Sie und Er. George Sand

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Sie und Er - George Sand


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war, nachdem er ihm zehnmal das Versprechen abgenommen hatte, sich mit der Abfahrt zu beeilen, stürzte Laurent auf die Treppe hinaus, um den Prinzen zu bitten, er solle doch auf ihn warten, und um ihm zu sagen, er lasse die Angelegenheit fallen und könne doch gleich mitfahren; aber er rief ihn nicht zurück und begab sich in sein Zimmer, wo er sich auf sein Bett warf.

      ›Warum verschließt sie mir für zwei Tage ihre Türe? Da steckt etwas dahinter. Und wenn sie mich schließlich für den dritten Tag bestellt, dann nur, damit ich bei ihr einen Engländer oder Amerikaner treffe, den ich gar nicht kenne! Sie dagegen, sie kennt diesen Palmer sehr wohl, den sie bei seinem Kosenamen nennt! Wieso hat er mich dann um ihre Anschrift gebeten? Um mir etwas vorzumachen? Warum sollte Thérèse mir etwas vormachen? Ich bin nicht ihr Geliebter, ich habe keinerlei Anrecht auf sie! Der Geliebte von Thérèse! Das werde ich bestimmt nie sein. Gott bewahre mich davor! Eine Frau, die fünf Jahre älter ist als ich, vielleicht sogar mehr! Wer kennt schon das Alter einer Frau, und noch dazu dieser Frau, von der niemand etwas weiß! Hinter einer so geheimnisvollen Vergangenheit muss sich irgendeine Riesendummheit verbergen, vielleicht eine handfeste Schande. Und zu alledem gibt sie sich spröde oder fromm oder philosophisch, wer weiß das schon? Über alles spricht sie so unvoreingenommen oder so tolerant, so unbefangen … Weiß man denn, was sie wirklich denkt, was sie will, was sie liebt, und ob sie überhaupt fähig ist zu lieben?‹

      Da platzte Mercourt herein, ein junger Kritiker, ein Freund von Laurent.

      »Ich weiß«, sagte er zu ihm, »Sie wollen nach Montmorency rausfahren. Ich komme auch nur auf einen Sprung, ich mochte Sie lediglich um eine Adresse bitten, und zwar um die von Fräulein Jacques.«

      Laurent fuhr zusammen.

      »Und was zum Teufel wollen Sie von Fräulein Jacques?«, antwortete er und tat so, als suche er Papier, um sich eine Zigarette zu drehen.

      »Ich? Nichts … das heißt, doch! Ich möchte sie gern kennenlernen; ich kenne sie nur vom Sehen und Hörensagen; nach der Anschrift aber frage ich für jemanden, der sich gern malen lassen möchte.«

      »Sie kennen Fräulein Jacques vom Sehen?«

      »Und ob! Sie ist doch jetzt ganz berühmt, und wem wäre sie wohl nicht aufgefallen? Sie ist wie geschaffen dafür.«

      »Finden Sie?«

      »Nun ja! Sie etwa nicht?«

      »Ich? Ich weiß nicht. Ich habe sie sehr gern, ich bin da nicht ganz unbefangen.«

      »Sie haben sie sehr gern?«

      »Ja, wie Sie sehen, spreche ich das sogar aus, was wiederum beweist, dass ich ihr nicht den Hof mache.«

      »Sehen Sie sie häufig?«

      »Ab und an.«

      »Dann sind Sie also ihr Freund … ernsthaft?«

      »Na schön, ja, ein wenig … Warum lachen Sie?«

      »Weil ich kein Wort davon glaube; mit vierundzwanzig ist man nicht der ernsthafte Freund einer Frau, die … jung und schön ist!«

      »Unsinn! Weder ist sie so jung noch so schön, wie Sie sagen. Sie ist eine gute Freundin, recht angenehm anzuschauen, weiter nichts. Dennoch gehört sie zu einem Typ, den ich gar nicht schätze; und ich muss mich zwingen, ihr nachzusehen, dass sie blond ist. Blondinen mag ich nur in der Malerei.«

      »So blond ist sie nun auch wieder nicht! Sie hat sanfte schwarze Augen, ihr Haar ist weder braun noch blond, und sie versteht sich darauf, es in ganz besonderer Weise zu frisieren. Übrigens steht ihr das, sie sieht aus wie eine gutmütige Sphinx.«

      »Das ist ein hübsches Wort; aber … Sie persönlich, mögen Sie denn große Frauen?«

      »Sie ist nicht sehr groß, sie hat kleine Füße und kleine Hände. Sie ist eine richtige Frau. Ich habe sie mir genau angeschaut, weil ich in sie verliebt bin.«

      »Sieh mal einer an, wie kommen Sie denn dazu?«

      »Ihnen macht das doch wohl nichts aus, da sie Ihnen als Frau nicht besonders gefällt?«

      »Mein Lieber, und wenn sie mir gefiele, es wäre genau dasselbe. In diesem Fall würde ich es vorziehen, mich mit ihr besser zu stellen als augenblicklich; aber verliebt wäre ich nicht, das ist ein Zustand, von dem ich nichts halte; folglich wäre ich auch nicht eifersüchtig. Führen Sie Ihren Vorsatz unverdrossen aus, wenn es Ihnen denn so beliebt.«

      »Ich? Ja, wenn sich die Gelegenheit bietet; aber ich habe keine Zeit, sie zu suchen; und im Grunde bin ich wie Sie, Laurent, und neige durchaus zu Geduld, da ich ja in einem Alter bin und in einer Welt lebe, wo es an Vergnügungen und Freuden nicht mangelt … Doch da wir schon von dieser Frau sprechen und Sie sie kennen … so sagen Sie mir doch … und das ist meinerseits reine Neugier, was ich Ihnen hiermit ausdrücklich versichere … ob sie nun Witwe ist oder …«.

      »Oder was?«

      »Ich wollte sagen, ob sie die Witwe eines Liebhabers ist oder die eines Ehemannes.«

      »Ich habe keine Ahnung.«

      »Nicht möglich!«

      »Ehrenwort! Ich habe sie nie danach gefragt. Das ist mir auch völlig gleichgültig!«

      »Wissen Sie, was über sie geredet wird?«

      »Nein, darum kümmere ich mich überhaupt nicht. Was wird denn geredet?«

      »Sehen Sie, nun kümmern Sie sich doch darum! Es heißt, sie sei mit einem reichen Mann von Stand verheiratet gewesen.«

      »Verheiratet …«.

      »Richtiggehend verheiratet, vor dem Standesbeamten und dem Priester.«

      »Dummes Zeug! Sie würde seinen Namen und seinen Titel tragen.«

      »Ach!, das ist es ja eben. Dahinter steckt ein Geheimnis. Wenn ich Zeit habe, werde ich versuchen, das herauszubekommen, und es Ihnen dann mitteilen. Es heißt, sie habe – soweit bekannt – keinen Liebhaber, obwohl sie ein sehr freies Leben führt. Übrigens müssten Sie das doch am besten wissen?«

      »Darüber weiß ich gar nichts. Nein, so was! Nun hören Sie mir mal zu. Glauben Sie womöglich, ich brächte meine Tage damit zu, die Frauen zu beobachten und auszuhorchen? Schließlich bummle ich für meine Person nicht so viel herum wie Sie! Ich finde, das Leben ist sehr kurz, will man leben und arbeiten.«

      »Leben … da will ich nichts sagen. Sie scheinen in vollen Zügen zu leben. Was das Arbeiten anlangt … so heißt es, Sie arbeiteten nicht genug. Sieh mal an, was haben Sie denn dort? Lassen Sie mal sehen!«

      »Nein, das ist nichts, ich habe nichts Neues angefangen.«

      »Aber gewiss doch, dieser Kopf dort … sehr schön, Teufel nochmal! Nun lassen Sie mich schon sehen, oder Sie kommen in der nächsten Kunstausstellung schlecht weg.«

      »Dazu sind Sie durchaus imstande.«

      »Ja, wenn Sie es darauf anlegen; aber dieser Kopf da, der ist einfach ganz herrlich und verdient unbedingt Bewunderung. Was soll das geben?«

      »Weiß ich es?«

      »Soll ich es Ihnen sagen?«

      »Sie würden mir einen Gefallen tun.«

      »Machen Sie daraus eine Sibylle. Sie putzen sie fein heraus, ganz wie Sie wollen. Das verpflichtet zu nichts.«

      »Sieh mal einer an. Das ist eine Idee.«

      »Außerdem wird diejenige, der sie ähnelt, nicht kompromittiert.«

      »Das soll jemandem ähneln?«

      »Wahrhaftig! Sie Witzbold! Glauben Sie vielleicht, ich würde sie nicht erkennen? Nun hören Sie aber auf, mein Lieber, Sie wollen sich wohl über mich lustig machen, wenn Sie alles abstreiten, selbst die klarsten Dinge. Sie sind der Liebhaber jener Gestalt dort!«

      »Zum Beweis, dass dem nicht so ist, fahre ich jetzt nach Montmorency«, sagte Laurent kühl und nahm seinen Hut.

      »Das


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