Sie und Er. George Sand

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Sie und Er - George Sand


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Sehnsucht wonach?, werden Sie fragen. Sehnsucht nach allem! Ich bringe es nicht fertig, aufmerksam und ruhig sechs Stunden lang zu arbeiten, wie Sie dann einen Gang durch den Garten zu machen und den Spatzen Brotkrumen hinzustreuen, abermals vier Stunden zu arbeiten und schließlich am Abend zwei oder drei Störenfrieden zuzulächeln, wie ich zum Beispiel einer bin, bis es Schlafenszeit ist. Was meinen Schlaf angeht, so ist er schlecht, meine Spaziergänge sind ruhelos, meine Arbeit ist fieberhaft. Der schöpferische Einfall verwirrt mich und lässt mich erzittern; während der Ausführung, die mir stets viel zu lange dauert, habe ich entsetzliches Herzklopfen; ich weine und unterdrücke mein Schreien, wenn ich eine Idee ausbrüte, die mich trunken macht; doch schon am nächsten Morgen schäme ich mich ihrer, und sie langweilt mich zu Tode. Ändere ich sie ab, so wird es noch schlimmer, sie verlässt mich; es ist besser, ich vergesse sie und warte auf eine andere; aber diese andere erreicht mich so verworren und so gewaltsam, dass ich armes Geschöpf sie nicht zu fassen vermag. Sie bedrängt und quält mich, bis sie durchführbare Dimensionen angenommen hat, und nun beginnt die neue Qual, die Qual nämlich, dieser Idee Gestalt zu verleihen, ein echtes körperliches Leiden, das ich nicht näher zu beschreiben vermag. Und so bringe ich mein Leben zu, wenn ich mich von diesem Riesendämon Künstler beherrschen lasse, der in mir steckt und dem der arme Mann, der hier mit Ihnen spricht, mit der Geburtszange seines Willens Stück für Stück halbtote Mäuse entreißt! Thérèse, also ist es doch viel besser, ich lebe das Leben so, wie ich es mir vorgestellt und eingerichtet habe, gebe mich einfach allen möglichen Ausschweifungen hin und töte diesen bohrenden Wurm in mir ab, den andere bescheiden ihre Eingebung nennen und der für mich ganz einfach mein Gebrechen ist.«

      »Dann ist es also beschlossene Sache«, sagte Thérèse lächelnd, »dass Sie am Selbstmord Ihres Verstandes arbeiten? Na gut, ich glaube nicht ein Wort von alledem. Böte man Ihnen morgen an, Sie sollten Prinz D*** oder Graf S*** sein, mitsamt den Millionen des einen und den schönen Reitpferden des anderen, Sie würden nach Ihrer armen, ach so verachteten Palette verlangen und sagen: ›Gebt mir meinen Liebling wieder.‹«

      »Meine verachtete Palette? Sie verstehen mich nicht, Thérèse! Sie ist ein Instrument des Ruhms, das weiß ich nur zu gut, und was man als Ruhm bezeichnet, das ist so etwas wie Ehrfurcht vor einem Talent, reiner und köstlicher als die Hochachtung, die man Titeln oder Vermögen entgegenbringt. Es ist also ein sehr großer Vorzug und eine echte Freude für mich, dass ich mir sagen kann: ›Ich bin zwar nur ein ganz kleiner Edelmann ohne jedes Vermögen; die Leute meinesgleichen, sofern sie nicht aus ihrem Stand ausgebrochen sind, leben als Förster, und ihr ganzer Besitz sind die Holzsammlerinnen, die sie mit Reisigbündeln bezahlen. Ich aber, ich bin ausgebrochen, ich habe einen Beruf ergriffen, und wenn ich mit meinen vierundzwanzig Jahren auf einem einfachen Leihpferd unter den Allerreichsten und den Allervornehmsten von Paris, die auf Zehntausend-Franken-Pferden sitzen, heute dahergeritten komme, so geschieht es eben, dass mich die Gaffer auf den Champs-Élysées – sofern ein Mann mit Kunstverstand oder eine Frau von Geist unter ihnen ist – bestaunen und beim Namen rufen, nicht aber die anderen. Sie lachen! Halten Sie mich für sehr eitel?«

      »Nein, aber für ein großes Kind, Gott sei Dank! Sie werden sich nicht umbringen.«

      »Aber ich will mich ja gar nicht umbringen! Ich liebe mich ganz genauso wie andere auch, ich liebe mich von ganzem Herzen, das schwöre ich Ihnen! Doch meine ich, dass meine Palette, das Werkzeug meines Ruhms, auch das Instrument meiner Folterqualen ist, da ich nicht zu arbeiten vermag, ohne zu leiden. Deshalb suche ich in der Ausschweifung nicht etwa den Tod meines Körpers oder meines Geistes, sondern den Verschleiß und die Beschwichtigung meiner Nerven. Das ist alles, Thérèse. Was soll daran so unvernünftig sein? Nur wenn ich vor Müdigkeit fast umfalle, kann ich einigermaßen ordentlich arbeiten.«

      »Das stimmt«, sagte Thérèse, »das ist mir auch schon aufgefallen, und es erschreckt mich beinahe wie etwas Widernatürliches; ich mache mir Sorgen, dass diese Art und Weise des Schaffens Sie vollends zugrunde richtet, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es anders kommen wird. Ja, da ist noch etwas, beantworten Sie mir eine Frage: Haben Sie Ihr Leben mit Arbeit und Enthaltsamkeit begonnen und erst danach das Bedürfnis verspürt, sich zu betäuben, um auszuruhen?«

      »Nein, genau umgekehrt. Als ich das Gymnasium verließ, liebte ich die Malerei, glaubte jedoch nicht, ich würde jemals gezwungen sein zu malen. Ich hielt mich für reich. Mein Vater starb und hinterließ mir nur einige dreißigtausend Franken, und ich hatte nichts Besseres zu tun, als sie ganz rasch aufzubrauchen, um wenigstens ein Jahr lang mein Leben im Wohlstand zu genießen. Als ich dann restlos blank war, griff ich zum Pinsel; ich wurde furchtbar verrissen und dann wieder über den grünen Klee gelobt, was heutzutage größten Erfolg bedeutet, und nun ergebe ich mich einige Monate oder Wochen dem Luxus und dem Vergnügen, solange das Geld reicht. Wenn ich nichts mehr habe, dann ist das für mich nur umso besser, denn ich bin gleichzeitig am Ende meiner Kräfte wie meiner Mußezeit. Dann nehme ich die Arbeit wieder auf, voller Leidenschaft, Schmerz und Begeisterung, und wenn die Arbeit vollendet ist, beginnen Muße und Verschwendung von Neuem.«

      »Führen Sie dieses Leben schon lange?«

      »In meinem Alter kann es ja noch nicht so lange sein. Seit drei Jahren!«

      »Eben! Für Ihr Alter ist das viel! Und zudem haben Sie falsch angefangen: Sie haben Ihre Lebensgeister in Brand gesteckt, ehe sie sich überhaupt entfalten konnten; Sie haben Essig getrunken, um zu verhindern, dass Sie noch wachsen. Ihr Kopf ist gleichwohl dicker geworden, und die Begabung hat sich dort trotz allem entwickelt, doch vielleicht ist Ihr Herz dabei verkümmert, vielleicht werden Sie niemals ein vollkommener Mensch und Künstler sein.«

      Diese Worte von Thérèse, in ruhigem und traurigem Ton gesprochen, irritierten Laurent.

      »Also verachten Sie mich?«, entgegnete er und erhob sich.

      »Nein«, antwortete sie und reichte ihm ihre Hand, »ich bedaure Sie!«

      Und Laurent sah zwei dicke Tränen langsam über die Wangen von Thérèse rollen.

      Diese Tränen lösten in ihm eine heftige Reaktion aus: eine wahre Tränenflut überschwemmte sein Gesicht, und er warf sich Thérèse zu Füßen, nicht wie ein Liebender, der sich erklären will, sondern wie ein Kind, das etwas zu beichten hat:

      »Ach! Meine arme liebe Freundin!«, rief er aus und ergriff ihre Hände, »Sie tun recht daran, Mitleid mit mir zu haben, denn ich brauche es. Ich bin unglücklich, sehen Sie, so unglücklich, dass ich mich scheue, es auszusprechen! Dieses unbestimmte Etwas, das ich an der Stelle des Herzens in meiner Brust habe, verlangt unaufhörlich nach irgendeinem anderen Etwas; und ich, ich weiß nicht, was ich ihm geben soll, um es zu beschwichtigen. Ich liebe Gott, und ich glaube nicht an ihn. Ich liebe alle Frauen, und ich verachte sie allesamt! Ihnen kann ich das sagen, Ihnen, meiner Gefährtin und meinem Freund! Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich eine Kurtisane anbete, während ich bei einem Engel womöglich kälter wäre als Marmor. Meine Vorstellungen sind völlig gestört, vielleicht sind meine Instinkte alle verkümmert. Wenn ich Ihnen sage, dass ich selbst im Wein keine heiteren Gedanken mehr finden kann! Ja, meine Trunkenheit ist traurig, wie es scheint, und bei dieser Orgie vorgestern in Montmorency soll ich tragische Passagen mit einem ebenso schrecklichen wie lächerlichen Pathos vorgetragen haben. Was wird bloß aus mir werden, Thérèse, wenn Sie kein Mitleid mit mir haben?«

      »Gewiss doch, ich habe Mitleid, mein armes Kind«, sagte Thérèse und trocknete ihm die Augen mit ihrem Taschentuch; »doch was nützt Ihnen das schon?«

      »Wenn Sie mich lieben könnten, Thérèse! Entziehen Sie mir nicht Ihre Hände! Haben Sie mir nicht erlaubt, Ihnen so etwas wie ein Freund zu sein?«

      »Ich habe Ihnen gesagt, dass ich Sie liebe; Sie haben mir geantwortet, an die Freundschaft einer Frau könnten Sie nicht glauben.«

      »Vielleicht könnte ich an die Ihre doch glauben; Sie müssen das Herz eines Mannes haben, da Sie Kraft und Talent wie ein Mann haben. Geben Sie mir Ihre Freundschaft zurück.«

      »Ich habe Sie Ihnen nicht entzogen, und ich will gern versuchen, für Sie ein Mann zu sein«, antwortete sie; »doch weiß ich nicht so recht, wie ich das anfangen soll. Die Freundschaft eines Mannes muss viel mehr Strenge und Autorität haben, als ich aufzubringen vermöchte.


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