Seewölfe Paket 23. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Er trat zurück und verschloß die Tür.
Die Befehlsausgabe war noch nicht beendet. Don Ramón richtete das Wort an den Polizeipräfekten und sagte: „Ihre Aufgabe ist es, sofort zu veranlassen, daß sich die Bürger in ihre Häuser zurückzuziehen haben. Türen und Fensterläden sind zu verschließen – bis diese Verfügung von mir aufgehoben wird. Ich betone: ich wünsche keinen Bürger auf den Straßen zu sehen! Wer es wagen sollte, aus einem Fenster zu schauen, wird erschossen.“
„Habe Order verstanden“, schnarrte der Polizeipräfekt, stand auf, verbeugte sich und marschierte zur Tür.
„Die Waffe!“ fuhr ihn Carberry an.
Sie wurde ihm überreicht – eine doppelläufige Pistole. Carberry nahm sie entgegen und betrachtete die Griffstücke. Sie waren „nur“ mit silbernen Girlanden eingelegt. Fast hätte Carberry dem Polizeipräfekten die Waffe zurückgegeben.
Der starrte ihm in die Augen und schnarrte: „Habe auch was gegen – äh – Schweinereien auf Waffen! Kolossale Schweinerei! Entehrt die Waffe – ähem! Skandalös! Wenn das der König wüßte!“
„Na ja“, sagte der Profos lahm und ein bißchen erschüttert.
Der Polizeipräfekt zirkelte einen eckigen Gruß, Handfläche ausgestreckt, an seine Perücke, auf der jetzt ein Helm hätte sitzen müssen. Aber so ging’s auch.
„Bitte mich verabschieden zu dürfen!“ schnarrte er.
„Genehmigt!“ rasselte Carberry und salutierte mit der Präfektenpistole wie mit einem Marschallstab.
Der Polizeipräfekt knickte vor, schlug gleichzeitig die Hacken zusammen und verbeugte sich.
Carberry runzelte die Stirn, öffnete die Tür und winkte jovial mit der Pistole, die den Marschallstab ersetzte.
„Es war mir eine Ehre, Señor Polizeipräfekt“, sagte er.
Der Polizeipräfekt marschierte hinaus, das Kinn an den Kragen gedrückt, den Blick geradeausgerichtet, ein sehr zackiger Mann, eifrig, pflichtbewußt und kantig. Nur diente er eben in einer lausigen Stadt – und einem System, das genauso lausig war.
Hier gibt’s Sachen, die gibt’s gar nicht, dachte Carberry und steckte sich nachdenklich die Pistole des Präfekten in den Gurt. Diesem Nußknacker hätte er zum Beispiel nicht das Genick umgedreht. Merkwürdig war das schon.
Was hatte er gesagt? Wenn das der König wüßte! Ha! Und wenn er’s wüßte? Würde das was ändern? Überhaupt nichts! Carberry schloß die Tür und schüttelte den Kopf.
Die letzte Befehlsausgabe: sie würde den Lebensnerv der Stadt treffen – das Silber. Der Bergwerksdirektor war dran, ein Mann, der über alles das herrschte und waltete, was den Cerro Rico betraf. Er machte sich nicht die Hände schmutzig, o nein! Er mordete vom Schreibtisch aus.
Er verfügte: soundso viele hundert Sklaven – oder Indio-Affen – zum Abbau des Silbers in den Stollen XYZ, soundso viele in den Stollen daneben, darunter oder darüber.
Aber der Stollen darunter ist bereits einsturzgefährdet, Señor Direktor!
Spielt keine Rolle!
Jawohl, er verwaltete den Tod, dargestellt in Strichlisten mit Zehnergruppen – zehn Striche gleich zehn Sklaven. Durchgestrichen wurde mit dem Lineal. Es bedeutete, daß wieder zehn Strichmännchen weniger für das Silber arbeiteten. In letzter Zeit war das Lineal immer häufiger benutzt worden.
Unerhört, wie diese Affen einfach wegstarben!
Wegstarben? Na ja, über die Art ihres Todes wurde nicht Buch geführt.
Bitte sehr, Señor, es ist doch völlig gleichgültig, an was diese Dingsda – äh – diese Wilden krepieren. Weil sie faul sind, müssen sie gezüchtigt werden. Hunger? Die fressen sowieso zuviel! Krankheiten? Mit denen müssen wir auch rechnen. Was sagten Sie – man müsse die Stollen besser absichern? Aber ich bitte Sie! Wir sind knapp an Holz! Das wäre reinste Verschwendung!
Der Señor Bergwerksdirektor setzte die täglichen Fördermengen fest, prüfte die Qualität des abgebauten Silbers, brütete über schematische Darstellungen des Berges, der kreuz und quer von Gängen zerfressen wurde, beutete die fetten Adern aus – und mochten sie auch noch so tief in den Berg führen oder gefährdet sein, trieb die Aufseher an, verlangte Sollerfüllung, drohte mit drakonischen Strafen, Verhängte für die Indios Trinkwasserentzug, kürzte Rationen, verweigerte ärztliche Hilfe bei Krankheiten oder Verletzungen – und sah selbst zu, sich die Taschen zu füllen.
Er war ein Mann mit einem spitzen Kinn, einem messerscharfen Mund, einer Geiernase und bösen kalten Augen. Jetzt waren diese Augen unstet und unruhig. Er ahnte wohl, daß noch einiges auf ihn zukam.
„Señor Jimeno“, sagte Don Ramón zu dem Geiernasigen, „Sie erhalten den Befehl, sämtliche Indios aus dem Berg holen und mit den Aufsehern hier in den Hof der Residenz bringen zu lassen.“
Der Geiernasige stand steif auf, zögerte und sagte dann: „Das – das bedeutet das Ende des Silberabbaus, Señor Gouverneur. Ich – ich bin verpflichtet, der Krone halbjährlich die festgesetzte Menge Silber zu liefern …“
„Geht es hier um die Einhaltung von Terminen – oder um mein Leben?“ fauchte der Dicke aufgebracht.
„Dieser Mann bleibt hier“, sagte Hasard scharf. „Er ist der unmittelbare Vorgesetzte des Luis Carrero, nicht wahr?“
„Ja“, erwiderte der Dicke.
„Legen Sie Ihre Waffen ab, Señor“, sagte Hasard kühl und richtete die Pistole auf den Geiernasigen.
Der Geiernasige zischte: „Und wenn ich mich weigere?“
Hasard zuckte mit den Schultern und sagte ironisch: „Das wäre dumm von Ihnen, denn Sie würden mich zwingen, Ihr Leben mit einer Kugel zu beenden. Ich könnte nicht behaupten, daß mir der Tod eines Massenmörders besonders nahegehen würde.“
„Ich bin kein Massenmörder!“ schrie der Geiernasige. „Das ist ja geradezu absurd!“
Carberry war fängst herangeschlichen und stand jetzt hinter dem Buchhalter des Todes. Er tippte ihm auf die Schulter. Der Geiernasige ruckte herum.
„Hier wird nicht geschrien“, sagte Carberry, griff zu, zog den Geiernasigen aus der Stuhlreihe, drückte ihn einarmig hoch in die Luft – und ließ ihn fallen, einfach so.
Der Geiernasige stauchte sich das Kreuz auf dem Mosaikboden, denn er prallte mit dem verlängerten Rückgrat auf, sein Gesicht verzerrte sich vor Wut, er sprang auf, seine Rechte zuckte zum Degen und riß ihn heraus.
Carberry sagte sanft: „Ich warne dich, Freundchen. Laß deinen Piekser fallen und sei friedlich. Du hast hier keinen wehrlosen Indio vor dir …“
Der Geiernasige stürmte auf Carberry zu. Der Profos glitt zur Seite und stellte den Fuß vor. Als der Fuß hakte, riß er ihn hoch. Im Schrägsturz landete der Kerl mit dem Kopf voran auf dem steinernen Boden, schrammte über ihn weg und sauste gewissermaßen auf seiner Geiernase und dem Spitzkinn über die spiegelnde Fläche, die nur von den Mörtelfugen unterbrochen war.
Diese Fugen waren es, die ihm die Haut auf Spitzkinn und Geiernase wegraspelten.
Spiegel, an der richtigen Stelle angebracht, haben die Eigenschaft, einen Raum zu vergrößern. Das hatte der Innenausstatter dieses Residenzsaales wohl auch im Auge gehabt, als er links und rechts der hübschen Kassettentür je einen Wandspiegel hatte aufstellen lassen, die bis zum Boden reichten. Zwei gleiche Spiegel standen gegenüber an der anderen Saalfront und noch je zwei an den beiden anderen Saalseiten.
Diese Spiegelorgie zwang die beleibten Señores bei Empfängen oder Lustbarkeiten, die hier des öfteren stattfanden, die Bäuche einzuziehen, während die Señoras und Señoritas von den Spiegeln verlockt wurden, ihre Oberweiten prangen zu lassen.
In den Spiegel links der Tür krachte der Geiernasige, durchbrach ihn und blieb