Glyzinienduft und Hausmusik. Doris Lott

Читать онлайн книгу.

Glyzinienduft und Hausmusik - Doris Lott


Скачать книгу
Zierliche? Die wird meine Frau.“ Worauf der Freund ihn fragte: „Ja, kennst du die Dame denn?“ „Nein, aber sie und keine andere wird meine Frau.“ Der Freund hielt das zunächst für einen Scherz.

      Arnold Schiller fand heraus, in welchem Hotel die Familie untergebracht war und erkundigte sich an der Rezeption nach dem Namen und der Herkunft dieser Gäste. Man bedaure, doch man sei nicht befugt, Auskunft über Gäste zu erteilen. Und im Übrigen würden die Herrschaften bereits am nächsten Tag abreisen. Auch die Antwort auf die Frage, ob die Herrschaften per Schiff oder mit der Bahn reisen würden, wurde mit der gleichen Höflichkeit verweigert.

      Wie ernst es gemeint war, erfuhr nun der Freund, als Arnold Schiller den Beschluss fasste, ebenfalls abzureisen und ihn bat, mit der Bahn zu fahren. Er besorgte ihm sogar die Fahrkarte. Der Freund willigte ein. Er selbst begab sich auf das Schiff. Dort war das Glück mit ihm, die Familie befand sich tatsächlich auf dem Schiff. Gezielt machte er sich bei einer Deckpromenade an die ältere Begleitung der jungen Dame heran und erfuhr, dass sie bereits als Kindermädchen zu der Familie Eitel gekommen war .

      Angetan von seiner Höflichkeit und guten Manieren ermöglichte sie ihm den Kontakt mit der jungen Dame, Emma Eitel. Emma fand ebenfalls Gefallen an dem jungen Mann. Und wie sie ihm erst viel später gestand, hätte sie sich bei dieser Schiffsfahrt auch in ihn verliebt. Adressen wurden über Emmas Begleitung ausgetauscht. Es stellte sich heraus, dass Emma und ihre Schwestern ein Abonnement für das Karlsruher Theater hatten.

      Dr. Arnold Schiller war damals Arzt in Leipzig. Innerhalb von vier Wochen schaffte er den Wechsel an die Universitätsklinik in Heidelberg, um näher an Karlsruhe zu sein. Damals war es eine halbe Weltreise von Heidelberg nach Karlsruhe. Es gelang ihm dennoch, im Theater einen Platz in der Nähe seines Schwarms zu ergattern.

      Aber bald schon stellt sich heraus, dass noch weitere Hürden genommen werden mussten, um Emma zu erobern. Emma war bereits verlobt mit einem Jurastudenten, eine Verbindung, die ihre Eltern eingefädelt hatten.

      Besagter Student war Mitglied einer schlagenden Verbindung. Als Emma in Begleitung ihrer Mutter ihren Verlobten besuchte, entdeckte sie in seinem Zimmer an einer Wand ein abgeschlagenes Stück Kopfhaut mit einem Haarbüschel. Sie war entsetzt. Die „Trophäe“ löste bei ihr heftige Abscheu aus.

      Daheim erklärte sie ihren Eltern, dass sie diesen Menschen niemals heiraten würde. Das löste einen Skandal aus und es dauerte eine Weile, bis die Aufregung sich wieder gelegt hatte.

      Inzwischen war es Arnold Schiller gelungen, durch kluges Taktieren auch den Eltern offiziell vorgestellt zu werden. Emmas Vater wäre der Jurist als Schwiegersohn wohl lieber gewesen, und so verhielt er sich anfangs gegenüber dem neuen „Heiratskandidaten“ seiner Tochter ziemlich reserviert. Arnold Schiller aber setzte seine Werbung um Emma hartnäckig fort und bat den Vater um Emmas Hand.

      Als die Rede auf die Mitgift kam, unterbrach ihn der junge Mann: „Verzeihen Sie Herr Eitel, daran bin ich nicht interessiert, mich interessiert nur ihre Tochter.“ Vater Eitel war beeindruckt. Als Kaufmann war er gewohnt, dass materielle Dinge immer eine wichtige Rolle spielten. Das Verhalten des jungen Mannes imponierte ihm so, dass er spontan einwilligte.

      Eigentlich hatte sich Arnold Schiller auf eine heftige Auseinandersetzung eingestellt, aber das verschlug ihm die Sprache.

      Anfang 1903 heirateten die beiden und es wurde eine glückliche Ehe. Niemand ahnte, auf welch harte Bewährungsprobe das junge Paar durch den Ersten Weltkrieg zusteuerte. Arnold wurde eingezogen.

      Eine Urkunde aus dem Jahr 1916 bezeugt: Seine königliche Hohheit, der Großherzog von Baden fühlt sich darin gnädigst bewogen‚ dem praktischen Arzt Dr. Arnold Schiller in Karlsruhe das Kriegsverdienstkreuz zu verleihen.

      Die Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit und Konsequenz, mit der er seine Braut geworben hatte, legte er auch an den Tag, wenn es sich um die Erziehung seiner Töchter handelte. Diese Eigenschaften waren, neben seinem Einfühlungsvermögen, seiner liebevollen Anteilnahme, seinem Verständnis für seine Mitmenschen in allen möglichen Situationen bezeichnend für ihn. Emma verließ sich auf ihren Mann, wenn in der Erziehung größere Probleme zu bewältigen waren.

      In einem Brief vom August 1921, den er an seine älteste Tochter adressiert, rügte er ihr Benehmen gegenüber den Nachbarn:

      „Liebes Clärle, zu meinem nicht geringen Entsetzen erhielt ich heute ein Schreiben vom Notar Schäfer, indem er sich in höflicher, aber sehr entschiedener Weise über Dein Benehmen gegen ihn und seiner Frau beklagt. Vom Grüßen Deinerseits sei gar keine Rede und wenn Du ihnen im Haus begegnetest mit Deiner Freundin, Adel von Haldenwang, so hättest Du hämisch und spöttisch hinter ihnen drein gelacht, auch dumme und dreiste Bemerkungen würden gemacht.

      Setze Dich und uns nicht der Kritik aus, dass Dein Benehmen eines jungen gebildeten und wohlerzogenen Mädchens gegenüber älteren Leute unwürdig sei.“

      Eindringlich ermahnt er sie: „Ich verlange von Dir in allem väterlichen Ernst, dass Du Dich gegen Notars korrekt benimmst, dass Du Leute, die Dir nichts zu Leide getan haben, deren Gastfreundschaft Du sogar genossen hast, in keiner Weise beleidigst. Ich erwarte zuversichtlich von Dir eine strenge und rückhaltlose Durchführung meines väterlichen Befehls.“

      Großvater Schiller legte sehr viel Wert auf eine gute Ausbildung für seine Töchter. Nach ihrem Abschluss an der Schule absolvierte Cläre aus eigenem Antrieb eine Ausbildung am Badischen Konservatorium für Gesangspädagogik. Ihre Stimme war bemerkenswert und eigentlich bühnenreif. Als junge Frau schuf sie sich später mit Hauskonzerten ihren eigenen privaten Zuhörerkreis, dem sie mit Begleitung Lieder von Schubert, Hugo Wolf, Richard Strauss zu Gehör brachte. Die Zeit des heraufkommenden Nationalsozialismus ließ ihr als Halbjüdin kaum andere Möglichkeiten. Neben dieser Ausbildung bestand Arnold Schiller darauf, dass sie bei einer Bank eine Lehre machte. Auch in späteren Briefen musste der besorgte Vater seine Tochter Cläre wiederholt zur Räson bringen.

      Cläre ist im heiratsfähigen Alter und sollte bei ihrer Mutter Kenntnisse in der Haushaltsführung erwerben. Zwischen Mutter und Tochter kommt es wiederholt zu Spannungen und so beschließt man, Cläre in die französische Schweiz zu schicken, wo sie Erfahrungen im Haushaltswesen erwerben soll.

      Aber Cläre hat schon bald die Nase voll vom „schlechten Essen“ und dem „übertriebenen Hausputz“. Sie will unbedingt zurück nach Karlsruhe zu dem Mann, in den sie sich verliebt hat.

      In einem Brief an die Eltern gibt sie vor, dass sie Heimweh nach dem Elternhaus und nach Karlsruhe habe. Der Vater durchschaut sie und schreibt: „Mit der Elternliebe ist es wie mit der Sonne: sitzt man zu direkt unter ihren Strahlen, fallen sie einem leicht lästig, sitzt man etwas seitab, wo sie schräger fallen und die kühleren Schatten der Umwelt sich bemerkbar machen, dann sehnt man sich nach ihrer Wärme. Und wie viel heftiger ist die Sehnsucht noch, wenn nicht die Elternliebe allein die Sonne ist, sondern die Liebe zu dem Manne, dem die Sehnsucht gilt! Auch dafür habe ich volles Verständnis, mein liebes großes Mädel!“ ... Dann wird er sehr direkt und schreibt an anderer Stelle unverblümt: „Hinter Deinem Wunsch verbirgt sich die Frage, wie komme ich am schnell­sten und sichersten zu meinem Geliebten und den Eltern zurück.“

      Cläre behielt ihren Dickkopf und heiratete trotz der Einwände der Eltern ihren Otto, der Bildhauer und freier Künstler war. Zwei Jahre später brachte sie die Zwillinge Gerd und Rolf Schneider zur Welt.

      Auch Renate wurde in die französische Schweiz geschickt, nachdem sie sich in einen den Eltern nicht genehmen Mann verliebt hatte. Im Gegensatz zu ihrer Schwester hat es ihr dort sehr gut gefallen. Sie fand Freundschaften, mit denen sie noch lange nach ihrem Aufenthalt Korrespondenz pflegte. Sie wurde Rotkreuzschwester.

      Aus Briefen und persönlichen Dokumenten aus der Nachlassenschaft meiner Schwiegermutter ahne ich, was Großvater Schiller für ein nobler und außergewöhnlicher Mensch gewesen ist.

      Großvater Schiller wurde sehr geschätzt von Verwandten, Freunden, Bekannten und Patienten. Er starb, wie auch seine Frau, umsorgt von der jüngeren Tochter Renate, noch vor Beginn der Nazi-Ära und den Verfolgungen,


Скачать книгу