. Eines Tages, als wir schlossen – Malcolm war auch da – kam Nick Kent in den Laden. Er dachte, ich wäre mit jemand anderem zusammen, also zog er den Gürtel aus den Schlaufen, auf dem große Münzen befestigt waren, wirklich billig und eklig, und begann, mich damit zu peitschen. Ich fiel zu Boden, rannte in den Umkleideraum. Malcolm versteckte sich unter dem Tresen. Ich habe immer noch eine winzige Narbe. Am nächsten Tag sagte Malcolm: ›Es gerät zuviel durcheinander, wenn du hier arbeitest.‹ Also ging ich ein paar Tage später zu zwei Plattenfirmen, besorgte mir ungefähr vierzig Platten, verkaufte sie und besorgte mir ein Ticket nach Paris.«

      Mit ihrem radikalen Neuentwurf hatten McLaren und Westwood es darauf angelegt, endgültig mit den Teds zu brechen. Einige wenige Let It Rock-Gegenstände blieben, wie die Schuhe zum Beispiel, die Satinkrawatten und die Jerry-Lee-Lewis-T-Shirts. Aber die Absicht war klar, und die schroffe Abfuhr brachte ihnen die unüberwindliche Feindschaft einiger Hardcore-Teds ein.

      Innerhalb von zwei Jahren hatten McLaren und Westwood durch ihren Handel und ihre Reisen gelernt, wie Subkulturen funktionieren, sowohl kulturell wie kommerziell: dass Dazugehörigkeit keine Nebensache war, sondern einen rasenden, hingebungsvollen Lebensstil einschloss, dass althergebrachte Konventionen missachtet wurden, gleichzeitig aber ein strenger Verhaltenskodex befolgt werden musste. 1973 hatten sie gesehen, wie diese Subkulturen mit Medien, Musik und der Modeindustrie interagierten. Obwohl sie es nicht analysierten, hatten beide das Gefühl, dass es an der Zeit sei, damit anzufangen, diese Erfahrung mit ihren politischen Intentionen zu koppeln.

      An diesem Wendepunkt gab McLaren sein erstes längeres Interview. Im April 1974 schrieb Nick Kent im New Musical Express einen Artikel über die Schnittstelle zwischen Pop und Mode. Er hatte den Titel »The Politics of Flash« und handelte von den Modemachern jener Tage. Ein Bild von McLaren, das ihn mit hohen Absätzen, Nietenhosen und Mohairpullover zeigt, war unterschrieben mit: »Kleidet die New York Dolls und andere ein.« Kent spricht eine sehr andere, sehr neue Sprache: »McLaren betrachtet das Ganze als künstlerische Aussage. Kleidung wird immer transsexueller und ... Malcolm versucht, das Interesse des bekannten Philosophen R.D. Laing dafür zu wecken, Anzüge für ihn zu entwerfen.«

      Im Mai 1974 schrieb McLaren in einem Brief über die neuen Entwürfe für den Laden und erwähnt, dass er noch immer »verdammt noch mal versucht, den Anzug zu verkaufen. Bis jetzt kein Glück. Hoffentlich bald. Weil ich nach New York gehe, wenn ich ihn verkauft habe. Dieses Mal will ich für längere Zeit kommen.« Der Brief endet mit seinem neuesten Einfall: »Ich habe Texte für ein paar Songs geschrieben, einer heißt ›Too fast to Live, too Young to Die.‹ Ich habe die Vorstellung von einem Sänger, der aussieht wie Hitler, diese Gesten, Armbinden etc., und der auf inzestuöse Weise über seine Mutti spricht.«

Foto

      Steve Jones im Furniture Cave, Anfang 1974, (mit freundlicher Genehmigung Warwick Nightingale)

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      »Ohne Steve Jones hätte es keine Band gegeben«, sagt McLaren, »weil Steve ein Straßenkind ist. Er war derjenige, der ständig geklaut hat, derjenige, den ich schnappen musste, und schließlich kam es dabei zu dem schicksalsträchtigen Augenkontakt. Ich wurde von ihm verführt. Es war wie bei Larry Parnes und Billy Fury. Man hatte diesen unglaublichen, geheimen Augenkontakt. Man musste nicht über T.S. Eliot oder Gene Vincent sprechen, es gab da einfach eine Art gegenseitiges Verstehen.«

      Die offizielle Betrachtungsweise der Sex Pistols ist, dass McLaren einer Gruppe von Losern zu internationaler Bekanntheit verhalf, dass er das A und O der Gruppe war. Tatsächlich war es Steve Jones, der als erster die Idee hatte, die Band oder irgendeine Band mit McLaren zusammenzubringen. Er suchte sich McLaren aus, nicht umgekehrt. Es war Jones’ Beharrlichkeit und schließlich seine Präsenz, die den ruhelosen, aber ehrgeizigen Ladenbesitzer davon überzeugte, sich für die Band einzusetzen, aus der die Sex Pistols entstanden.

      »Man braucht den groben Rohstoff der Arbeiterklasse und Mittelklassekids, damit die Gruppe funktioniert«, sagt Bernard Rhodes, der für die anfängliche Richtung der Sex Pistols ebenso verantwortlich war wie McLaren. Pop ist eines der wenigen Gebiete in der englischen Gesellschaft, wo Mitglieder verschiedener Klassen sich unter annähernd gleichen Bedingungen begegnen. Seine Geschichte steckt voller Wechselwirkungen zwischen oft jüdischen und häufig homosexuellen Unternehmern aus der Mittelklasse und männlichen Künstlern aus der Arbeiterklasse. Wenn Sex keine Rolle spielt, dann aber auf jeden Fall eine Art Phantasie: Der Künstler lebt aus, was der Manager selbst aufgrund seines Alters oder seiner Hemmungen nicht ausleben kann.

      McLaren war völlig eingenommen von Larry Parnes, dem Nestor des englischen Rock’n’Roll und dem Begründer dessen, was wir heute unter englischer Musikindustrie verstehen. In den späten 50er Jahren versammelte und managte Parnes eine Reihe englischer Rock’n’Roll-Sänger mit schillernden Pop-Namen: Billy Fury, Vince Eager, Duffy Power, Dickie Pride. Er war McLarens Vorbild. »Malcolm erklärte mir ganz unverblümt, dass Johnny Kidd größeren Einfluss auf seine Generation ausgeübt habe als Bob Dylan«, sagt Nick Kent, »er war verliebt in den Mythos des Rockstars aus der Arbeiterklasse, der kaum fähig war, sich klar auszudrücken.«

      Steve Jones und McLaren passten so perfekt zueinander wie Artful Dodger und Fagin in Dickens’ Roman Oliver Twist. Geboren am 3. September 1955 war Steve das einzige Kind eines Profi-Boxers und einer Friseuse. »Ich wuchs in der Nähe der Goldhawk Road auf«, sagt er. »Kleine Straßen. Westinder und Iren. Wild.« Seine Kindheit verlief durch die gescheiterte Ehe der Eltern und der darauffolgenden erneuten Heirat seiner Mutter traumatisch. Jones verstand sich nicht mit seinem Stiefvater, und die ersten Schwierigkeiten tauchten in der Schule auf, die er bereits sehr früh schwänzte.

      Trotz seiner ausgesprochenen Schlagfertigkeit blieben seine verbalen Fähigkeiten unterentwickelt, und als er seine Teenagerzeit hinter sich hatte, bereitete es ihm große Mühe, zu lesen und zu schreiben. Seine eigentliche Ausbildung holte er sich von der Straße, wo er sich schnell die Fähigkeit erwarb, Situationen auf einen Blick einschätzen zu können, die anderen mit umfassenderer Bildung oft versagt bleibt.

      »Ich war Skinhead«, sagt er, »bin zu Fußballspielen gegangen und habe Randale gemacht. Queens Park Rangers, Chelsea, Fulham. Habe nie das Spiel gesehen. Aufmischen hinterher unten am Shepherd’s Bush Market, das war’s.«

      Jones war unbezähmbar, aber hinter dieser sturen Einstellung war er sensibel und überraschend verletzlich. Seine Frustration entlud sich in Hyperaktivität.


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