Menschen und andere Tiere. Mara-Daria Cojocaru

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Menschen und andere Tiere - Mara-Daria Cojocaru


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nicht als Identität begriffen werden, weil in diesem Fall eine entsprechende Gruppierung sich ja eigentlich eine Welt wünscht, in der ihr Daseinsgrund nicht mehr existiert. Wenn man Fan einer bestimmten Band ist, wünscht man sich, dass sie weiter Alben veröffentlicht, dass man auf Konzerte gehen kann usw. Wenn man etwas sammelt, möchte man es aufheben, ausstellen, austauschen. Wenn man aus freien Stücken in einer religiösen Gemeinschaft ist, möchte man, dass diese fortbesteht, nicht das Gegenteil. Vegan lebende Menschen wünschen sich dagegen vernünftigerweise nicht eine Welt, in der sie sich qua vegan lebende Menschen von anderen absetzen und sich darüber definieren können. Denn das würde bedeuten, dass es immerfort andere Menschen geben müsste, die Tiere ausbeuten. Genauso wenig also wie Menschen, die sich für die Wahrung und Durchsetzung von Menschenrechten einsetzen, sich eine Welt wünschen, in der ihre raison d’être fortbesteht, auch wenn man als Kurzform von ihnen als „Menschenrechtler*innen“ sprechen mag, sollten vegan lebende Menschen „Veganer*innen“ sein. Ich lebe jedenfalls nicht vegan, weil ich „heiliger“ als alle anderen sein möchte, sondern weil ich ein denkender und fühlender Mensch bin, der nicht im Angesicht der eigenen Widersprüche gänzlich den Respekt vor sich selbst verlieren möchte. Und ich weiß auch sehr genau, woraus ich meine Identität schöpfen kann, wenn ich unversehens doch noch in einer Welt leben sollte, in der ich meine Zeit nicht mehr damit verbringe, ein Buch zu schreiben, das zum Ziel hat, dass die Ausbeutung von Tieren ein Ende findet. Insofern dieser Zustand das Ziel ist, ist es mir egal, ob Menschen sich aus tiefstem Herzen dazu entschließen, vegan sein zu wollen oder nicht. Schön wäre, wenn sie einfach mitdenken und mitfühlen wollten und in der Konsequenz einfach vegan lebten, also vor allem in einer Welt, die frei ist von durch Menschen verursachtes Tierleid, wie es in der Massentierhaltung normal ist.

      Dieses Ziel wird nicht dadurch Wirklichkeit, dass eine Heerschar an klugen und einfühlsamen Veganer*innen auszieht und anstrengende Gespräche mit Familienmitgliedern und Freund*innen führt, bis alle Menschen sich zu tugendhaften Konsument*innen entwickelt haben werden. Genauso wenig haben nämlich Generationen von klugen und einfühlsamen Feminist*innen dafür sorgen können, dass wir heute in einer Welt leben, in der niemand mehr das Laster der Frauenfeindlichkeit aufweisen würde. Anstrengende Gespräche sind und bleiben zweifellos hier wie dort notwendig, aber damit sind die Anliegen nicht geklärt. Hinzutreten müssen Institutionen, die es den Einzelnen ermöglichen, sich bestimmte Fehltritte eben nicht zu leisten, und die den Menschen dabei helfen, im Einklang mit ihren normativen Absichtserklärungen zu leben. Zwanzig Jahre nach meiner Schlachthoferfahrung lebe ich in einer diskursiven Welt, in der niemand mehr unbedarft Produkte aus problematischer Tierhaltung isst. Ich weiß gar nicht, wie oft sich Fleischesser*innen mir gegenüber entweder ohne Aufforderung rechtfertigen oder offen Interesse an Alternativen zeigen. Das geht dann so: „Also, ich kaufe ja auch nur noch bio.“ Man hat dann die Wahl, verständnisvoll zu nicken und dabei den anderen das nicht abzunehmen, weil das in der Breite, wie man das zu hören bekommt, gar nicht sein zutreffen kann, oder darauf hinzuweisen, dass „bio“ keine signifikante Verbesserung für die Tiere bedeutet. Oder man wird gleich zum Verkäufer oder zur Verkäuferin und erzählt von Ersatzprodukten, räumt Bedenken aus und korrigiert Missverständnisse.

      Gleichzeitig sollen Veganer*innen akzeptieren, dass sie potenziell nerven, und sofort artig Ruhe geben, wenn das Gegenüber genug von dem Thema hat. Und dann kommt die ZEIT, die ihre vierzig Fragen zum Thema Massentierhaltung mit der Frage beschließt: „Nervt es Sie, dass Fleischkonsum zu einer moralischen Angelegenheit geworden ist?“ Ich nehme an, dass sich diese Frage an Fleischesser*innen richtet. Dabei will ich aber Ja rufen. Ja, es nervt mich. Es nervt mich, weil da unter Moral gerne x-Beliebiges verstanden wird, nur nicht das, was sich im Minimalkonsens schon ausdrückt. Es nervt mich aber vor allem, weil es bei diesem Thema einen gesellschaftlich-rechtlichen Konsens gibt, dessen Durchsetzung auf die Verbraucher*innen abgewälzt wird. Dabei braucht es schlicht systemische Vorgaben ähnlich denen, die den Konsens durchsetzen, dass andere problematische Produkte – Waffen, Kinderpornografie, Umweltgifte – auch dann nicht in Deutschland frei verkäuflich sind, wenn es Menschen gibt – wie viele auch immer –, die sie gerne kaufen würden. Und doch wehrt man sich, während ich diese Zeilen tippe, in Deutschland gegen den Tierwohl-Cent. Cent! Man findet aber zugleich an der Vorstellung, dass man sich ökonomisch für moralisches Fehlverhalten systematisch entschulden könnte, nichts widersinnig. Ein Zeitungsartikel, der sich selbst wohl als kritisch versteht, geht aus von Sätzen wie: „Tierische Produkte sind keine Ware wie jede andere. Für jedes Stück Fleisch muss ein Tier gezüchtet und getötet werden. Das sollte möglichst ohne Leid fürs Tier geschehen, der zusätzliche Aufwand sollte im Preis Ausdruck finden.“18 Das „sollte möglichst ohne“, das ist Gesetz – und nichts, was der oder die Konsument*in entscheiden können soll.

      Dieser Entwicklung steht der Einfluss der konventionellen Nutztierhalter*innen auf das politische System stark entgegen – in Deutschland beispielsweise durch den Bauernverband und Forum Moderne Landwirtschaft, auf EU-Ebene etwa durch die European Livestock Voice – und das ist nachgerade als undemokratisch zu werten. Und wieder komme ich zu der Frage, welche Positionen und Argumente im System überhaupt gehört werden. Noch lange vor dem Auftreten des neuartigen Coronavirus und den dadurch bekannt gewordenen Bedingungen im Unternehmen Tönnies bekomme ich eine Anfrage zu einer Weiterbildung von dem Betriebsleiter eines Schlachthofs – nennen wir ihn Herrn Redlich –, der es, sagen wir, gut meint. Oder jedenfalls meint Herr Redlich, dass man einen Schlachthof heutzutage nicht mehr ohne ein „philosophisches Fundament“ betreiben könne. So steht das in einer E-Mail, in der er einen Telefontermin erbittet. Ich rufe ihn an und sage ihm, dass Philosophie meinem Verständnis nach eher dafür da sei, Gewissheiten zu erschüttern als Fundamente zu bauen. Und im Rahmen einer tierethischen Weiterbildung würde ich nicht verschweigen, dass sich gerade für Schlachthäuser – egal aus welcher theoretischen Perspektive – erhebliche ethische Grundsatzprobleme stellen. Selbst wenn (!) man gegen das Töten von Tieren an sich nichts einwenden könnte, kommen die Tiere doch bei einem Schlachthof meist unzumutbar gestresst und leidend an. Das heiße aber nicht, dass ich keinen Sinn in der Weiterbildung sehe. Im Gegenteil: Lust auf das Gespräch hätte ich schon, zumal ich nicht primär mit den Mitarbeiter*innen an der Basis zu sprechen käme, die trotz Schlachtschein doch keinen rechten Begriff von Tierethik hätten (das hieß es im Gespräch zuerst). Vielmehr will Herr Redlich auf der Suche nach Ethik seine Kolleg*innen aus den Führungsetagen anderer Schlachthöfe in der Region zu dem Workshop bewegen. Ich sage zu, ich lasse mich darauf ein. Er will sich bald melden, mit Details und Terminvorschlägen … Und ich höre nie wieder von ihm. Es wäre glatt gelogen, wenn ich sagte, ich hätte das persönlich zutiefst bedauert. Aber um meine persönlichen Interessen geht es bei der Tierethik nicht, und wenn jemand Bedarf anmeldet, bin ich gewillt zu liefern – und zwar nicht nach Geschmack, als Feigenblatt, sondern das, was die Bandbreite der ethischen Forschung in den letzten Jahrzehnten geliefert hat. Ich habe noch zweimal nachgefragt. Wieder ohne Antwort. Ob Herrn Redlichs Kolleg*innen keine Lust auf den Workshop hatten oder ob er nach dem Gespräch mit mir nicht doch erst noch einmal einen Blick in eine tierethische Einführung geworfen hat – ich weiß es bis heute nicht.

      2Und wie wird das nun Philosophie? Ein paar Hinweise zur Methode

      Jetzt wissen Sie, wo ich herkomme bzw. welche Erfahrungen ich im Umgang mit den Themen dieses Buches schon gemacht habe, und ich erlaube mir noch ein paar Bemerkungen zum weiteren Vorgehen, sprich: zur Methode.

      Die Frage nach der Methode in der Philosophie ist selbst eine philosophische Frage: Welchen Weg nimmt man zur Wahrheit, wenn man voraussetzt, dass Wahrheit überhaupt als das Ziel philosophischer Untersuchungen verstanden wird?1 Unterschiedliche Philosoph*innen haben diese Frage über die Zeit hinweg unterschiedlich beantwortet und von aporetischen Aphorismen bis zu analytischen Argumenten alles geliefert: Dialoge, Traktate, Formalisierungen, Phänomenologien usw. Die Standardform, die diese Wegerklärungen oder Reiseführer annehmen, ist aktuell der philosophische Fachartikel oder die entsprechende Monografie. Während ich in den letzten Jahren daran gearbeitet habe, Erstere zu publizieren, will ich mit diesem Buch einen anderen Weg einschlagen. Philosophische Fachartikel werden nämlich kaum gelesen: Es gibt zu viele; sie sind für das, was sie sagen wollen, zu lang, und sie sind oft auch langweilig und langwierig geschrieben.2 Für manche philosophische


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