Menschen und andere Tiere. Mara-Daria Cojocaru

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Menschen und andere Tiere - Mara-Daria Cojocaru


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müssen. Midgley weist darauf hin, dass in diesen Fällen die bei Philosoph*innen so beliebten Rettungsboot-Dilemmata so gut wie nie die Problematik der Praxis hilfreich rekonstruieren.18 Wann stand denn das letzte Mal eine Feuerwehrfrau vor einem brennenden Haus mit einem Hund und einer alten Frau darin, die beide gleichermaßen ihre Hilfe brauchten? Und wie passt diese Situation als Blaupause zu alltäglichen Situationen, in denen „normale“ Menschen Tieren gegenüber direkt oder indirekt handeln müssen? Außerdem wird mit dem Plädoyer für mehr Kulturmenschlichkeit vor dem Hintergrund einer „unkultivierten Natur“ das Gespräch darüber, ob das, was sich als kulturelle Praxis herauskristallisiert hat, noch weiterhin Zustimmung finden sollte, nicht bereichert. Genau über solch vermeintlich kultivierten Selbstverständlichkeiten möchten jene Kritiker*innen ja diskutieren, die sich auch insofern von dem, was so üblich ist, distanzieren, als sie sich mit Tieren auf eine Ebene begeben – selbst, wenn sie damit, auch sprachlich, irritieren. (Mit der Funktion von Sprache in diesem Kontext beschäftige ich mich in Kapitel 9.)

      Hier möchte ich Folgendes festhalten: Wenn gesagt wird, dass „Tiernutzung“ per se, „bei kompetenter Behandlung der Tiere, nichts Anrüchiges“19 habe, oder wenn behauptet wird, dass erst aus einer wie auch immer kontingenterweise wichtigen menschlichen Perspektive die Ressourcen gewonnen werden könnten, um Tieren als anderen, aber nicht gleichwertigen Mitgeschöpfen zu begegnen, dann wirkt eben jene kulturgeschichtlich tradierte Abwertung von Tieren weiter, die diese Denker*innen vielleicht theoretisch angreifen wollten – jedenfalls bei Diamond ist das wohl so –, aber praktisch akzeptieren. Das aber heißt letztlich, einer Praxis, welche die Theoriebildung auch über Tiere beeinflussen soll, nur in denjenigen Ausschnitten, die einem passen, zu viel zuzugestehen und die vielen Zweifel zu ignorieren, die in ganz unterschiedlichen Sprechweisen und Ausdrucksformen geäußert werden. Zu dieser „Methode der Beharrlichkeit“ und ihrer emotionalen Dimension werde ich in Kapitel 6 aus pragmatischer Sicht noch mehr sagen.

      An dieser Stelle will ich auf ein Problem derer hinweisen, die sich gegen die mehrdeutige Rede von Menschen und anderen Tieren, die immer auch die menschliche Tierlichkeit betonen will, wehren, gewissermaßen als Ausdruck einer selbst verschuldeten Entmündigung verkappter Darwinist*innen: Dass das, was in einer Kultur oder Praxis für gut befunden wird, auch für gut gehalten wird, entspricht einer Spielart des naturalistischen Fehlschlusses, der zumindest dann als Vorwurf akzeptiert werden muss, wenn man sich nicht dazu bekennt, warum diese Kultur oder Praxis gut und auch besser als ihre Alternativen ist. So kann nicht nur ein humanistischer Konservatismus angesichts der immensen Pluralität und eklatanten Widersprüchlichkeit von Kulturen und Deutungen dessen, was wann und wo als „human“ empfunden wird, zu interkulturellen und historischen Peinlichkeiten führen. Vor allem wird damit auch zu schnell über die eigenen, kulturell tradierten, aber keinesfalls akzeptierten Widersprüche hinweggegangen. Dass man „bei uns“ Tiere eben nicht nur isst, sondern sie auch systematisch ausbeutet, in ihren Bedürfnissen frustriert und mit einer Erbarmungslosigkeit zerstört, die nur brutal genannt werden kann, „ist dann wohl so“ – und nicht etwa Grund dafür, dass seit Beginn der krassesten Formen dieser Ausbeutung dezidiert antikulturalistische und eben universalistische Kritik geübt wird, zum Teil auch sehr erfolgreich. An diesem Projekt universalistischer Kritik kann man einiges aussetzen.20 Und ein pragmatischer Fokus, wie ich ihn für sinnvoll erachte, vermag die Defizite auszugleichen, die ein universalistischer Fokus auf Individuen, monistische Konzeptionen moralischer Berücksichtigung und theoretische Abstraktionen verursacht. Aber gerade kulturalistisch argumentierende und dabei doch kulturblinde Humanist*innen bereiten mit ihrer reflexiven Eingeschränktheit auch denjenigen den Boden, die sich auf einen kultivierten Brutalismus oder Quietismus herausreden möchten. Damit komme ich zum nächsten Punkt.

      3.2Für einen entlastenden Essenzialismus!

      Wenn man den auch von Humanist*innen de facto akzeptierten „niederen“ Status von Tieren und allem „Tierischen“ nicht hinterfragen kann, indem man die gemeinsame Gruppenzugehörigkeit von Menschen und anderen Tieren anerkennt, dann kommen auch in der Betonung des immerhin zweifellos Tierlichen am Menschen nur dessen natürlichen Begrenzungen zum Vorschein. Eine zweite, diese Begrenzungen affirmierende Reaktion auf die Redeweise von Menschen und anderen Tieren kommt in zwei Spielarten vor. Die erste ist die philosophisch kaum vertretene Sichtweise, dass der Mensch eben „auch nur ein Raubtier“ sei, wobei die Betonung auf „auch“ liegt. Dadurch soll zum Ausdruck kommen, es sei legitim, dass Menschen anderen Tiere feindlich gegenübertreten, weil Raubtiere das so machen und der Mensch eins ist. Auch wenn diese Sichtweise philosophisch kaum ernst zu nehmen ist, ist sie doch in jeder von biologischem Halbwissen geprägten Diskussion über Gebiss und Verdauungstrakt des Menschen vertreten. Mit solchen Verweisen sollen moralische Forderungen abgewehrt werden, als würden diese sich wider die so und so, nämlich raubtierhaft verstandene Natur des Menschen stellen. „Ultra posse nemo obligatur … – dann könnte man ja auch anfangen, Löwen Tofu-Würstchen in die Savanne zu legen!“ Weil hier vieles allzu flott miteinander vermischt wird, gehe ich auch auf diese brutalistisch-essenzialistische Sichtweise des Menschen ein.

      Philosophisch komplexer und relevanter ist dagegen die zweite Sichtweise, die aus einer essenzialistischen Perspektive eine Art Quietismus ableitet. Dabei wird vor allem auf die Grenzen der menschlichen Natur abgestellt, die in der Kreatürlichkeit des Menschen und seiner unmittelbaren Selbsterfahrung als abhängiges Wesen begründet liegen sollen. Gemein ist aber essenzialistischen Kritiker*innen beider Couleur, dass sie ein Gefühl der Entlastung artikulieren und sich gegen normative Sichtweisen des Menschen wehren, die zu humanistischer Verantwortung und Aufklärung aufrufen, und, a fortiori, gegen jene, die auch noch mehr als das in der moralischen und politischen Berücksichtigung von Tieren fordern.

      Zur ersten Spielart: Eher selten wird von brutalistischen Essenzialist*innen explizit auf Denker wie Friedrich Nietzsche, Oswald Spengler oder jüngst John Gray Bezug genommen. Man findet diese Sichtweise eher in Form von antiveganen Slogans: auf T-Shirts, im Internet oder am Stammtisch. Der emotionale Tenor dieser Sichtweise kommt allerdings besser in folgendem Zitat – von Spengler – zum Ausdruck. Er behauptet:

      Das Raubtier ist die höchste Form des freibeweglichen Lebens. Es bedeutet das Maximum an Freiheit von andern und für sich, an Selbstverantwortlichkeit, an Alleinsein, das Extrem der Notwendigkeit, sich kämpfend, siegend, vernichtend zu behaupten. Es gibt dem Typus Mensch einen hohen Rang, daß er ein Raubtier ist.

      Ein Pflanzenfresser ist seinem Schicksal nach ein Beutetier und sucht sich diesem Verhängnis durch kampflose Flucht zu entziehen. Ein Raubtier macht Beute. Das eine Leben ist in seinem innersten Wesen defensiv, das andere ist offensiv, hart, grausam, zerstörend.21

      Es ist nachgerade aussichtslos, gegen eine solch libertäre Überheblichkeit etwas Vernünftiges zu sagen, da jemand, der diese Sicht auf den Menschen vertritt, wohl alles an Sozialität, mithin auch die verständigungsorientierte Kommunikation, als Ausweis von Schwäche zurückweisen wird. Alle Fakten, die dieser Sichtweise entgegenstehen, können gegen das wilde, pennälerhafte Bedürfnis nach gedanklicher Unabhängigkeit, das hier zum Ausdruck kommt, nichts ausrichten. Vielleicht kann man sich noch in psychologischer oder therapeutischer Absicht fragen, in welcher womöglich allzu menschlichen Kränkung oder in welchem Defekt die Ablehnung all jener Tugenden wurzeln mag, die so jemanden in den Stand versetzen, sich entsprechend antisozial zu artikulieren. Auch ein*e Brutalist*in ist wohl irgendwann durch Erziehung und andere Menschen zum Brutalisten oder zur Brutalistin geworden oder hat sich selbst dazu gemacht.

      Anzumerken bleibt, dass diese Brutalist*innen offenkundig wenig über sozial organisierte Beutegreifer (etwa Wölfe, Orcas, Löwen, Hyänen …) wissen, deren Existenz nicht auf Kampf, Sieg oder gar Vernichtung ausgerichtet ist. Bestien, wie sie als Modell für diese „Raubtiere“ stehen, gibt es in der Natur gar nicht.22 Darüber hinaus ist – neben der Randständigkeit dieser Position in ihrer konsequent zu Ende gedachten Form – erwähnenswert, dass sich eine Art Hass auf das Kreatürliche und auf Abhängigkeiten auch in denjenigen Formen von Tierquälerei finden, die selbst die Mehrheitsgesellschaften nicht akzeptieren und als pathologisch erkannt haben.23


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