Menschen und andere Tiere. Mara-Daria Cojocaru

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Menschen und andere Tiere - Mara-Daria Cojocaru


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zwischen Supererogation („Sollte man vielleicht, muss man aber nicht“) und privater Glaubensfrage („Wenn‘s dich glücklich macht“) einzuordnen. Deswegen wird man als Vegetarier*in heute toleriert und vegane Produkte werden als Randgruppenbedarf, der aber auch dann und wann mal für die „normalen“ Verbraucher*innen die Möglichkeit einer zwanglosen Abwechslung darstellt, in die Supermärkte integriert. So, wie man eine kulinarische Entdeckungsreise antreten oder etwas, das man aus dem Thailandurlaub kennt, nachkochen kann, wenn man im Spezialitätenregal zu Zitronengras und Kokosmilch greift, so kann man auch zu einer vielleicht primär moralischen Entdeckungsreise aufbrechen oder nachkochen, was man bei veganen Freund*innen gegessen hat, wenn man bei den veganen Produkten zugreift. Solche Konsumausflüge in eine andere, tierleidärmere Welt gelten dabei als irgendwie moralisch-pädagogisch wertvoll. Auf irgendeiner Ebene sind wir uns nämlich mittlerweile weitestgehend darüber einig, dass der gegenwärtige gewohnheitsmäßige Konsum von Tierprodukten, vor allem von Fleisch, keine Zukunft hat, und das aus mindestens fünf Gruppen von Gründen.

      Die erste Gruppe hat klar mit den Tieren selbst zu tun. Das, was man standardmäßig in Deutschland im Supermarkt kaufen kann, entspricht vielfach nicht einmal den gesetzlichen Standards – da muss man sich nichts vormachen –, geschweige denn den moralischen Mindeststandards, welche die Mehrheit der Konsument*innen erwartet. Bevölkerungsumfragen mögen verzerrt sein, weil die Leute so antworten, wie es ihrer Meinung nach sozial erwartet wird; dennoch ist festzuhalten, dass 94 % der Europäer*innen Tierwohl für wichtig erachten. Damit bewegen sie sich auf einen Standpunkt zu, der sich aus den verschiedensten ethischen und religiösen Theorien ergibt und gesetzlich festgeschrieben ist: Empfindungsfähige Tiere sind keine Fleisch-, Milch-, Eier-, Woll- oder Sonstwas-für-Maschinen, sondern Wesen, die von starken Tierschutznormen (wenn auch nicht von Tierrechten) geschützt werden müssen. Deswegen empören sich Menschen, wenn Küken geschreddert werden. Deswegen können sie es nicht ertragen, wenn sie in manchen Tötungspraktiken Tierquälerei am Werke sehen. Und deswegen gucken viele schon gar nicht mehr genau hin, wenn eine entsprechende Tierquälerei mit dem eigenen Konsumverhalten in Verbindung steht.

      Abgesehen von aufrichtigen oder scheinheiligen Tierschutzanliegen und Absichtsbekundungen sprechen aber auch die mit den hiesigen industriellen Haltungs- und Produktionsformen verbundenen Gesundheitsrisiken für eine Kehrtwende in all den Praktiken, die dafür sorgen, dass Menschen etwas zu essen haben. Es mutet ein wenig absurd an, es hier überhaupt noch anzuführen, aber die entsprechenden Risiken der industriellen Tierhaltung sind enorm und erstrecken sich von Parasiten und Salmonellen über diverse Grippen bis hin zu durch verabreichte Antibiotika auftretende multiresistente Bakterien, die EU-weit jährlich für Zigtausende Todesfälle verantwortlich sind. Hinzu kommen die Risiken so genannter Zivilisationskrankheiten, die durch Fleischkonsum zumindest steigen, auch wenn es hier weder um Monokausalität noch um Schuldzuschreibungen geht. Mein Punkt ist ja gerade, dass der oder die Einzelne in dieser Situation heillos überfordert ist und Systeme braucht.

      Apropos Systeme: Damit ist nicht nur die Politik gemeint, sondern natürlich auch die Umwelt, die durch die Wasser- und Luftverschmutzung der industriellen Landwirtschaft massiv beeinträchtigt wird. Die lokal durch Monokulturen, Bodenverschmutzung und -erosion sowie durch einen hohen Wasserverbrauch entstehenden Probleme sind weithin bekannt und leicht im Bewusstsein. Auch die globale Dimension wird vielen über die Stichwörter „Treibhausgase“ und „Regenwaldrodung“ mehr oder weniger begreiflich sein. Sie äußert sich zudem in der oft übersehenen Zerstörung nicht industrieller Betriebe, vor allem im globalen Süden.

      Diese wirtschaftliche Ungerechtigkeit manifestiert sich auch in unseren Breitengraden, nicht zuletzt durch eine problematische Gemeinsame Agrarpolitik der EU, die große, industrielle Betriebe bevorzugt – trotz aller Bemühungen um einen Green Deal. Von der Ausbeutung prekarisierter Arbeiter*innen in diesen Betrieben ist dabei noch gar nicht die Rede. Dass Erzeugnisse, die sich offenkundig auf dem Markt allein nicht durchsetzen können, subventioniert oder auf Kosten der Steuerzahler*innen gelagert werden, gehört zu den widersinnigen Gipfeln einer Politik, die einerseits liberal doziert, man solle doch „das Schnitzel nicht verteufeln“, und andererseits auf Schweinefleisch in Mensen und Milch in Schulen besteht.

      Und während die Menschen in der EU den Hals mit solchen multipel problematischen Produkten zugespachtelt bekommen, fördert genau diese Politik Hunger und Armut auf der Welt, indem aus schlechter gestellten Regionen für menschliche Nahrungszwecke vollwertiges Getreide als Tierfutter exportiert wird und dort überhaupt für den Export statt für die lokale Bevölkerung gewirtschaftet wird. Zu allem Überfluss werden diese lokalen Märkte dann mit den Überschüssen der hiesigen Wirtschaft zugeschüttet, wenn es gerade passt. Das ist eine zutiefst menschenverachtende (!) und Nahrungsmittelunsicherheit generierende Praxis.

      Zumindest auf Produkte aus industrieller Nutztierhaltung zu verzichten ist damit aus Gründen des Tierschutzes, der öffentlichen Gesundheit, der Umweltverträglichkeit, der wirtschaftlichen Fairness und der Nahrungsgerechtigkeit normativ derart überdeterminiert, dass sich manche Menschen zwischenzeitlich wohl schon genötigt fühlen, zu sagen, sie seien Vegetarier*innen, obwohl sie manchmal Fleisch essen.16 Das kann man für scheinheilig oder verwirrt halten oder für redliche Absicht … – und dann kam das Leben. Es steht jedenfalls fest, dass Formen der Tierhaltung, die tierquälerisch sind, die Gesundheitsrisiken darstellen, die Umwelt zerstören, den Wettbewerb verzerren und Ungerechtigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung produzieren, inakzeptabel sind, und das wird eigentlich auch eingesehen. Dass die bloße Nahrungsaufnahme auch deswegen keine Privatsache mehr sein kann, wissen all diejenigen, die Vegetarismus unter gewissen Bedingungen noch tolerieren können, Veganismus aber für eine „radikale“ und gefährliche Ideologie halten.

      „Wie, du bist jetzt auch noch vegan?“ Abgesehen von dem skandalisierten Ton, in dem diese Identitätsbezeichnung meistens geäußert wird, hat sie mir noch nie gefallen – nicht nur, weil sie ausdrückt, dass man in den Augen von Familienmitgliedern und Freund*innen noch anstrengender geworden ist, sondern auch, weil ich nur nebensächlich „vegan“ lebe, das heißt, mein Veganismus ist Nebenprodukt des Denkprozesses, den ich später, lange nach der genannten Schlachthoferfahrung, noch einmal aufgenommen habe. Mit meinem Fleischverzicht hatte ich das Problem, auf das ich damals aufmerksam geworden war, für gelöst gehalten. Diese Problemlösung habe ich mir aber nicht als Lebensinhalt auf die Fahnen geschrieben, sondern ich habe lediglich versucht, sie auch unter dem Druck, den man als Außenseiterin erfährt, für mich konsequent beizubehalten. Und dann … – kam das Leben. Als ich später wieder ins Denken kam, wurde mir nicht nur klar, dass man mit dem Fleischverzicht allein noch nicht fein raus ist, sondern auch, dass man mit dem Versuch, auf alle aus Tieren, ihren Körperteilen und Sekreten erzeugten Produkte zu verzichten, genauso wenig fein raus – wenn „fein raus“ heißen soll, eine moralisch saubere Weste zu haben.

      Beim Veganismus aber scheint es sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in manchen seiner identitätspolitischen Verirrungen genau darum zu gehen, und das ist der Grund, aus dem ich den Begriff lange lieber vermieden habe. Mich erschreckt es, wenn es Gruppen gibt – in Sozialen Medien oder auch anderswo – die sich „Veganer raus aus Deutschland“ nennen. Mich erschreckt das nicht nur, weil es sich dabei um dem Rassismus analoge Diskriminierungsformen handelt, sondern auch, weil es dann bei der ganzen Sache mehr um die Veganer*innen und ihren Status als Minderheit oder Fremde geht, der Gesellschaft Entfremdete, und nicht um die Probleme der Tierausbeutung selbst. Damit will ich nicht sagen, dass die Diskriminierungserfahrungen von Menschen, die sich gegen Tierausbeutung einsetzen, trivial wären.17 Aber Diskussionen um den Veganismus sollten sich auf die Bereiche konzentrieren, in denen politische Veränderungen für die betroffenen Tiere erreicht werden können, und sich nicht in der Erörterung und Entwicklung von Minderheitenrechten verlieren – dann nämlich würde der Veganismus auch als Minderheitenanliegen zementiert werden. Und das würde die politische Tragweite dieser Lebensweise ignorieren.

      Gleichermaßen langweilen mich ehrlich gesagt Versuche, Veganismus als identitätsstiftende Größe in einer unübersichtlich gewordenen Welt auszuweisen. So ein Versuch mag oberflächlich erklären, warum manche Menschen Veganismus als Identität „ausprobieren“, nachdem sie Popmusik versucht haben, bei den Pfadfinder*innen oder aus der Kirche ausgetreten sind – nur um auch das nach einer Weile wieder


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