Sie und Er. George Sand

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Sie und Er - George Sand


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auch war, mit seinem Porträt beginnen. Er hatte sich fest vorgenommen, ihn mit vollendeter Geschicklichkeit auszufragen und ihm sämtliche Geheimnisse von Thérèse zu entlocken. Er fand nicht ein einziges Wort, um zum Thema überzuleiten, und da der Amerikaner gewissenhaft, regungslos und stumm wie eine Statue Modell stand, ging die Sitzung vorüber, ohne dass der eine oder der andere auch nur den Mund aufgemacht hätte.

      Laurent konnte sich also vollauf beruhigen und die gelassene und reine Physiognomie dieses Ausländers gründlich studieren. Palmer war von vollendeter Schönheit, was ihm beim ersten Anblick ein seelenloses Aussehen verlieh, wie es ebenmäßigen Gesichtern oft eigen ist. Bei genauerem Betrachten entdeckte man die Feinheit in seinem Lächeln und das Feuer in seinem Blick. Während Laurent diese Beobachtungen machte, erforschte er das Alter seines Modells.

      »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er unvermittelt zu ihm, »aber ich möchte und muss wissen, ob Sie ein junger Mann sind, der schon etwas müde ist, oder ein reifer Mann, der noch außergewöhnlich frisch ist. So sehr ich Sie auch betrachte, ich werde aus dem, was ich sehe, nicht ganz klug.«

      »Ich bin vierzig Jahre alt«, antwortete Herr Palmer schlicht.

      »Donnerwetter!«, erwiderte Laurent, »Sie müssen eine beachtliche Gesundheit haben!«

      »Eine ausgezeichnete«, sagte Palmer.

      Und er nahm seine ungezwungene Pose mit seinem stillen Lächeln wieder ein.

      ›Das ist das Gesicht eines glücklichen Liebhabers‹, sagte der Maler zu sich selbst, ›oder das eines Mannes, der in seinem Leben immer nur das Roastbeef zu schätzen gewusst hat.‹

      Er konnte dem Verlangen nicht widerstehen, noch hinzuzufügen:

      »Dann haben Sie Fräulein Jacques wohl sehr jung gekannt?«

      »Sie war fünfzehn Jahre alt, als ich sie zum ersten Mal sah.«

      Laurent brachte nicht den Mut auf zu fragen, in welchem Jahr. Ihm war, als stiege ihm jedes Mal die Röte ins Gesicht, wenn er von Thérèse sprach. Was bedeutete ihm überhaupt Thérèses Alter? Was er zu gern erfahren hätte, das war ihre Geschichte. Thérèse schien ihm noch keine dreißig Jahre alt; Palmer konnte für sie früher nur ein guter Freund gewesen sein. Außerdem hatte er eine laute Stimme und eine harte Aussprache. Würde sich Thérèse an ihn gewandt und zu ihm gesagt haben: »Ich liebe nur noch Sie«, dann müsste Palmer irgendeine Antwort gegeben haben, die Laurent gehört hätte.

      Endlich wurde es Abend, und der Maler, der nicht pünktlich zu sein pflegte, erschien noch vor der Zeit, zu der Thérèse ihn für gewöhnlich empfing. Er traf sie in ihrem Garten, gegen ihre Gewohnheit untätig, aufgeregt herumlaufend. Sobald sie ihn sah, ging sie ihm entgegen und ergriff seine Hand, eher gebieterisch als leidenschaftlich.

      »Wenn Sie ein Ehrenmann sind«, sagte sie zu ihm, »so werden Sie mir jetzt alles sagen, was Sie durch dieses Gebüsch hindurch gehört haben. Los, reden Sie, ich höre zu.«

      Sie setzte sich auf eine Bank, und Laurent, irritiert durch diesen ungewohnten Empfang, versuchte sie in Unruhe zu versetzen, indem er ihr ausweichende Antworten gab; doch ihre missbilligende Haltung und ein Gesichtsausdruck, den er an ihr nicht kannte, geboten ihm Einhalt. Die Angst, sich mit ihr unwiderruflich zu überwerfen, ließen ihn ganz schlicht die Wahrheit sagen.

      »Das ist alles, was Sie gehört haben?«, bemerkte Thérèse. »Ich habe zu einer Person, die Sie nicht einmal wahrnehmen konnten, gesagt: ›Sie sind jetzt meine einzige Liebe auf der Welt‹?«

      »Habe ich denn das alles nur geträumt, Thérèse? Ich bin bereit, es zu glauben, wenn Sie es mir befehlen.«

      »Nein, Sie haben nicht geträumt. Ich kann, ja, ich muss das gesagt haben. Und was hat man mir geantwortet?«

      »Nichts, ich habe gar nichts gehört«, sagte Laurent, auf den die Antwort von Thérèse wie eine kalte Dusche wirkte, »noch nicht einmal den Ton der Stimme. Sind Sie beruhigt?«

      »Nein! Ich frage Sie weiter aus. Zu wem, vermuten Sie, habe ich so gesprochen?«

      »Ich vermute gar nichts. Ich wüsste da nur Herrn Palmer, über dessen Beziehung zu Ihnen mir nichts bekannt ist.«

      »Sieh mal an!«, rief Thérèse mit einem seltsamen Ausdruck von Befriedigung. »Sie glauben also, es sei Herr Palmer gewesen?«

      »Warum sollte er es nicht gewesen sein? Ist denn der Gedanke, eine frühere Bindung könnte plötzlich neu geknüpft werden, eine Beleidigung für Sie? Ich weiß, Ihre Beziehungen zu all denen, die ich hier seit drei Monaten bei Ihnen treffe, sind ebenso uneigennützig, was die Absichten der anderen angeht, wie gleichgültig, was Sie selbst betrifft, genau wie das Verhältnis, das ich selbst zu Ihnen habe. Herr Palmer ist sehr schön, und sein Auftreten ist galant und ritterlich. Er ist mir sehr sympathisch. Ich habe weder das Recht, noch bin ich so vermessen, von Ihnen Rechenschaft über Ihre privaten Gefühle zu verlangen. Nur … Sie werden sagen, ich hätte Ihnen nachspioniert.«

      »Ja, in der Tat«, bemerkte Thérèse, die offenbar nicht die leiseste Absicht hatte, auch nur das Geringste zu leugnen, »warum spionieren Sie mir nach? In meinen Augen ist das schlecht, und ich kann es überhaupt nicht verstehen. Erklären Sie mir diese Anwandlung!«

      »Thérèse!«, antwortete der junge Mann lebhaft, fest entschlossen, alles loszuwerden, was ihn noch bedrückte, »sagen Sie mir, dass Sie einen Geliebten haben und dass Herr Palmer dieser Liebhaber ist, und ich werde Sie wirklich lieben, ich werde zu Ihnen in vollkommener Unschuld sprechen. Ich werde Sie um Verzeihung bitten für einen Anfall von Torheit, und Sie werden mir niemals mehr etwas vorzuwerfen haben. Im Ernst! Wollen Sie, dass ich Ihr Freund bin? Trotz aller meiner Prahlereien fühle ich, dass ich dies brauche und dass ich dazu auch fähig bin. Seien sie aufrichtig mir gegenüber, das ist alles, worum ich Sie bitte!«

      »Mein liebes Kind«, antwortete Thérèse, »Sie sprechen mit mir wie mit einem koketten Frauenzimmer, das versuchen möchte, Sie festzuhalten, und einen Fehltritt zu beichten hat. Diese Situation kann ich nicht hinnehmen; sie kommt mir einfach nicht zu. Herr Palmer ist und wird für mich immer nur ein hochgeschätzter Freund sein, mit dem ich nicht einmal auf vertrautem Fuße stehe und den ich seit Langem aus den Augen verloren hatte. So viel muss ich Ihnen sagen, aber darüber hinaus nichts mehr. Was meine Geheimnisse angeht, sofern ich welche habe, so brauche ich Ihnen mein Herz nicht auszuschütten, und ich bitte Sie, sich nicht mehr dafür zu interessieren, als ich es wünsche. Es ist also nicht Ihre Sache, mich auszufragen, vielmehr ist es an Ihnen, mir Rede und Antwort zu stehen. Was hatten Sie hier vor vier Tagen zu suchen? Warum spionieren Sie mir nach? Was ist das für ein Anfall von Torheit, den ich verstehen und über den ich urteilen soll?«

      »Der Ton, in dem Sie mit mir sprechen, ist nicht ermutigend. Warum sollte ich denn beichten, da Sie nicht geruhen, mich als guten Freund zu behandeln und mir Vertrauen zu schenken?«

      »Gut, dann beichten Sie eben nicht«, antwortete Thérèse und stand auf. »Das ist mir ein Beweis dafür, dass Sie die Achtung, die ich Ihnen entgegengebracht habe, nicht verdienen und dass Sie diese auch in keiner Weise erwidert haben, indem Sie versuchten, meinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen.«

      »Sie werfen mich also hinaus«, entgegnete Laurent, »und zwischen uns ist es aus?«

      »Es ist aus, und Adieu«, antwortete Thérèse in strengem Ton.

      Laurent entfernte sich, von einem Zorn erfüllt, der es ihm unmöglich machte, auch nur ein Wort herauszubringen; doch draußen hatte er noch keine dreißig Schritte getan, da kehrte er wieder um und sagte zu Catherine, er habe ganz vergessen, ihrer Herrin etwas auszurichten, worum er gebeten worden sei. Er fand Thérèse im kleinen Salon; die Türe zum Garten war offen geblieben; betrübt und niedergechlagen schien sie ganz in ihre Gedanken vertieft zu sein. Ihr Empfang war eisig.

      »Sie wieder hier?«, sagte sie. »Was haben Sie vergessen?«

      »Ich habe vergessen, Ihnen die Wahrheit zu sagen.«

      »Ich will sie nicht mehr hören.«

      »Und doch haben Sie mich vorhin darum gebeten!«

      »Ich


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