Glyzinienduft und Hausmusik. Doris Lott

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Glyzinienduft und Hausmusik - Doris Lott


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musiziert“ in der Kategorie Orgel in Berlin war. Der Sohn Matthias, der ebenfalls Klavierunterricht bei Bertholt Fritz erhielt, hat seinen Schwerpunkt auf die Computertätigkeit verlegt. Auch sein Bruder Gunther, der heute als Klavierbauer arbeitet, hat 14 Jahre lang auf einer alten böhmischen Meistergeige Violine gespielt und mit seiner Ehefrau Sigrun Maria Bornträger eine Mezzosopranistin, ausgebildet an der Musikhochschule Karlsruhe, in die Familie gebracht.

      Ein Ittersbacher Stuckateur, der von den Knorres um Rat bei der Restauration der alten Stuckdecke im Musiksalon gefragt wurde, sagte: „Das ist ja eine wunderschöne Deckene“. Elisabeth Knorre wurde hellhörig: „Deckene?“, sagt sie. „Sie sind nicht aus Karlsruhe“. Der Stuckateur schüttelte den Kopf. Aus einem kleinen Ort in der Nähe von Budapest stamme er, den keiner hier kenne.

      „Wir kamen gleich ins Geschäft“, sagt lachend Elisabeth Knorre. „Es war genau der Ort in Ungarn, wo auch meine Eltern herstammen.“ Und, o Wunder, unter der alten, jahrelang mit mehreren Farbschichten übermalten Stuckdecke verbarg sich ein farbiges Jugendstiljuwel mit Früchten und Girlanden. Ganz nebenbei ließ sich der Hausherr noch in die Kunst der alten Tempera-Malerei einführen, weil die Arbeit des Stuckateurs sonst unbezahlbar gewesen wäre. „Geht nicht ohne Gerüst und eine halbe Schachtel Schmerztabletten“, schmunzelt er augenzwinkernd. Und wie geht es weiter mit dem schönen, alten Jugendstilhaus? Joachim Knorre strahlt übers ganze Gesicht. „Wenn ich demnächst in Ruhestand gehe, renoviere ich den Hausflur. Da gibt es noch viel unter der alten Ölfarbschicht zu entdecken.“

      Karlstraße 49 a

      Himmlische Düfte

      Das Café Schwarz

      Es gibt Häuser, die eine Karlsruher Institution waren. Sie sind verschwunden und dennoch kennen Generationen von Karlsruhern immer noch ihren Namen. Manche dieser alten Karlsruher Häuser wurden im Krieg zerstört, nicht wenige wurden aber auch das Opfer einer Abrissbirne.

      Auch die Häuser am Karlstor, Ecke Karl- und Kriegsstraße, nur einen Katzensprung vom Bundesgerichtshof entfernt, gehören dazu. Manche dieser noblen Bauwerke aus der Gründer­zeit erinnerten an kleine Loire-Schlösser. Karlsruhes bekannteste Konditorei, das Café Schwarz in der Karlstraße Nr. 49 a mit seiner prächtigen Fassade das den Krieg überlebt hatte, wurde in den 70iger Jahren abgerissen. Zwei ehemalige Bewohnerinnen, Trudy Seiler geb. Schwarz und Barbara Harthill geb. Villringer, erzählten mir von ihrem Leben in diesem Haus. Ich selbst drückte mir als Kind am Schaufenster der Konditorei Schwarz die Nase platt und fühlte mich reich beschenkt, wenn mir Großvater ein Eis spendierte. Ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte aus dem Café Schwarz war für so manche Karlsruher der ausgehungerten Kriegsgeneration der Inbegriff von Hochgenuss.

      Das Café Schwarz war aber schon zu Großherzogs Zeiten eine feine Adresse. Der Großvater der kleinen Trudy Schwarz stellte in seinem Laden die Urkunde eines königlichen Hoflieferanten mit Namen Otto Schwarz aus. Die Urkunde hat Trudy für ihre Kinder- und Enkelkinder aufbewahrt. Schwarz auf weiß steht da, dass das „Großherzogliche Badische Oberhofmarschallamt“ dieses Dokument im Namen seiner Königlichen Hoheit ausgefertigt hat. Der Großherzog habe gnädigst geruht, dem Konditor Otto Schwarz in Karlsruhe das Prädikat „Hoflieferant“ zu verleihen, und zwar am 6. Dezember 1910. „Unser Eis war ein Traum“, erinnert sich Trudy Seiler, „und die Pralinen auch.“ Die Eltern der kleinen Trudy waren richtige Geschäftsleute, die Tag und Nacht im Laden standen und keine Zeit für die Erziehung der Kinder hatten. So wurde das Kindermädchen Emmy mit dem weißen Häubchen engagiert, das Trudy und ihren Bruder betreute. Die Mutter stand unterdessen in der Konditorei, wo sie die knallgrünen heißbegehrten Laubfrösche aus Biskuit mit dem rosa Zuckergussmaul und der roten Zunge verkaufte. Sahne- und Buttercremetorte, davon konnten die ausgehungerten Karlsruher ohne Rücksicht auf Kalorien nach dem Krieg nicht genug bekommen. Im letzten Kriegsjahr hatte Großvater Schwarz die Konditorei schließen müssen. 1948 kam der Sohn aus russischer Gefangenschaft aus der Nähe von Krasnodar zurück und krempelte die Ärmel hoch. Das erste Gebäck gab es gegen Brotmarken, und die Besitzer gingen daran, das Geschäft zu modernisieren. Von da an ging es nur noch aufwärts und das alte, unvergessene Café Schwarz erlangte neuen Ruhm. Marmortischchen und neue Stühle wurden angeschafft, und in den Pausen kamen Lehrer und Schüler aus der benachbarten Goethe-, Fichte- oder Gartenschule.

      „Das Café war der Nabel der Welt für meine Eltern. Nie haben sie Urlaub gemacht. Sie hatten keine Zeit für uns und sahen uns erst beim Gutenachtkuss. Ich war ein wahnsinnig behütetes Kind“, sagt Trudy Seiler rückblickend.

      Als junges Mädchen war die hübsche, sportliche Trudy in Rappenwört einem Goetheschüler aufgefallen, der sich heftig in sie verliebte und nicht mehr locker ließ, bis er sein Ziel erreicht hatte. „Ich durfte nie mit ihm ausgehen und er durfte nicht in unser Haus kommen. 1955 haben wir uns dann verlobt.“ Der junge Mann hieß Gerhard Seiler und war zunächst erfolgreicher Hafendirektor, bevor ihn die Karlsruher zu ihrem Oberbürgermeister wählten, der heute noch populär ist.

      Trudy hatte alle Mühe, ihren Papa, den Herrn Konditormeister Schwarz, davon zu überzeugen, dass der schüchterne junge Mann ihr Auserwählter war. „Wir mussten uns immer heimlich treffen.“

      Vielleicht war das genau zu der Zeit, als mir gegenüber im alten Vincentius-Krankenhaus die Mandeln entfernt wurden. Es gab nur einen Trost, der die Schmerzen lindern konnte: riesige Eisportionen aus dem Café Schwarz, die meine Mutter jeden Nachmittag ihrer elfjährigen Tochter ins Krankenhaus mitbrachte.

      Als ich im Frühjahr 1971 von meiner Kollegin Gustel Villringer in das Haus in der Karlstraße eingeladen wurde, lernte ich ihre Tochter Barbara kennen, die mit ihrer Tochter Julie auf Besuch war. Wir beide waren uns auf Anhieb sympathisch. Unsere Babys, Sibylle und Julie, waren damals knapp ein Jahr alt, und obwohl Bärbel über 35 Jahre mit ihrem Mann in Denver gelebt hatte, wo sie an der University of Denver Englisch und Deutsch unterrichtet hatte, schlug unsere Freundschaft über die Jahre immer tiefere Wurzeln.

      Bärbels Vater war der bekannte Max Villringer, mein späterer Chef an der Leopoldschule, wo ich ein kurzes Gastspiel gab. Was uns verband war die Liebe zu Frankreich, und er war zusammen mit Professor Fritz Bentmann Pionier auf dem Gebiet der deutsch-französischen Freundschaft. Als einer der ersten hatte er den deutsch-französischen Schüleraustausch organisiert, suchte entsprechende Gastfamilien für die Kinder­ aus Frankreich, organisierte Sprachkurse und Ferienprogramme. „Das Jahr über, aber vor allem auch die ersten drei Wochen der Sommerferien, war die ganze Familie damit beschäftigt, diesen Austausch zu organisieren“, erinnert sich Bärbel. „Freundschaften fürs Leben wurden geknüpft.“ Aber auch Gusta Villringer war in Karlsruhe bekannt. Sie war eine der ersten Lehrerinnen an der nach dem Krieg neueröffneten Volkshochschule. Sie übersetzte Kinderbücher aus dem Englischen ins Deutsche, später dann auch Sachbücher. Wenn sie nicht ihren Kochkünsten nachging, fand man sie entweder lesend oder aber an der klappernden Schreibmaschine, an der sie auch schon ab 1966 ihre von vielen Menschen bewunderten Rundbriefe schrieb.

      Bärbel verbrachte ihre Kindheit und Jugend bis zum ­Abi­tur in der Karlstraße 49a. Sie gerät ins Schwärmen, wenn sie von den 19 Jahren erzählt, die sie dort gelebt hat, in vierter Generation, denn schon der Großvater Sturm zog mit seiner frisch angetrauten Liesel Sturm 1919 in das herrschaftliche Haus, in die Wohnung direkt über der Beletage, wo die Eigen­tümer der Konditorei Schwarz lebten. Eugen Sturm war Lehrer und später Rektor an der Hans-Thoma-Schule.

      Aus Briefen und Tagebüchern, vor allem aber aus immer wieder aufs Neue erzählten Geschichten der Großmutter und Mutter, weiß Bärbel vieles über diese Zeit: über die fast täglichen Angriffe auf die Innenstadt, über den berühmt berüchtigten „Bombenkarle“, ein Tiefflieger, der regelmäßig die Karlstraße auf und ab flog und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte ... Die meisten Bewohner waren aus Karlsruhe weg, entweder als Soldaten im Krieg oder aber


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