Pink Floyd. Mark Blake
Читать онлайн книгу.einen Tritt in den Hintern verpassen.‘ Aber so war er eben. An der Kunstschule hatte er gefühlt jede Woche eine neue Band gegründet. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass er bei ein und derselben Band bleiben und Nacht für Nacht dieselben Songs spielen würde.“
In London waren Hoppy und Joe Boyd eine Partnerschaft eingegangen. Boyd hatte die Shows von Pink Floyd in der All Saints Hall gesehen und suchte nach einer Location, in der er ähnliche Events inszenieren könnte. So fand er schließlich den Blarney Club, einen Festsaal, in dem Showbands auftraten. Er war unter den Berkley- und Continental-Kinos in der Tottenham Court Road. Boyd ging daraufhin einen Deal mit dem irischen Besitzer, Mr. Gannon, ein, den sie mittels Handschlag besiegelten und der Boyd dazu verpflichtete, wöchentlich 15 Pfund zu bezahlen, damit er im Gegenzug die Lokalität jeden Freitagabend für seine Zwecke nutzen konnte. Der Club-Event, der ursprünglich „UFO-Night Tripper“ hieß und bald schon schlicht als UFO bekannt wurde, öffnete am 23. Dezember 1966 die Pforten. Auf der Bühne standen Pink Floyd sowie als Vorgruppe The Soft Machine. UFO wurde ab dem neuen Jahr zu einer wöchentlichen Veranstaltung, bei der sich Pink Floyd und The Soft Machine als Hausbands etablieren konnten und Pink Floyd sich bei ihren ersten drei Auftritten 60 Prozent der Bruttoeinnahmen sicherten.
Die Organisatoren des Clubs selbst stiegen ebenso positiv aus, was zu dieser Zeit eher eine Seltenheit war. Der Gewinn wurde in Anzeigen investiert, die in der International Times erschienen, was wiederum der Zeitung dabei half, liquide zu bleiben. Im Gegenzug war sich die Belegschaft der International Times auch nicht zu schade, am Eingang des UFO den Eintritt von den Gästen zu kassieren. Der Club hatte von 22 bis 8 Uhr morgens geöffnet. Die stylishe Klientel, der psychedelische Sound und die spacigen Lichteffekte ließen vergessen, dass der Saal mit seiner polierten Tanzfläche und der darüber rotierenden Disco-Kugel tief in der Tradition des altmodischen Showbiz verankert war. Zwar durfte kein Alkohol ausgeschenkt werden, aber an einem kleinen Stand wurden die hungrigen Besucher mit makrobiotischen Snacks versorgt und ein deutscher Drogenhändler, den alle nur unter dem Namen Marlon kannten, verkaufte Trips. Der Beleuchter des Clubs, der leider verstorbene Mark Boyle, hatte regelmäßig Mike Leonards Sound-und-Licht-Workshop am Hornsey College of Art besucht. Boyle stand auf einer improvisierten Plattform, wo er Substanzen zwischen durchsichtigen Dias bannte, die sich durch die Wärme der Projektorlampe verflüssigten und dann schließlich auf die Bühne projiziert wurden, was den Eindruck vermittelte, sie würden über die Band hinwegwabern.
„Heutzutage würde eine Siebzigerjahre-Disco im Vergleich dazu schon hochentwickelt wirken“, meint Mick Farren, der damals für International Times schrieb und mit seiner eigenen Band, The Social Deviants, als Sänger aktiv war. „Aber damals war das Ambiente einfach atemberaubend.“
„Du warfst dir einen Trip ein und erschienst einfach schon sternhagelvoll“, sagt Jenny Fabian. „Es war, als ob man sich in eine unterirdische Traumwelt begeben würde. Die Leute schweiften mit diesem beseelten Blick in den Augen umher oder legten sich auf den Holzboden. Ich lag selbst oft genug da, um ganz in den Schwarz-Weiß-Filmen, die zwischen der Musik liefen, aufzugehen. Das Ganze war auch irgendwie regressiv: Wenn du pinkeln musstest, dann lag am anderen Ende dieses Saals der Träume ein verschlungener Korridor, der zwar hell beleuchtet, aber schwarz angestrichen war. Und von den Wänden tropfte das Kondenswasser. Am Ende des Ganges befand sich schließlich die Damentoilette, wo ich in den Spiegel sah und mich über den Anblick wunderte … Es war jedenfalls immer eine große Erleichterung, in die Gebärmutter dieser Fantasiewelt zurückzukehren.“
Neben der Live-Musik wurden im Club auch Performance-Kunst und Avantgarde-Filme gezeigt. Aber im Laufe der Zeit waren es doch die Live-Bands, die den Reiz des UFO ausmachten. Trotz der gebärmutterartigen Atmosphäre entwickelte sich eine Rivalität zwischen den Anhängern der jeweiligen Bands, wenn nicht sogar zwischen den Bands selbst. „Pink Floyd waren ein sehr abgefahrener, äußerst drogenschwangerer, aber auch sehr weißer Rock. Sie waren für Leute, die Tolkien mochten oder nach Ufos Ausschau hielten“, sagt ein The-Soft-Machine-Fan. „The Soft Machine waren hingegen eher auf eine europäische Art und Weise avantgardistisch. Sie konnten bei Jazz-Festivals in Frankreich auftreten. Ihr Publikum wirkte sozial engagierter, interessierte sich für die Bürgerrechte der Schwarzen und die Revolution der Arbeiterklasse.“ Für manche ging es wiederum mehr um musikalische und visuelle Vorzüge. „Unter meinen Freunden wurde immer gestritten, wer nun besser wäre“, sagt John Leckie. „Wir diskutierten ständig darüber, wer die Grenzen mehr verschieben würde. The Soft Machine konnten sicher besser spielen. Aber Pink Floyd waren abstrakter und hatten außerdem Syd.“
Sogar innerhalb ihrer eigenen Entourage war nicht jeder von der musikalischen Qualität Pink Floyds überzeugt. „Um absolut ehrlich zu sein, ich war nie ein Fan von ihnen“, lacht John Whiteley. „Ich half zwar im UFO bei der Beleuchtung aus, aber ich kann mich auch noch erinnern, dass Syd, während er spielte, den anderen die jeweiligen Akkorde zurufen musste.“
Dennoch erinnert sich etwa der Drummer von The Soft Machine, Robert Wyatt, noch voller Zuneigung an die einstigen Rivalen: „Pink Floyd hatte eine gewisse Leichtigkeit an sich, die mir gut gefiel. Unser Equipment gab ständig seinen Geist auf und Pink Floyd ließen uns dann ihres verwenden, was damals unter Rockbands nicht so üblich war. Die meisten von ihnen hatten sich in ihre Kokons eingesponnen. Ich hörte immer noch John Coltrane und kaufte mir keine Rock-Platten. Aber ich war begeistert, als ich Pink Floyd sah – wie sie sich Zeit dabei ließen, von einer Note zur nächsten überzugehen. Ich hätte das so nicht gekonnt, aber Pink Floyd hatten immer alles unter Kontrolle.“
Da beide Bands die Musik performen durften, die sie spielen wollten, und dies außerdem auch so lange, wie sie wollten, traten Pink Floyd und The Soft Machine oft vor Leuten auf, die – wie es Wyatt ausdrückt – „keine Ahnung mehr hatten, welches Jahr gerade war, geschweige denn, wie spät es war“. Das beeinträchtigte Zeitgefühl, das zu einem Trip dazugehörte, machte Pink Floyd zum idealen Soundtrack für das LSD-Erlebnis. Vor ihren Auftritten im UFO bat ihre Crew das Publikum stets, den Bereich direkt vor den Lautsprechern zu räumen. Wie Miles es später einmal im New Musical Express schrieb: „Ursprünglich ging es dabei darum zu verhindern, dass benebelte Hippies sich ihre Trommelfelle ruinierten, aber irgendwann wurde es zu einem kuriosen Ritual in der Art einer Zen-Zeremonie: die Räumung des Raumes, damit Pink Floyds mysteriöse Musik hervorsprudeln konnte.“
Auf der Bühne spielten sie im Licht selbstgebauter Scheinwerfer und Projektionen, die im Hintergrund verschwammen und das mystische Ambiente noch verstärkten. Syds abstrakte Gitarrenriffs rangen mit Richard Wrights unheimlich klingenden Keyboards. Roger Waters, schlaksig und distanziert, lieferte mit seinem pulsierenden Bass-Spiel das Fundament für das klangliche Spektakel und mitunter, wenn es die Stimmung erforderte, auch unheilig anmutendes Geschrei. Eines Abends, so erinnert sich Joe Boyd, sah er, wie Pete Townshend, der sich auf einem Trip befand, neben der Bühne kauerte, auf Waters zeigte und behauptete, der Bassist würde ihn verschlucken.
„Ich war drei Mal im UFO auf LSD“, erinnert sich Townshend. „Ich hielt Roger für sehr attraktiv und sehr beängstigend. Ich hatte echt Angst davor, dass er mir meine Freundin ausspannen würde, während ich auf LSD war. Schließlich gab er sogar offen zu, dass sie ihm gefiel.“ Die fragliche Freundin war Karen Astley, Townshends zukünftige Ehefrau, eine bildhübsche Kunststudentin, die bereits auf dem Plakat zur Eröffnung des Clubs zu bewundern gewesen war. Sie zog routinemäßig die Aufmerksamkeit im UFO auf sich, da sie, wie der Gitarrist von The Who es ausdrückt, „in einem Kleid tanzte, das aussah, als wäre es aus Kuchenpapier“.
Zoff gab es nur selten im UFO. Mitunter störten sich Mods, die vorbeischneiten, an den offen gezeigten Love-and-Peace-Schwingungen, obwohl viele von ihnen selbst letzten Endes LSD einwarfen, um sich dem bunten Treiben anzuschließen. Gelegentlich konnten Biker auf Acid gegenüber den weiblichen Besuchern ihre Hände nicht in Zaum halten. Auch kam es zu Störungen der öffentlichen Ruhe, wenn die schönen Menschen mitsamt ihren klingelnden Hippie-Glöcklein und Kaftanen in den frühen Morgenstunden auf die Tottenham Court Road gespült wurden und das Interesse patrouillierender Ordnungshüter auf sich zogen.
Sam Hutt, Londons erster „Alternativmediziner“, der später zum Country-Sänger Hank Wangford mutieren sollte, war ein Stammgast im UFO und staunt immer noch, mit wie viel die Clubbesucher letzten Endes durchkamen: