Glyzinienduft und Hausmusik. Doris Lott

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Glyzinienduft und Hausmusik - Doris Lott


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waren gut befreundet, und die Familien Schwarz und Sturm kamen sich in dieser schweren Zeit, vor allem auch im Luftschutzkeller persönlich näher. Man verbrachte viel gemeinsame Zeit im Luftschutzkeller und man teilte, was man teilen konnte. Als Herr Schwarz wegen Mangels an Mehl und Zucker die Konditorei schließen musste, teilte er noch vorhandene Vorräte mit den Sturms. Als die Marokkaner kamen und das Haus besetzten, zog man gemeinsam in das gegenüberliegende Vincentius-Krankenhaus. Bärbel erinnert sich:

      „Viel erzählt bekam ich auch von der großen Hungersnot nach dem Krieg und von der unerträglichen Kälte; heute unvorstellbar, hatte ich als kleines Kind von zweieinhalb Jahren Frostbeulen an Händen und Füßen, da die Räume nicht mehr beheizt werden konnten. Die Familie lebte und schlief in der Küche, da es in den anderen Räumen zu kalt war. Die Küche war der Mittelpunkt der Großfamilie. Hier wurde nicht nur gekocht und gebacken, um den Küchentisch herum versammelte man sich und diskutierte, schmiedete Pläne, beriet Anschaffungen, machten wir Kinder Hausaufgaben, wurden wir von einem der vier Lehrer in der Familie abgehört, belehrt, verbessert und getriezt. Mutter kochte für meinen Vater, der aus französischen Gefangenschaft gekommen war nach Art der feinen französischen Küche. Großmutter aber bestand auf ihrer Mehlschwitzsoße. Da flogen schon mal die Fetzen. Noch heute erinnere ich mich an das Bilderbuch, mit dem Vater nach der Gefangenschaft bei seiner Rückkehr mein Kinderherz eroberte. ‚Le Noel de Bibiche‘ mit seinen herrlichen Illustrationen; auch den Ring, den er mir an den Finger steckte, habe ich heute noch.“

      Bärbel und ihr Bruder Uli waren nach dem Krieg die einzigen Kinder im Haus, aber gelangweilt haben sie sich nie in ihrer riesigen Wohnung, wo im endlos langen Flur eine Schaukel hing und wo man herrlich Rollschuhlaufen konnte. Im Erdgeschoss war ja die Konditorei Schwarz mit den herrlichsten Kuchen und selbsthergestellten Pralinen, und vor allem im Sommer, das einzigartige Eis. Immer wieder kam es vor, dass Frau Schwarz, senior, den Kindern, wenn sie brav gewesen waren, eine Kugel Eis spendierte. Wenn man Glück hatte, waren im Sommer zudem die Türen zu der Konditoreiwerkstatt geöffnet und man konnte zusehen, wie die Pralinen in Handarbeit hergestellt und dann mit einem Schokoladenguss überzogen wurden. Es duftete nach Mandeln, Marzipan und Schokolade, aber auch nach exotischen Gewürzen. Schon wenn man unten durch die Haustür ging, strömte einem dieser einzigartige Duft entgegen und das Wasser lief einem im Munde zusammen.

      Abenteuer gab es genug in dem Haus: Da war der große Speicher mit all seinen Schätzen. Um da hinauf zu gelangen, musste man im Treppenhaus auch über das große Brandloch aus dem Zweiten Weltkrieg klettern, das notdürftig mit Karton gesichert war. Wenn wir genug hatten vom Stöbern in den alten Kisten und Schränken, rutschten wir in Windeseile das Treppengeländer hinunter; das war natürlich streng verboten, da äußerst gefährlich, aber gerade darum machte es ja auch so viel Spaß. Die Wohnung selbst war groß genug, dass wir Versteckerles spielen konnten, Schaukeln auf der Schaukel im Mittelgang – und Rollschuh fahren.

      Der Balkon nach hinten in den Hof hinaus war groß und war im Sommer unser Freibad. In einem großen Zuber konnten wir (wie schon unsere Mutter als Kind und meine Tochter Julie später) plantschen, konnten dem Leierkastenmann zuhören und Münzen hinunterwerfen. Wir konnten beobachten, wie die Kirschen an dem Kirschbaum hinter dem Haus reiften und so lange betteln, bis Opa oder Onkel uns welche ergatterten. Vom hinteren Balkon konnten wir auch in den Schulhof der Gartenschule schauen und dem Schreien und Toben der Kinder zuhören und -sehen. Als wir selber alt genug waren, konnten wir auf dem Balkon warten auf das erste Klingeln und dann losrennen und noch rechtzeitig zu Unterrichtsbeginn in unseren Bänken sitzen. Von demselben Balkon, in die andere Richtung, hatte man eine gute Aussicht auf den Bundesgerichtshof. Das war für uns Kinder von besonderem Interesse im Winter, denn auf dem Hügel, auf dem das Gebäude stand, konnte man rodeln. Sobald es genug Schnee gab, rannten die Kinder der Nachbarschaft alle mit ihren Schlitten hinüber und tobten sich aus.

      Aber auch eine traurige Erinnerung habe ich an diesen Balkon. Mein Großvater hatte 1948 von Eltern einer seiner Schüler einen Stallhasen geschenkt bekommen. Der lebte in seinem Käfig hinten auf dem Balkon, ich durfte ihn füttern und mit ihm spielen und schmusen. Es kam, wie es kommen musste, der Hunger hatte schon lange Einkehr gehalten und der Hase musste geopfert werden. Es war unfassbar für mich und ich war untröstlich.

      Der vordere Balkon, auf die Karlstraße hinaus, hatte andere Reize. Von ihm blickte man direkt auf die Straßenbahnhaltestelle und auf die große Verkehrskreuzung der Karl- und Kriegsstraße. Ein Polizist regelte dort tagsüber den Verkehr. Aber abends und nachts krachte es leider immer wieder an dieser gefährlichen Ecke, und da war es ein Gutes, dass direkt gegenüber das Vincentius-Krankenhaus war.

      Vom vorderen Balkon aus konnte man am Fastnachtsdienstag auch dem Fastnachtsumzug zuschauen, der direkt am Haus vorbeizog. Unser Balkon war an diesem Tag auch bei Freunden und Bekannten beliebt, und es grenzt an ein Wunder, dass der Balkon nicht unter dem Gewicht der vielen Schaulustigen abbrach.

      Dass schon in den frühen Fünfzigerjahren immer wieder ausländischer Besuch bei uns wohnte, war äußerst ungewöhnlich; 1953 waren es zwei Engländerinnen aus Cambridge. Sie hatten meiner Mutter während der ersten Nachkriegsjahre immer wieder Care-Pakete mit Kleidung und Lebensmitteln geschickt. Ab 1954 waren dann regelmäßig französische Austauschschüler bei uns zu Gast, denn mein Vater, Max Villringer, hatte zusammen mit Professor Bentmann und anderen Karlsruhern den ersten Schüleraustausch mit Frankreich ins Leben gerufen. Auch ganz unterschiedliche Künstler kamen ins Haus, was den braven Nachbarn reichlich Gesprächsstoff lieferte.

      An ihre Schulzeit im Fichte-Gymnasium denkt Bärbel nur mit gemischten Gefühlen zurück, und so kam es, dass sie gleich nach dem Abitur das Flugzeug in die USA nahm, wo sie später, zum großen Erstaunen der Eltern, nicht nur ein erfolgreiches Studium absolvierte, sondern sogar eine Laufbahn als Akademikerin an der University of Denver einschlug.

      Zwar kamen sie und ihre Kinder Julie und Andy immer mal wieder auf Kurzbesuch in die Karlstraße 49 a, aber im April 1974 zogen die Eltern dann an den Kolpingplatz, da inzwischen bekannt war, dass das Haus Karlstraße 49 a abgerissen werden musste, damit die Karlstraße am Karlstor erweitert werden konnte. Den Abriss ihres geliebten Elternhauses­ konnte Bärbel Harthill, die heute wieder mit ihrem Mann Norman in Beiertheim lebt, nur schwer verkraften. Das moderne Haus, das jetzt an dieser Stelle steht, hat zwar immer noch die Nummer 49 a, aber ansonsten hat es mit dem schönen alten Gebäude keinerlei Ähnlichkeit und die Erinnerung an das alte Elternhaus schmerzt auch heute noch.

      Sophienstraße 124

      „Wertes Fräulein,

      Ihr Großvater war ein Heiliger“

      Die schönen Schiller-Mädchen

      Wenn ich an dem Haus Sophienstraße 124 vorbei gehe, fällt mir meine Schwiegermutter und die Geschichte ihrer Familie ein, die sich hier hinter der schönen Jugendstilfassade abgespielt hat.

      Meine Schwiegermutter, Cläre Weick-Schneider, geb. Schiller,­ wurde in diesem Haus als erste Tochter des Arztes Dr. Arnold Schiller geboren. Sechs Jahre danach kam ihre Schwester Renate zur Welt.

      Beide Mädchen waren von fast exotischer Schönheit und zogen die Verehrer an wie die Motten das Licht. Die Karlsruher nannten sie nur die „rassigen Schiller-Mädchen“.

      Der Arzt Dr. Arnold Schiller war der Großvater meines Ehemannes Gerd und seines Zwillingsbruders Rolf, die beiden Söhne seiner Tochter Cläre. Renate, die Schwester meiner Schwiegermutter, hatte eine Tochter namens Christa. Sie ist meine Lieblingskusine.

      Öfters sprechen Christa und ich über ihren außergewöhnlichen Großvater, Arnold Schiller. Meine Kusine und ich haben Briefe, Fotos und andere Dokumente aufbewahrt. Was mich vor allem beeindruckt, ist Christas Erzählung der romantischen Liebesgeschichte ihrer Großeltern.

      Im Jahr 1900 befand sich Dr. Arnold Schiller als junger Mann zusammen mit einem Freund in Lausanne in Urlaub. Bei einem Spaziergang auf der Promenade begegneten die beiden Freunde der Familie


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