Große Errungenschaften der Antike. Holger Sonnabend

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Große Errungenschaften der Antike - Holger Sonnabend


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      Das Vordringen der Perser in Kleinasien stellte nicht nur für Kroisos ein Problem dar. Auch die Griechenstädte Ioniens sahen sich in ihrer Freiheit und Autonomie bedroht. In dieser schwierigen Lage soll Thales einen weisen politischen Rat gegeben haben. Dessen Authentizität darf als gesichert gelten, weil er ausgerechnet von dem Thales-Kritiker Herodot überliefert wird, der keinen Anlass hatte, über den Milesier unverdiente Lorbeeren auszustreuen. Die Ionier, so lautete die Empfehlung des Thales, sollten ihre Rivalitäten vergessen, nicht weiter auf die Autonomie einer jeden Stadt pochen, sondern sich in der Stunde der Gefahr zusammentun. Konkret plädierte er für die Installierung eines gemeinsamen Rates in der zentral gelegenen Stadt Teos. »Recht brauchbar« nannte der sich in Gönnerstimmung befindliche Herodot diesen Plan – befolgt wurde er freilich nicht, und so kamen die Ionier, allerdings erst nach dem Tod des Thales, unter die Herrschaft der Perser.

       Die Sieben Weisen

      Seine erwiesene Klugheit verschaffte Thales Zutritt zu einem exklusiven Club der Antike: den Sieben Weisen. Viel miteinander zu tun hatten diese jedoch nicht. Der Kreis wurde vielmehr erst im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. zusammengestellt, als man, auch unter dem Eindruck der Magie der Zahl Sieben, nach Männern suchte, die sich in der Vergangenheit durch Verstand und Intellekt ausgezeichnet hatten. Ganz einig war man sich nicht, wer dazugehören durfte – es kursierten konkurrierende Listen mit insgesamt 17 Namen, die man in den Olymp der »Sieben Weisen« erheben wollte. Thales aber war immer dabei, was erkennen lässt, welch bedeutenden Ruf er bei der Nachwelt hatte. Gleiches gilt für den Athener Solon, einen der Wegbereiter der attischen Demokratie, oder den Priener Bias, der in der Zeit der Bedrängnis der Ionier durch die Perser den Rat gegeben hatte, man solle doch nach Sardinien auswandern. Jedem der Sieben Weisen wurden eine Reihe von klugen Aussprüchen zugeschrieben, kurze, bedenkenswerte Sentenzen voller Lebenserfahrung. So gehen auch auf das Konto des Thales einige tiefgründige Einsichten. Konfrontiert mit der Frage: »Was ist schwierig?« gab er zur Antwort: »Sich selbst zu erkennen.« Und was ist einfach? »Anderen Ratschläge zu erteilen.« Und wie kann man am gerechtesten leben? »Wenn man selbst das unterlässt, was man an anderen auszusetzen hat.«

       Der Philosoph im Brunnen

      Früh musste Thales aber auch herhalten als der Prototyp des weltfremden, zerstreuten Gelehrten – die Kehrseite der Ehre, Mitglied der »Sieben Weisen« gewesen zu sein und sich auf so vielfältige Weise mit den Geheimnissen der Wissenschaft beschäftigt zu haben. Kolportiert wird in diesem Zusammenhang eine wenig schmeichelhafte Anekdote. Einmal sei Thales durch die Stadt spaziert, die Augen nach oben gerichtet, mit astronomischen Studien beschäftigt, und da sei er in einen Brunnen gefallen (wobei diese unfreiwillige Bekanntschaft mit dem Element Wasser wohl kaum in einem ursächlichen Zusammenhang mit seiner Theorie vom Wasser als der Grundsubstanz alles Seienden gestanden haben dürfte). Ein einfaches Bauernmädchen habe sich daraufhin über ihn lustig gemacht: Er strenge sich an, die Dinge im Himmel zu erkennen, dabei habe er aber keine Ahnung von dem, was ihm vor den Augen und den Füßen liege.

       Die Intellektuellen schlagen zurück

      Solche Geschichten wurden zweifellos von Leuten in Umlauf gebracht, die der Meinung waren, die Beschäftigung mit der Wissenschaft sei etwas Nutzloses. Im Alltag, im wirklichen Leben, finden sich die Gelehrten nicht zurecht. Es gereicht den antiken Intellektuellen zur Ehre, dass sie solche Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen wollten. Und so starteten sie ihrerseits eine Gegenoffensive, bei der einmal mehr Thales die argumentative Hauptrolle spielen musste. Sie zogen den Weisen gleichsam wieder aus dem Brunnen heraus und setzten ihn mit beiden Füßen in die Welt der Realitäten, in der es nach landläufiger Auffassung darauf ankam, clever zu sein und das Beste für sich herauszuholen. Kein Geringerer als Aristoteles machte sich dabei zum Anwalt des Thales und gleichzeitig zum Apologeten seiner selbst und der ganzen Zunft der Forscher und Wissenschaftler. Noch der Römer Cicero hat im 1. Jahrhundert v. Chr. die Geschichte vom gerissenen Geschäftsmann Thales nacherzählt. Genervt von der Kritik an seiner Armut und den Vorhaltungen, einer brotlosen Tätigkeit nachzugehen, schüttete Thales seine wenigen Sparstrümpfe aus, um über etwas Kapital zu verfügen. Dank seiner astronomischen Kenntnisse hatte er herausgefunden, dass es im folgenden Jahr zu einer Rekordernte bei den Oliven kommen würde. Noch im Winter mietete er, für einen niedrigen Preis, sämtliche Ölpressen in Milet und Umgebung. Als die Erntezeit kam, gab es eine starke Nachfrage nach Ölpressen. Die aber befanden sich alle im Besitz des Thales. »Da habe er«, erzählt Aristoteles, »seine Pressen so teuer verpachtet, wie er nur wollte, und auf diese Weise sehr viel Geld verdient.«

      Die Moral von der Geschichte des Monopolkapitalisten Thales liegt auf der Hand: Wir Philosophen und Wissenschaftler können, wenn wir wollen, alle Reichtümer der Welt erwerben, aber darauf kommt es uns nicht an – oder in den Worten des Aristoteles: »Es ist für die Philosophen ein Leichtes, reich zu werden, wenn sie es wünschen, es ist aber nicht das, was sie interessiert.« Der Ruf der Gelehrten war gerettet und der Weg bereitet für viele weitere bahnbrechende Erfindungen und Errungenschaften.

      TUNNELBAU

       Eupalinos

      Griechischer Ingenieur, 6. Jahrhundert v. Chr.

       Pionierleistung: Bau eines Tunnels für eine Wasserleitung auf Samos

      Welches sind die berühmtesten Bauwerke der Griechen? Die Akropolis von Athen? Der Zeustempel von Olympia? Das Theater von Epidauros? Der Historiker Herodot hatte im 5. Jahrhundert v. Chr. eine spezielle Meinung. Seine Favoriten befanden sich auf der Insel Samos: der Tempel der Göttin Hera, die imposante Hafenmole mit einer Länge von 300 Metern und – an allererster Stelle – der Tunnel des Eupalinos: Das waren, so urteilte Herodot, »drei der gewaltigsten Bauwerke der Griechen«. Mit seiner Euphorie stand Herodot nicht allein da: Kein Geringerer als der große Universalgelehrte Aristoteles stellte die Bauten des Polykrates in eine Reihe mit den Pyramiden in Ägypten.

       Der Tyrann von Samos

      Über die Wahl des durchaus kenntnisreichen Historikers und die Zustimmung einer wissenschaftlichen Koryphäe hätte sich Polykrates, eitel wie er war, zweifellos gefreut. Er war der Herrscher oder, besser gesagt, der Tyrann von Samos, als jene Meisterwerke der Architektur bzw. der Ingenieurkunst auf seiner Insel entstanden oder wenigstens vollendet wurden. Nun war Polykrates allerdings bereits im Jahre 522 v. Chr. gestorben und fiel daher als Direktempfänger der Laudatio des Herodot aus. Aber schon zu Lebzeiten dürfte er stolz darauf gewesen sein, was er aus der beschaulichen Insel vor der Küste Kleinasiens gemacht hatte. Nicht umsonst lässt ihn Friedrich Schiller in seiner bekannten Ballade vom »Ring des Polykrates« auf seines Daches Zinnen stehen und voller Wohlgefallen auf das beherrschte Samos herabblicken – in Gegenwart des ebenfalls höchst beeindruckten Amasis, des Königs von Ägypten.

       Der Ring des Polykrates

      Freilich gibt die Moral der Ring-Geschichte zu denken, hat sogar etwas Bedrohliches: Wer zu viel Glück hat, wird irgendwann dafür bestraft. Geborgt hat sich Schiller das Motiv bei Herodot, den das Schicksal des Tyrannen offenbar sehr beschäftigt hat. In seiner Erzählung ist Amasis nicht nur beeindruckt, sondern auch besorgt. Was war Polykrates in seinem Leben nicht alles geglückt: Erfolgreich hatte er die internen Rivalen um die Herrschaft ausgeschaltet, Samos zu einer Seemacht werden lassen, für Reichtum und Wohlstand gesorgt, kulturellen Glanz verbreitet und schließlich die von Herodot bewunderten Bauwerke in Auftrag gegeben. In einem Brief warnt Amasis den Freund: »Mir gefällt dein großes Glück ganz und gar nicht, denn ich weiß, dass die Götter neidisch sind.« Besser sei ein Leben mit all den Wechselfällen, die das Schicksal für die Normalmenschen bereitzuhalten pflegt. Und dann gibt er einen praktischen Ratschlag als Therapie gegen die trügerische Überdosis an Glück: Polykrates solle sich am besten von jenem Gegenstand trennen, dessen Verlust ihn am meisten schmerzen


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