Seewölfe Paket 20. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.ihren Blicken darbot, reizte erneut zur Heiterkeit.
Der Helm lag mitten in der Tomatenbrühe, und Thorfins Haarpracht mitsamt Bart war dunkelrot von Tomatensaft.
Doch das Lachen blieb den anderen im Hals stecken, als sie ihn stöhnen hörten. Seine Gesichtshaut war grau vor Schmerzen – an den wenigen Stellen, die die rote Brühe nicht erreichte. Mühsam schaffte es der Wikinger, den Oberkörper aufzurichten.
So hatte ihn noch keiner erlebt. Und sie brauchten keine besondere Erklärung, um die Ursache zu erkennen.
Der linke Fuß des Wikingers stand auf erschreckende Weise schief. Unter den Riemen der Sandale war der Knöchel bereits unförmig angeschwollen.
Auf dem Achterdeck ließ der Stör die noch immer zum Freudenschrei erhobenen Arme sinken. Sein Mund stand offen, sein starrer Blick war auf den schiefen Fuß seines Kapitäns gerichtet. Dann sah er, wie die Zornesadern unter der Tomatenröte des Wikingers anschwollen.
Fluchtartig hastete der Stör los – hinüber zum Backbordniedergang, um nur schnellstens größtmögliche Distanz zwischen sich und den saftbesudelten frischgebackenen Vater zu bringen. Mit einem wilden Satz landete der langgesichtige Nordmann auf den Planken der Kuhl. Die Donnerstimme Thorfins Njals erreichte ihn noch, als er auf die offene Grätingsluke zurannte und sich unter Deck in Sicherheit brachte.
„Verdammter hirnrissiger Torfkopp! Du dreimal verfluchtes Mondkalb hast nichts als Schlick im Schädel! Aber diesmal kriegst du, was dir zusteht, verlaß dich drauf! Du sollst im hintersten Höllenwinkel gebraten werden, bis du kohlrabenschwarz bist. Aber vorher ziehe ich dir an der Großrah den Hals lang, daß du als Ausguck nicht mal mehr in den Mars rauf mußt!“
Eike, der in der Nähe der Luke stand, stieß zur Bestätigung ein grimmiges Knurren aus. Mit einem Satz folgte er dem Fliehenden in den Unterdecksraum. Diesmal war das Maß für den Stör voll. Genug, um den Männern an Bord den Kragen platzen zu lassen.
Nur sekundenlang waren dumpfe Schritte aus der Luke zu hören. Dann ein erschrockener Laut, gefolgt von einem trockenen Schlag. Im nächsten Moment tauchte Eike wieder auf und rieb sich grimmig die Knöchel der rechten Hand.
„Dieser Hohlkopf richtet fürs erste keinen Schaden mehr an“, sagte er grollend.
Thorfin Njal nickte zufrieden, verzog aber schmerzerfüllt das Gesicht, als er versuchte, das linke Bein zu bewegen.
„Bei Odins Raben“, sagte er ächzend, „jetzt fehlt mir bloß noch, daß der Flunken gebrochen ist.“
„Sieht ganz danach aus“, entgegnete Arne und kniete sich vor ihm auf die Planken. „Halt mal still.“ Er begann, den geschwollenen Knöchel zu betasten.
Schon bei der ersten Berührung brüllte der Wikinger vor Schmerzen. Arne zuckte zurück und wechselte einen betroffenen Blick mit Olig und dem Boston-Mann. Auch die übrigen Crewmitglieder betrachteten ihren auf den Planken liegenden Kapitän voller Mitgefühl. Vergessen war die frohe Botschaft, die Old Donegal Daniel O’Flynn überbracht hatte.
Der Stör hatte es mit seiner Dämlichkeit geschafft, das Vaterglück vorerst weit in den Hintergrund zu schieben. Folglich gab es auch kein Freudenfest an Bord. Alles zusammen war Grund genug, eine Mordswut auf den Trottel zu entwickeln. Die Gedanken der Männer unterschieden sich deshalb nicht sehr voneinander.
Der alte O’Flynn war mittlerweile per Beiboot herübergepullt und über die Jakobsleiter aufgeentert. Er stelzte auf den angeknacksten Wikinger zu und schüttelte den Kopf.
„Mann o Mann. Mußt du gleich so aus dem Häuschen geraten, daß du dir die Gräten brichst? Dabei braucht Gotlinde gerade jetzt deinen männlichen Beistand.“
Der Gedanke daran war fast zuviel für Thorfin. Er verdrehte die Augen und seufzte so herzerweichend, wie es die Männer nie zuvor von ihm gehört hatten.
„Dafür werde ich diesen Blödhammel eigenhändig kielholen“, sagte er keuchend. „Und anschließend wird er geteert und gefedert und auf einer unbewohnten Insel ausgesetzt. Da kann er für den Rest seines Lebens als Sumpfhuhn durch die Gegend hüpfen.“
Die Männer konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Erst mal halblang“, sagte Old O’Flynn beschwichtigend. „Ich denke, wir benachrichtigen Shawano. Sein Medizinmann wird sich um die Geschichte kümmern.“ Er deutete auf Thorfins geschwollenen Knöchel und den schief stehenden Fuß.
Der Wikinger hatte nichts dagegen einzuwenden. Und alle wußten, was es bedeutete, diesen eisenharten Mann so still und widerspruchslos zu erleben. Jeder einzelne aus der Crew konnte sich nur zu gut in seine Lage versetzen. Denn während der vergangenen Monate hatten sie sich mit ihm über seinen bevorstehenden Vaterstolz gefreut. Nun flachliegen zu müssen, noch dazu wegen eines so lächerlichen Grundes – das hatte er bestimmt nicht verdient.
Die Timucuas, die am Strand beschäftigt waren, hatten bereits mitgekriegt, was sich an Bord des Schwarzen Seglers abgespielt hatte. So dauerte es nicht lange, bis Häuptling Shawano und der Medizinmann des Stammes in einem Beiboot herübergepullt wurden.
Ohne Umschweife begann der Medizinmann, den geschwollenen Fuß des Wikingers zu untersuchen. Thorfins anfängliches Mißtrauen wich, als er sah, wie behutsam der Indianer dabei zu Werke ging. Dann hob dieser den Kopf und wechselte wenige Worte in der Timucua-Sprache mit dem Häuptling.
Shawano nickte und, wandte sich an den Wikinger. Die Sprache des weißen Mannes beherrschte er bereits fließend, wenn auch noch mit deutlichem Akzent.
„Der Knöchel ist gebrochen. Du wirst jetzt Schmerzen haben, denn der Fuß muß gerichtet und geschient werden. Es dauert aber nur einen kurzen Augenblick.“
„Dann mal los“, sagte der Wikinger matt. „Was ich hinter mir habe, kann ich vergessen.“
Shawano nickte und und gab dem Medizinmann entsprechende Anweisung.
Blitzschnell und bevor Thorfin es richtig begreifen konnte, packte der Indianer zu. Mit einem kurzen, kraftvollen Ruck bewies er, daß er etwas von Knochenbrüchen verstand.
Der Wikinger brüllte auf wie ein Stier. Doch nur einen Atemzug lang. Dann sank er zurück und streckte alle viere von sich. Die Bewußtlosigkeit erlöste ihn von dem grausamen Schmerz.
Die Männer preßten die Lippen aufeinander. Nur zu gut konnten sie sich vorstellen, welche Höllenqualen Thorfin beim Richten des Bruches hatte leiden müssen. Denn die meisten von ihnen hatten ähnliche Erfahrungen hinter sich – Verstauchungen, Verrenkungen und auch Brüche gab es in einer kampferprobten Crew mehr als genug.
Seine weitere Arbeit erledigte der Medizinmann mit schnellen, geübten Handgriffen. Der Boston-Mann teilte ein halbes Dutzend Männer ein, die zunächst Holzstäbe zum Schienen des Bruches herbeischafften und dann eine behelfsmäßige Trage anfertigten. Währenddessen legte der Medizinmann dem Bewußtlosen einen fachgerechten Verband an.
Anschließend wurde er auf die Trage gebettet, in die Kapitänskammer gebracht und dort in seine Koje gepackt. Daß der Blessierte jedoch nicht so zahm bleiben würde wie im bewußtlosen Zustand, darüber waren sich der Boston-Mann und alle anderen im klaren.
3.
„Hinlegen!“ brüllte Olig schon eine halbe Stunde später. Arne und Eike, die mit ihm zur ersten Krankenwache eingeteilt waren, nahmen drohend neben ihm Aufstellung. Doch das nutzte herzlich wenig.
Das Theater hatte begonnen. Wie erwartet.
Thorfin Njal, der sich in seiner Koje halb aufgerichtet hatte, starrte die drei Männer mit wild funkelndem Blick an.
„Ist euch irgendwas durch die brüchige Hirnschale gerieselt?“ knurrte er. „Oder wie?“
„Nichts in der Art“, entgegnete Olig standhaft. „Wir haben Order, auf dich aufzupassen. Und das tun wir auch. Darauf kannst du dich verlassen.“ Arne und Eike nickten bekräftigend und gaben ihren Mienen dabei