Große Errungenschaften der Antike. Holger Sonnabend

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Große Errungenschaften der Antike - Holger Sonnabend


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aufs Meer hinausfahren und wirft ihn in die Fluten. Ein paar Tage später erscheint ein Fischer im Palast, um dem gegen sein Glück kämpfenden Polykrates einen wunderschönen Fisch zu überreichen, den er gerade gefangen hat. Diener schneiden den Fisch auf und finden in ihm den besagten Ring, der auf diese merkwürdige Weise wieder in den Besitz des Tyrannen gelangt. Er schreibt einen Brief an Amasis, erzählt ihm von dem Vorfall. Dieser ist aufs Höchste alarmiert: Jetzt findet Polykrates sogar das wieder, was er weggeworfen hat. Das kann kein gutes Ende nehmen, und um später nicht um den so gefährlich Beglückten trauern zu müssen, kündigt er ihm die Freundschaft auf.

       Das traurige Ende eines Tyrannen

      Die besten Geschichten haben meistens den Fehler, dass sie nicht wahr sind. Die Parabel vom Ring sollte letztlich nur eine Erklärung für das historische Faktum liefern, dass das Bündnis zwischen Samos und Ägypten bald in die Brüche ging und Polykrates dem persischen König Kambyses bei der Eroberung Ägyptens half. Doch mit seinem Glück war es jetzt tatsächlich vorbei. Die Perser zeigten sich wenig dankbar, lockten Polykrates in einen Hinterhalt auf dem kleinasiatischen Festland, töteten ihn und schlugen seine Leiche ans Kreuz.

       Fundort Pythagorion

      Wer sich heute auf die Spurensuche nach dem antiken Samos macht, fährt in eine Stadt an der Südküste der Insel, die seit 1955 Pythagorion heißt – eine späte Reverenz an den großen antiken Philosophen und Mathematiker Pythagoras, der hier um 575 v. Chr. geboren wurde und später, wegen des tyrannischen Regimes des Polykrates, seine Heimat in Richtung Kroton in Süditalien verließ. An dieser Stelle lagen die antike Inselhauptstadt Samos und die Residenz des Polykrates. Von dem einst so stolzen Hera-Tempel ist nur noch eine einzige Säule zu sehen. Dagegen ist der moderne Hafen viel kleiner als sein antiker Vorgänger, steht aber immer noch auf den alten Fundamenten. Am besten erhalten und erforscht ist das dritte der »gewaltigen Bauwerke«, der Tunnel des Eupalinos, ein Meisterwerk der Technik und der Ingenieurkunst.

       Der Tunnel des Eupalinos

      Über Eupalinos selbst ist so gut wie nichts bekannt. Man weiß nur, dass er aus Megara stammte und dass sein Vater Naustrophos hieß. In seiner Zeit aber muss er eine Berühmtheit gewesen sein, denn Polykrates engagierte ihn für ein äußerst kühnes Unternehmen. Im Prinzip ging es darum, die Stadt Samos mit Wasser zu versorgen – vor allem für den Fall einer Belagerung von außen. Das Problem war allerdings, dass die Quelle weit außerhalb der Stadt lag und, was die Sache noch schwieriger machte, dass sich dazwischen ein Berg befand. Der Ingenieur Eupalinos aber stellte sich dieser Aufgabe und löste sie, bis auf einige kleine Schönheitsfehler, mit Bravour.

      Nach Abschluss der Arbeiten, die mehr als zehn Jahre in Anspruch genommen haben sollen, konnte der damals noch glückliche Polykrates, wenn er wieder einmal auf seines Daches Zinnen stand, wohlgefällig auf eine in der damaligen griechischen Welt einzigartige Anlage blicken (jedenfalls auf die Teile, die sichtbar waren). Zunächst hatte Eupalinos das Wasser der Quelle, die hoch in den samischen Bergen lag, in einem abgedeckten Reservoir gestaut. Ein ebenfalls gedeckter Leitungskanal von etwa 850 Metern Länge führte das Wasser dann, dem natürlichen Gefälle folgend, zu dem der Stadt Samos vorgelagerten Berg. Und hier vollbrachte Eupalinos nun sein Meisterstück: Quer durch den Berg legte er, über eine Länge von 1036 Metern, einen Tunnel – und dies, wie es scheint, mit relativ einfachen technischen Hilfsmitteln. Konstruiert wurde er im sogenannten Gegenortverfahren, das heißt, die Arbeiter begannen gleichzeitig an der Nord- und an der Südseite des Berges mit den Bohrungen. Das Verfahren ist nicht ganz ohne Risiko: Alles hängt davon ab, dass man dann, möglichst in der Mitte, auch zusammenkommt. Bei Eupalinos hat das fast funktioniert. Am geplanten Treffpunkt lag die Decke des südlichen Stollens gerade einmal einen Meter unter dem Boden der nördlichen Trasse und dazu auch noch ein paar Meter weiter westlich. Doch diese geringfügigen Abweichungen konnten nachträglich korrigiert werden. Die Höhe des Stollens betrug (wie übrigens auch die Breite) knapp zwei Meter, so dass, in Anbetracht der im Vergleich zu heute geringeren Körpergröße des antiken Menschen, man bequem durch den Berg spazieren konnte. Von diesem Hauptstollen separiert war die eigentliche Wasserleitung mit einem durchschnittlichen künstlichen Gefälle von 0,36 % An der Stadtseite des Berges mündete der Kanal in eine wiederum komplett gedeckte Zuleitung von 620 Metern Länge, die das Wasser direkt in eine Zisterne in der Nähe des Theaters von Samos führte.

       Ein Vorläufer in Jerusalem

      Ob sich Eupalinos jemals in Jerusalem aufgehalten hat, ist nicht bekannt. Die Wahrscheinlichkeit ist aber nicht sehr groß. Und so dürfte er auch nicht jenen Tunnel gekannt haben, den fast 200 Jahre zuvor der judäische König Hiskia (725–697 v. Chr.) in der Stadt Davids und Salomos hatte anlegen lassen und der, wenn schon nicht als Vorbild, so doch als Vorläufer des Eupalinos-Tunnels gelten kann. Jerusalem befand sich damals in einer misslichen Lage. Hiskia hatte sich mit dem Reich der Assyrer überworfen. Es war zu befürchten, dass sich die zu diesem Zeitpunkt führende Militärmacht des Ostens eine solche Provokation nicht gefallen lassen würde. Also traf Hiskia umfassende Vorbereitungen zur Abwehr einer zu erwartenden Belagerung. Ein Schwachpunkt im Verteidigungssystem war die Wasserversorgung: Die Quelle lag weit außerhalb der Stadtmauern.

      Dieses Schreckens-Szenario veranlasste Hiskia und seine Ingenieure zur Konstruktion des berühmten Siloah-Tunnels (benannt nach dem Abfluss der im Osten des Burgberges gelegenen Gihon-Quelle). So wie später Eupalinos auf Samos entschlossen sie sich dazu, die Wasserleitung direkt durch den Burgberg in die Stadt zu legen. Und das mutige Unternehmen gelang: Über eine Strecke von 533 Metern kam das Wasser nun direkt und sicher nach Jerusalem. Im Gegensatz zum Eupalinos-Tunnel verlief der Hiskia-Tunnel nicht geradlinig, sondern kämpfte sich in vielen Windungen durch den Berg. Für dieses Phänomen haben die Archäologen bis heute keine vernünftige Erklärung gefunden. Sicher ist dagegen, dass auch der Siloah im Gegenortverfahren angelegt wurde. Von beiden Seiten arbeiteten sich die Bohrtrupps aufeinander zu. Auch hier stellte sich die bange Frage, ob das Zusammentreffen gelingen würde. Kurz vor dem Treffpunkt wurden an beiden Seiten noch Richtungskorrekturen vorgenommen. Dann war es soweit: Knapp 300 Meter vom südlichen und 235 Meter vom nördlichen Eingang entfernt wurden die letzten Barrieren abgetragen und konnten sich die Arbeiter schließlich die Hände reichen. Von diesem Moment kündet eine stolze hebräische Inschrift, die man im Tunnel gefunden hat: »Der Durchbruch wurde vollendet. Und so kam der Durchbruch zustande: Die Steinhauer schwangen die Beile, jeder in Richtung seines Kameraden (auf der anderen Seite des Stollens). Als noch drei Ellen zu durchschlagen waren, konnten die Arbeiter auf beiden Seiten einander hören, denn es war ein Spalt im Felsen von rechts nach links. Und am Tag des Durchbruchs schlug jeder Steinhauer auf seinen Kollegen zu, Beil gegen Beil. Da floss das Wasser vom Ausgangspunkt zum Teich, über 1200 Ellen (= 533 Meter), und 100 Ellen (= 46 Meter) betrug die Höhe des Felsens über den Köpfen der Steinhauer.« Diese Inschrift ist insofern bemerkenswert, als sie den Anteil derjenigen, die die eigentliche Arbeit zu leisten hatten, entsprechend würdigt. Konventioneller fällt hingegen die Darstellung der Dinge bei dem jüdischen Schriftsteller Jesus Sirach aus, der, wie in der Antike üblich, das ganze Verdienst dem königlichen Auftraggeber zukommen lässt: »Hiskia sicherte die Stadt, indem er Wasser hineinleitete. Mit dem Eisen durchbrach er den Berg und dämmte den Teich zwischen dem Felsen ein.«

      Das technische Meisterwerk war gerade fertiggestellt, als 701 v. Chr. tatsächlich die Assyrer vor der Stadt auftauchten. Offenbar hatte Hiskia doch weniger Zutrauen in die technischen Fähigkeiten seiner Leute als Furcht vor dem Gegner. Jedenfalls hielt er es für besser, es nicht auf eine Belagerung ankommen zu lassen. Stattdessen unterwarf er sich lieber freiwillig, und die Assyrer zogen mit reicher Beute wieder ab. Trösten konnte sich Hiskia mit der Einsicht, Jerusalem eine lange Belagerung oder gar die Zerstörung erspart zu haben – und mit der Tatsache, dass unter seiner Herrschaft eine der größten Ingenieurleistungen in der Geschichte des alten Palästina vollbracht worden war.

       Tatort Numidien

      Eine Wasserleitung durch einen Tunnel zu führen, stellte selbstverständlich


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