Sie und Er. George Sand

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Sie und Er - George Sand


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ich hier mit Ihnen, was gar nichts nützt.«

      »Doch! Doch!«, schrie Laurent laut auf. »Diese Tränen tun mir gut, sie haben die ausgetrocknete Stelle benetzt; vielleicht wird mein Herz dort wieder wachsen und schlagen. Ach! Thérèse, Sie haben mir schon einmal gesagt, ich prahlte vor Ihnen mit Dingen, die mich erröten lassen müssten, ich sei wie eine Gefängnismauer. Dabei haben Sie nur eins vergessen: und zwar dass hinter dieser Mauer ein Gefangener sitzt! Wenn ich fähig wäre, die Türe zu öffnen, könnten Sie ihn sehen; doch das Tor ist verschlossen, es ist eine eherne Mauer, und weder mein Wille noch mein Glaube oder mein überströmendes Herz, auch nicht mein Wort vermögen sie zu durchdringen. Werde ich denn so leben und sterben müssen? Was hilft es mir, frage ich Sie, dass ich die Mauern meines Gefängnisses mit phantastischen Malereien beschmiert habe, wenn doch nirgends das Wort ›lieben‹ steht!«

      »Wenn ich Sie richtig verstehe«, sagte Thérèse verträumt, »so meinen Sie, Ihr Werk müsse durch das Gefühl befeuert werden.«

      »Meinen Sie das nicht auch? Ist es nicht genau das, was Sie mir mit allen Ihren Vorhaltungen sagen wollen?«

      »Gerade das nicht! In Ihrer Darstellungsweise ist schon viel zu viel Feuer, und das eben macht Ihnen die Kritik zum Vorwurf. Ich selbst stehe von jeher voller Ehrfurcht vor solchem Überschwang an Jugend, der die großen Künstler hervorbringt und dessen schöne Züge jeden Begeisterungsfähigen daran hindern, nach Fehlern und Mängeln zu suchen. Ich bin weit davon entfernt, Ihre Arbeiten für kalt und hochtrabend zu halten, vielmehr wirken sie auf mich feurig und leidenschaftlich; doch suchte ich immer, wo diese Leidenschaft ihre Wurzeln in Ihnen hat. Jetzt sehe ich es, sie steckt im Verlangen Ihrer Seele. Ja, gewiss«, fügte sie immer noch verträumt hinzu, als ob sie versuchte, die Schleier ihrer eigenen Gedanken zu durchbrechen, »das Verlangen kann eine Leidenschaft sein.«

      »Nun, woran denken Sie?«, sagte Laurent, während er ihren nachdenklich versunkenen Blicken folgte.

      »Ich frage mich, ob ich diese Kraft, die in Ihnen steckt, bekämpfen soll, und ob man Ihnen nicht das heilige Feuer raubt, wenn man Sie dazu überredet, glücklich und ruhig zu sein. Und dennoch … ich meine, das Verlangen kann für den Geist kein Dauerzustand sein, und wenn es sich in der Zeitspanne seines Fieberns hell und deutlich offenbart hat, muss es entweder von selbst fallen oder uns zerbrechen. Was sagen Sie dazu? Hat nicht jedes Alter seine eigene Kraft und besondere Ausdrucksform? Was man unter den verschiedenen Malweisen der Meister versteht, ist das nicht der Ausdruck für die fortgesetzten Wandlungen ihres Wesens? Wird es Ihnen mit dreißig Jahren noch erlaubt sein, nach allem verlangt, ohne irgend etwas festgehalten zu haben? Werden Sie nicht gezwungen sein, über irgendeinen Punkt Gewissheit zu erlangen? Sie sind in dem Alter der Phantasie, doch bald kommen Sie in das Alter der Einsicht. Wollen Sie keine Fortschritte machen?«

      »Liegt es an mir, ob ich welche mache?«

      »Ja, wenn Sie nicht weiter daran arbeiten, das Gleichgewicht Ihrer Fähigkeiten zu stören. Sie werden mich nicht davon überzeugen, dass die Erschöpfung das Heilmittel gegen das Fieber ist; sie ist die unvermeidliche Folge davon.«

      »Welches Fiebermittel empfehlen Sie mir also?«

      »Ich weiß nicht: vielleicht die Ehe.«

      »Entsetzlich!«, rief Laurent aus und lachte schallend.

      Und während er noch lachte, fügte er hinzu – ohne so recht zu wissen, wieso ihm diese Erwiderung einfiel:

      »Es sei denn mit Ihnen, Thérèse! Das ist mir eine Idee!«

      »Reizend«, antwortete sie, »aber vollkommen unmöglich.«

      Die Antwort Thérèses überraschte Laurent durch ihre endgültige, keinen Widerspruch duldende Ruhe, und was er gerade noch als witzigen Einfall gemeint hatte, schien ihm plötzlich ein begrabener Traum zu sein, so als hätte sich dieser in seinem Kopf festgesetzt. Dieser starke und unglückliche Geist war so beschaffen, dass das Wort »unmöglich« genügte, damit er sich etwas wünschte, und eben dieses Wort hatte Thérèse gerade ausgesprochen.

      Alsbald fielen ihm seine Liebesanwandlungen für sie wieder ein und im selben Augenblick auch sein Verdacht, seine Eifersucht und sein Zorn. Bis jetzt hatte ihn der Zauber solcher Freundschaft betäubt und beinahe trunken gemacht; plötzlich wurde er bitter und eisig.

      »Ach! Ja, richtig«, sagte er, griff nach seinem Hut und wollte weggehen. »Das ist das Wort meines Lebens, das sich bei jeder passenden Gelegenheit wieder einstellt, am Ende eines Scherzes genauso wie am Ende einer ernsten Angelegenheit: »unmöglich«. Diesen Feind kennen Sie nicht, Thérèse. Sie lieben still und ruhig. Sie haben einen Liebhaber oder Freund, der nicht eifersüchtig ist, weil er Sie als kalt oder vernünftig kennt! Dabei fällt mir auf, dass die Zeit vergeht und dass draußen vielleicht zahllose ›Vettern‹ stehen und darauf warten, dass ich gehe.«

      »Was sagen Sie da bloß?«, fragte ihn Thérèse bestürzt. »Was für Ideen befallen Sie? Haben Sie Anfälle von Wahnsinn?«

      »Zuweilen«, antwortete er und ging. »Sie müssen sie mir verzeihen.«

      2.

      Am anderen Tag erhielt Thérèse folgenden Brief von Laurent:

      »Meine gute und liebe Freundin, wie habe ich Sie gestern verlassen? Sollte ich irgend etwas Ungeheuerliches zu Ihnen gesagt haben, vergessen Sie es, ich war mir dessen nicht bewusst. Mich hatte ein Schwindel befallen, der auch draußen nicht vorüberging; denn ich gelangte – im Wagen – vor meine Türe und konnte mich nicht erinnern, wie ich eingestiegen war.

      Recht häufig passiert es mir, meine liebe Freundin, dass mein Mund ein Wort sagt, während mein Gehirn ein anderes ausspricht. Bedauern Sie mich und verzeihen Sie mir. Ich bin krank, und Sie hatten recht, das Leben, das ich führe, ist verabscheuungswürdig.

      Mit welchem Recht dürfte ich Ihnen Fragen stellen? Doch eines müssen Sie mir gerechterweise zugutehalten, es ist das erstemal, dass ich eine solche Frage an Sie gerichtet habe … in den ganzen drei Monaten, seit Sie mich allein bei sich zu Hause empfangen. Was geht es mich an, ob Sie verlobt, verheiratet oder verwitwet sind …? Sie wollen, dass keiner das weiß; habe ich versucht, das herauszukriegen? Habe ich Sie gefragt …? Ach! Sehen Sie, Thérèse, heute Morgen ist in meinem Kopf immer noch alles durcheinander, und doch fühle ich, dass ich lüge, und Ihnen gegenüber will ich nicht lügen. Freitag Abend hatte ich meine erste Anwandlung von Neugier, was Sie betrifft, die von gestern war schon die zweite; und das soll die letzte gewesen sein, ich schwöre es Ihnen, und damit nie wieder die Rede davon ist, will ich Ihnen alles gestehen. Neulich war ich also vor Ihrer Türe, das heißt am Gartentor. Ich habe geschaut und habe nichts gesehen; ich habe gelauscht und ich habe vernommen! Schön und gut, was kümmert Sie das? Ich weiß seinen Namen nicht, ich habe sein Gesicht nicht gesehen; doch ich weiß, dass Sie meine Schwester, meine Vertraute, mein Trost, mein Halt sind. Ich weiß, dass ich gestern zu Ihren Füßen geweint habe und Sie mit Ihrem Taschentuch meine Tränen getrocknet und dabei gesagt haben: ›Was tun, was tun, mein armes Kind?‹ Ich weiß, Sie sind klug, fleißig, gelassen, geachtet, weil Sie frei sind und geliebt werden, weil Sie glücklich sind; und dennoch finden Sie die Zeit und die Barmherzigkeit, mich zu bedauern und stets daran zu denken, dass es mich gibt, und zu wünschen, ich solle ein besseres Leben führen. Gute Thérèse, Sie nicht preisen hieße undankbar sein, und so erbärmlich ich auch bin, Undankbarkeit kenne ich nicht. Wann wollen Sie mich empfangen, Thérèse? Mir scheint, ich habe Sie gekränkt. Das fehlte mir gerade noch. Darf ich heute Abend zu Ihnen kommen? Wenn Sie nein sagen, oh! wahrlich, dann muss ich mich zum Teufel scheren!«

      Bei der Rückkehr seines Dieners erhielt Laurent die Antwort von Thérèse. Sie war kurz: »Kommen Sie heute Abend.« Laurent war weder durchtrieben noch eingebildet, obwohl er oft erwog oder versucht war, das eine oder das andere zu sein. Er war aber offensichtlich, wie wir gesehen haben, ein Wesen voller Widersprüche, das wir beschreiben, ohne es zu erklären; dies wäre nicht möglich: manche Charaktere entziehen sich der logischen Analyse.

      Die Antwort von Thérèse ließ ihn erzittern wie ein Kind. Noch nie hatte sie ihm in solchem Ton geschrieben. Sollte er sich bei ihr seinen wohlverdienten Abschied holen? Oder lud sie ihn ein zu einem Abend zärtlicher


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