Seewölfe Paket 23. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.um sich ihrem Lebensziel, der Hacienda, voll widmen zu können.
Ob sie auch noch heiraten würde? Sie wußte es nicht. Sie würde es dem Zufall überlassen. Wenn der richtige kam, gab sie ihm ihr Jawort. Kam er nicht, war sie selbständig und klug genug, um auch auf eigenen Beinen zu stehen, und es war ihr dabei egal, was in Andalusien ihre Familie, die Nachbarn und die Dörfler, die ihre eigenen verschrobenen Ansichten hatten, dachten.
In Arica florierte das Geschäft. Bald war Weihnachten. Viele Seeleute befanden sich im Hafen, und auch die einflußreichen und wohlhabenden Señores der Stadt hatten ihre Spendierhosen an. Das große Fest nahte, und es würde in eine einzige Orgie ausarten, denn so pflegte man sich in Arica auszutoben.
Auch die Soldaten waren „bei Kasse“. Margarita haßte sie, aber am meisten haßte sie den Bürgermeister Diego de Xamete. Aus schmal werdenden Augen beobachtete sie, wie seine vierspännige Karosse auftauchte und über die Plaza rollte. Da saß er fett und behäbig in den Polstern – ein durchtriebener und korrupter Kerl, der an den Pranger gehörte.
Doch dort standen immer nur die Indios, die Sklaven, armselige Kreaturen, die eingesperrt und mißhandelt wurden. Menschenmaterial für die Minen von Potosi. Sie wurden in den Cerro Rico verschleppt, und von dort kehrten sie nicht mehr zurück, weil sie vor Erschöpfung, Hunger oder Kälte starben. Oder sie wurden krank und siechten elendig dahin.
O ja, Margarita konnte sich dies alles sehr gut vorstellen. Manch einer ihrer Freier, der in Potosi, der Stadt des Prunkes und Überflusses, gewesen war, hatte ihr davon berichtet, wie es dort zuging.
In Potosi regierte ein Kerl, der noch fetter und widerwärtiger als de Xamete war – Don Ramón de Cubillo, der Provinzgouverneur. Wenn er wieder Sklaven brauchte – Männer für die Minen und Mädchen für seine perversen Spiele –, jagte er seine Soldaten los, und die holten sich die Eingeborenen aus den Dörfern der Cordillera. Ein ganz besonders schlimmer Schinder sollte Luis Carrero, der Oberaufseher der Minen sein. Er Verbreitete mit seinen Bluthunden überall Grauen und Panik.
Margarita konnte nicht ahnen, daß dieser Luis Carrero nicht mehr am Leben war und daß schon bald – noch vor Jahresende – in Potosi etwas Ungeheuerliches passieren sollte: Ein Trupp verwegener Männer bewegte sich durch die Cordilleras und über den Altiplano auf die Stadt des Silbers zu, der Anführer war ein schwarzhaariger Riese namens Philip Hasard Killigrew. Sein Plan war, die Sklaven des Cerro Rico zu befreien, die Casa de la Moneda zu zerstören und den Silberabbau lahmzulegen. Genau das sollte ihm in einem tollkühnen Handstreich auch gelingen.
Hätte Margarita davon gewußt, dann hätte ihr Herz für den verwegenen schwarzhaarigen Mann geschlagen. Ihr taten die Indios leid. Sie hatten niemandem etwas getan, waren friedlich und lebten zurückgezogen in ihren Dörfern. Dafür wurden sie getreten, geschlagen und ermordet.
Die Kutsche rollte davon. Diego de Xamete befand sich auf seiner üblichen Rundfahrt. Er kassierte seine Schmiergelder ab. Margarita wußte mit ziemlicher Sicherheit, von wem er Geld erhielt und wie hoch die Summen waren. Die meisten wohlhabenden Bürger hatten Dreck am Stecken, keiner verfügte über eine blütenweiße Weste. De Xamete wußte dies auf seine Art auszunutzen. Sein Schweigen war Gold und Silber wert.
Aber jetzt war er gezwungen, einiges von seinen „Einkünften“ wieder zu opfern. Silberlinge mußten rollen, denn Don Ramón de Cubillo, der Provinzgouverneur von Potosi, hatte angedroht, daß der Amtssessel des Bürgermeisters von Arica wackeln werde, falls de Xamete nicht in der Lage sei, in kurzer Zeit möglichst viele neue Sklaven zu beschaffen. Potosi brauchte Indios – dringend. Sonst ließ die Produktion der Mine und der Münzpresse nach. Das konnte man sich auf keinen Fall leisten.
Diego de Xamete also hatte den glorreichen Einfall gehabt, auf die Ergreifung jedes „Indio-Affen“ ein Kopfgeld auszusetzen. Dafür zahlte er die Silberlinge gern, denn sie sorgten ja dafür, daß er im Amt blieb und seine Pfründe nicht versiegten.
Die Investition lohnte sich. Täglich schleppten die Soldaten neue Gefangene nach Arica, und aus diesem Grund hatten sie Silberlinge in den Taschen, die sie wiederum in den Kneipen und Kaschemmen und den Hurenhäusern auf ihre Weise umsetzten.
Der erfolgreichste Kerl von allen war der Sargento Zeno Manteca. Margarita betrachtete ihn, wie er über die Plaza spazierte. Ein übler Halunke, skrupellos und gewalttätig. Am liebsten hätte sie ihm in sein hakennasiges Gesicht gespuckt. Auch das konnte sie sich nicht erlauben. Manteca konnte außerordentlich gefährlich werden, auch Frauen gegenüber. Er war unberechenbar, und von einem Augenblick auf den anderen konnte seine Stimmung umschlagen.
Er war ein Großmaul, dieser Manteca. Er hatte eine Hakennase, ein spitzes, vorspringendes Kinn und eng zusammenstehende Augen. Ein Galgenstrick, dachte sie. Sie haßte ihn so innig wie den Bürgermeister, und sie wünschte es ihnen, daß irgend jemand ihnen früher oder später das schmutzige Handwerk legte.
Während sie sich ankleidete und für den Tag zurechtmachte, wanderten ihre Gedanken wieder zu der Hacienda in Andalusien ab. Mit der Erfüllung dieses Traumes würde es noch einige Zeit dauern, das wußte sie selbst. Daß aber ihre frommen Wünsche, die den Señor Bürgermeister Diego de Xamete und den Sargento Zeno Manteca betrafen, schon bald Wirklichkeit werden sollten, konnte sie beim besten Willen nicht ahnen.
Am Mittag dieses Tages herrschte etliche Meilen von Arica entfernt in einer Felsenbucht bei Tacna einiger Betrieb. Zwei Schiffe lagen vor Anker, eine Dreimastkaravelle namens „Estrella de Málaga“ und eine Dreimastgaleone namens „San Lorenzo“. Jollen bewegten sich zwischen dem Ufer und den Schiffen hin und her. Der letzte „Aufräumtrupp“, den Ben Brighton und Jan Ranse, die Kommandanten der Segler, in das Tal von Tacna hinauf geschickt hatten, kehrte an Bord zurück. Unter den Männern befand sich auch Roger Lutz, der von seinen Kameraden am Ufer und an Bord mit grinsenden Gesichtern empfangen wurde.
Dicker Qualm stieg vom Ufer auf. Mac Pellew und die Zwillinge hatten die Idee, eine Räucherei für die reichlich aus dem Wasser der Bucht gefischten Anchovetas zu bauen, in die Tat umgesetzt. Fast unablässig nahmen sie die Fische aus und hängten sie in den aus Steinen errichteten Räucherofen, der nach anfänglichen Schwierigkeiten und einigen Experimenten hervorragend zog.
Mac Pellew heizte die Glut an. Albert, der vermeintliche Bucklige von Quimper, leistete ihnen Gesellschaft und verdrückte still und friedlich „Kostproben“ – den vierten Anchoveta an diesem Mittag. Als er jedoch Roger Lutz entdeckte, der gerade an ihnen vorbei auf eine der Jollen zuschritt, ließ er die gerade abgeknabberte Gräte sinken und setzte sein breitestes Grinsen auf.
„Na, wen haben wir denn da?“ rief er. „Der verlorene Sohn kehrt zurück! Wir dachten schon, du musterst ganz ab, mein Freund!“
Roger blieb stehen und blickte ihn an. „Spar dir deine dämlichen Kommentare. Ein Mann wie ich mustert nie ab.“
„Hast du denn schön aufgeklart bei den Padres da oben?“ fragte Albert und kicherte.
„Das weißt du doch“, entgegnete Roger. „Es ist nicht eine einzige Spur mehr von den Zerstörungen zu sehen. Ferris hat ja sogar das zerschlagene Kruzifix repariert.“
„Klar“, sagte Philip junior. „Er hat es in pingeliger Kleinarbeit restauriert, das hat er uns erzählt.“
„Und er hat auch berichtet, wie sehr Roger geschuftet hat“, sagte sein Bruder mit strahlendem Lächeln.
„Ach, das ist nicht der Rede wert“, sagte der Franzose. Fast wurde er verlegen.
Albert konnte seinen Mund nicht halten. „Na ja, er ist für die Plackerei ja auch reichlich entlohnt worden, nicht wahr? In Naturalien! Oder wie?“
Roger trat auf ihn zu. „Jetzt ist aber Schluß, du Giftmorchel! Halt die Klappe, oder ich steck’ dich mit dem Hintern in den Ofen!“
Albert wich zurück. „Aber, aber! Kannst du keinen Spaß mehr verstehen?“
„Nicht in dem Punkt.“
„Hört auf“, sagte Mac Pellew. Er hustete, weil er etwas Rauch eingeatmet hatte. „Ihr seid doch schließlich Landsleute.“
„Landsmann