Menschen und andere Tiere. Mara-Daria Cojocaru

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Menschen und andere Tiere - Mara-Daria Cojocaru


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Fortschritts und der unbegrenzten Ressourcen hat sich etwa klar als falsch erwiesen, und zwar als lebensgefährlich falsch. Mit Midgley bin ich daher der Meinung, dass es nicht nur sinnvoll, sondern sogar unerlässlich ist, vom Menschen explizit auch als einem Tier zu sprechen, und zwar, weil Tiere nicht nur eine Klasse von Dingen sind, mit denen Menschen sich, wie sie sagt, „amüsieren“ (wie „Kaugummi und Wasserskier“13). Tiere sind vielmehr die Gruppe, zu der die Menschen gehören.14 Mit dieser Anerkennung einer Gruppenzugehörigkeit wird auch pragmatisch eine Orientierung vorgegeben – eine Orientierung in der Entwicklung des Menschen.

      Diese Entwicklung ist primär sozial, nicht physiologisch, auch wenn physiologische Entwicklungen der Art Mensch zu erwarten sind und das vielleicht sogar zuverlässiger als soziale. Dass aber der Mensch im Laufe seiner künftigen physiologischen Entwicklung den Weisheitszahn verlieren könnte, ist philosophisch nun doch trivial, jedenfalls vor dem Hintergrund der Problemstellung dieses Buches. Insofern ist es wichtiger, die moralische Verwandtschaft zu bestimmen, die zwischen Menschen und anderen Tiere entstehen kann, weil Menschen auch Tiere sind, und zwar, wie sich zeigen wird, in einem besonderen, nicht nur moralischen, sondern auch politischen Sinne.

      Diese Verwandtschaftsbehauptung ist aber in Philosophie und Gesellschaft weder allgemein anerkannt noch frei von emotionalen Reaktionen. Im Gegenteil: Sie ist zugleich Reizthema und Utopie. Daher werde ich in den folgenden Abschnitten erst auf die Probleme eingehen, die so eine Redeweise und die damit einhergehende Behauptung mit sich bringen, um dann das herauszuarbeiten, was als Tierlichkeit des Menschen, insbesondere im Vergleich und im Miteinander mit anderen Tieren, betont werden kann und sich in ein stimmigeres Selbstbild des Menschen integrieren lassen sollte. Dabei geht es auch um den Mythos des Tiers und des „Tierischen“ als etwas Niederem, der in Form von Brutalismus dem menschlichen Selbstbild und in Form von Stereotypen anderen Tieren schadet und auch den Hintergrund für die erste emotionale Reaktion bilden dürfte.

      3.1Wider die selbst verschuldete Entmündigung verkappter Darwinist*innen!

      Viele Menschen empfinden es als eine Herabsetzung, wenn Menschen und Tiere auf einer Stufe und in ein und demselben Vokabular verhandelt werden. Die Aussage, dass Menschen „wie Tiere“ behandelt würden, ist meistens ein Ausdruck der Empörung darüber, dass Menschen den gleichen oder ähnlichen Handlungen unterworfen werden wie Tiere, und kein Ausdruck etwa der Wertschätzung einer „artgerechten Haltung“. Ähnlich wird auf die Redeweise von „Menschen und anderen Tieren“ reagiert, die manchen beispielsweise zu suggerieren scheint, dass Menschen „auch nur Tiere“ seien, wobei die Betonung auf „nur“ liegt. In solchen Reaktionen wirkt ein kulturgeschichtlicher Dualismus nach, der nicht nur klar zwischen Menschen und Tieren differenziert, sondern auch mit „dem Tier“ und „dem Tierischen“ alles Weitere abwertet, das irgendwie „naturnah“ begriffen wird.15 Unter diesen diffusen Begriff von Natur können Frauen ebenso fallen wie die eigenen Körperfunktionen. Diese Abwertung des „Tierischen“ geht einher mit einer Aufwertung des Menschen bzw. dessen, was von ihm übrig ist, und findet sich auch in der philosophischen Tradition in Gegenüberstellungen wieder, die mal mehr, mal weniger akzeptierte Teile welterschließender Mythen im Sinne Midgleys geworden sind. Dann wird geredet von „Moral“ einerseits und „Instinkt“ andererseits, von „Geist“ hier und „Materie“ dort, von „Vernunft“ gegenüber dem „Triebhaften“ und von der „Seele“ gegenüber dem „Körper“ usw. Das, was Menschen an sich selbst auszeichnen wollen, steht dann immer im Gegensatz zu der anderen Seite, und obschon der Mensch unter aufgeklärten Menschen natürlich auch Tier ist, biologisch, beeilt man sich hinzuzufügen, dass er aber nicht richtig oder jedenfalls nicht nur Tier ist.

      Zu der Belastbarkeit dieser – vergleichsweise durchsichtigen – Mythenbildung und ihrer Wirkmacht in der Produktion exkludierender moralischer und politischer Ordnungen komme ich in Kapitel 5. Ich habe diesen philosophischkulturellen Hintergrund hier erwähnt, um im Folgenden einer Sorge zu begegnen, die sich auf die Redeweise von „Menschen und anderen Tieren“ bezieht. Sie findet sich zum Beispiel bei Kritiker*innen dieser Redeweise wie Peter Janich oder Cora Diamond.

      Diesen Kritiker*innen geht es selbstverständlich nicht darum, hinter Darwin und die Erkenntnisse biologischer Verwandtschaft zwischen Menschen und Tieren zurückzufallen. Sie fürchten allerdings eine Art Brutalisierung der normativen Sicht auf den Menschen, bei der moralische Errungenschaften, die Menschen in einen Abstand zu sich selbst als „bloßen“ Naturwesen brächten, gefährdet würden. Der Begriff der „Würde“ ist hierbei zentral, aber auch derjenige der „Verantwortung“ (Janich). Oder es wird schlicht behauptet, dass mit dem Begriff „Mensch“ eine normative Praxis verbunden sei (Diamond). Diese humanistischen Impulse verstehen sich im Gegensatz zu naturalistischen Ansätzen, und so werde ich im Folgenden von humanistischen Kritiker*innen sprechen, auch wenn sich Janich und Diamond in ihren philosophischen Traditionen voneinander unterscheiden.

      Humanistische Kritiker*innen der naturalisierenden Redeweise von Menschen und anderen Tieren wehren sich gegen die Einordnung des Menschen mit seinen kulturellen Praktiken in die Sphäre der Natur. Sie wollen entweder das Erbe der Aufklärung (Janich) oder einen spezifisch praktisch gewachsenen Begriff vom Menschen (Diamond) verteidigen. Kultur soll sich dadurch auszeichnen, dass sie gegen die Widrigkeiten des bloßen Lebens Sinnzusammenhänge artikuliert und durchsetzt, auch und gerade im vom Umgang zwischen Menschen unterschiedenen Umgang mit Tieren. Hier wird eine klare Abgrenzung von Menschen und anderen Tieren vorgenommen und zur Begründung auf kulturelle Praxis verwiesen. Zwei Beispiele machen dies deutlich. So erläutert etwa Janich: „Bei einer Expedition erlaubt der Gnadenschuß für ein verletztes Transporttier nicht den Gnadenschuß für den verletzten Sherpa. Die Weihe des Friedhofs wird nicht auf die neuerdings entstehenden Haustierfriedhöfe übertragen. Und wenn bei einem Katastropheneinsatz Leben in Gefahr sind, wird die Feuerwehr immer zuerst die Menschen und erst dann die Tiere retten.“16

      Und Diamond schreibt, nachdem sie kurz zuvor erklärt hat, dass es angemessen sei, ein zwei Tage altes Kind zu beerdigen, nicht aber einen Welpen:

      Alle diese Dinge wirken an der Bestimmung des Begriffs „Mensch“ mit. Ähnlich im Falle der Pflichten gegenüber anderen Menschen. Das ist keine Konsequenz daraus, was Menschen sind, es ist nicht gerechtfertigt durch das, was Menschen sind: Es ist selbst eines der Dinge, die unsere Vorstellung von Menschen konstituieren. Und so – genau so – auch die Vorstellung vom Unterschied zwischen Menschen und Tieren. Was ein Mensch ist, lernen wir unter anderem, indem wir an einem Tisch sitzen, an dem WIR SIE essen. Wir sitzen um den Tisch herum, sie liegen darauf.17

      Mich interessieren hier nicht die inhaltlichen Stellungnahmen dazu, ob man Transporttiere nun erschießen, Haustiere beerdigen oder irgendein weiteres Tier aus einem brennenden Haus oder dem Schlachthof retten sollte oder nicht. Auch nicht diejenigen dazu, ob man gegenüber Menschen Gnadenakte vollziehen darf, und noch weniger dazu, ob das Gebot, dass Menschen andere Menschen nicht essen dürfen, Bestand haben sollte – obwohl fraglich ist, ob es so sehr viel aussagt, wenn man all das berücksichtigt, was Menschen einander sonst noch antun.

      Wichtig ist, dass die humanistischen Kritiker*innen ihr normatives (!) Verständnis vom Menschen aus einer kulturellen Praxis gewinnen, die sicher viele Menschen teilen. Kulturelle Praxis ist aber beständig im Wandel. Dass der hier zugrunde gelegte normative Konsens nicht zweifellos und verbindlich gilt, wird schlicht dadurch nahegelegt, dass es Menschen gibt, die die Dinge anders handhaben. Dass „Gnadenschüsse“ umstritten sind, dass Gnadenakte in Situationen extremen Leidens von Menschen nicht mehr indiskutabel sind, dass sich Disziplinen wie etwa die Zootheologie ausbilden, dass das Internet voll ist mit spektakulären Rettungsaktionen zugunsten einzelner Tiere und ganzer Tiergruppen – auch in Situationen, in denen Menschen zugleich gefährdet sind – und dass Menschen es nicht mehr normal finden, Stücke von toten Tieren auf dem Tisch zu haben, sofern sie das entsprechende „Lebensmittel“ denn als ein solches erkannt haben. Wer seine Normativität aus der Praxis gewinnt, darf diese Pluralität nicht unterschlagen.

      Mit der humanistischen Emphase für das Kulturwesen Mensch wird das Anliegen, das in der Redeweise vom Menschen und anderen Tieren zum Ausdruck kommt, zu Unrecht


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