Seewölfe Paket 20. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 20 - Roy Palmer


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Olig. „Er hat das Kommando an Bord übernommen. Und zwar so lange, wie du – hm – untauglich bist.“

      Das Gesicht des Wikingers färbte sich rot.

      „Untauglich?“ brüllte er und fuhr hoch, als hätte ihn ein unverfrorenes Insekt in den Achtersteven gekniffen. Einen Moment sah es aus, als wolle er sich in seiner Rage aus der Koje schwingen. Doch er schaffte nur den Ansatz der Bewegung. Mit einem ächzenden Schmerzenslaut sank er zurück. Sein Brustkorb hob und senkte sich unter schweren Atemzügen.

      Olig trat bis auf einen Schritt Distanz an ihn heran, die Fäuste in die Hüften gestemmt.

      „Damit du klar siehst“, sagte er grollend, „dein linker Fußknöchel ist gebrochen. Der Medizinmann hat dir strenge Bettruhe verordnet. Und daran wirst du dich halten.“

      Thorfins Augen funkelten noch immer, wenn auch das zornige Rot seines Gesichts jetzt einer bemitleidenswerten Blässe gewichen war.

      „Kein Medizinmann hat mir was zu verordnen“, sagte er dumpf. „Hier an Bord bestimmt nur einer, und das bin ich.“

      „Beim Wotan“, stöhnte Olig und verdrehte gequält die Augen. Er wandte sich hilfesuchend zu seinen beiden Gefährten um. „Kann mich denn nicht mal einer unterstützen?“

      „Wir dachten, du gibst so einen guten Wortführer ab“, sagte Eike und grinste breit.

      Arne gab sich einen entschlossenen Ruck und baute sich neben Olig auf. „Jetzt hör mal gut zu, Thorfin. Wir sind ja auch nicht ganz dämlich und haben begriffen, was der Medizinmann und der Häuptling uns verklart haben. Also: Mit deinem Knöchelbruch ist nicht zu spaßen. Wenn du dich nicht schonst, heilt das nie. Wenn du sogar glauben solltest, du könntest damit durch die Gegend humpeln, dann hast du dich erst recht geschnitten. Dann müßtest du dich wahrscheinlich damit abfinden, daß du für den Rest deines Lebens mit schiefen Quadratlatschen durch die Gegend hinkst.“

      „Im übrigen“, fügte Olig hinzu, „gilt an Bord unseren Schiffes die Bestimmung, daß bei Ausfall des Kapitäns der Boston-Mann das Kommando übernimmt. Tu jetzt nicht so, als ob du das vergessen hättest.“

      Thorfin hatte den Oberkörper wieder halb aufgerichtet und folgte den Ausführungen seiner Aufpasser mit scheinbar geduldigem Interesse.

      „Seid ihr jetzt fertig? Gut. Dann dürft ihr verschwinden. Ich habe alles gehört, nehme alles zur Kenntnis und bin zutiefst gerührt über euer Mitgefühl. Es ist mehr, als ich brauche.“

      Verwirrt blinzelnd und mit offenem Mund starrten ihn die drei Männer an. Ihre Fassungslosigkeit wuchs ins Uferlose, als sie sahen, wie der verrückte Kerl allen Ernstes Anstalten zeigte, sich nun doch aus der Koje zu schwingen.

      Olig erholte sich als erster von der Verblüffung.

      „Da hilft nur noch eins“, murmelte er entnervt, trat vor, holte aus und schlug zu.

      Sein Fausthieb beförderte den Wikinger zurück in die Waagerechte. Doch die Männer wußten, daß sie nur einen Aufschub von einigen Minuten gewannen. Sobald er aus der Bewußtlosigkeit erwachte, würde Thorfins Genörgel von vorn anfangen. Arne begab sich zu einer kurzen Unterredung auf das Achterdeck und schilderte die Probleme mit dem unleidlichen Kapitän.

      „Das war zu erwarten“, sagte der Boston-Mann mit einem milden Lächeln. Er deutete zum Strand und auf das Hauptdeck, wo die Verladearbeiten in vollem Gange waren. Die Übernahme der Naturalien ging jetzt im Eiltempo vonstatten. „Ich denke, daß wir noch am frühen Abend ankerauf gehen können. Seht zu, daß ihr Thorfin irgendwie zur Ruhe bringt.“

      „Leicht gesagt“, brummte Arne. „Wir können ihm ja nicht dauernd eins unter das Kinn verpassen. Dann muß der Medizinmann als nächstes seinen verrenkten Unterkiefer behandeln.“

      „Laßt euch was einfallen.“

      Arne sah den hageren Engländer eine Weile stirnrunzelnd an. Dann erhellte sich seine Miene, und er rannte los. Sein erster Weg führte in die Kombüse. Es dauerte etliche Minuten, bis er mit einem großen Tonkrug wieder auftauchte und in die Kapitänskammer hastete.

      Gebrüll brandete ihm entgegen, als er das Schott aufstieß.

      Eike und Olig mußten mit beiden Händen zupacken, um den tobenden und zeternden Thorfin in die Koje zurückzudrängen. Eben war Olig im Begriff, mit einem erneuten Fausthieb für Ruhe zu sorgen.

      „Aufhören!“ donnerte Arne mit Stentorstimme über den Lärm hinweg. „Jetzt gibt’s Medizin.“

      Thorfin verstummte in der Tat.

      „Medizin?“ fragte er mißtrauisch. „Was sollte denn das sein, das gegen Knochenbrüche hilft?“

      „Nicht gegen den Bruch“, antwortete Arne, „aber gegen Schmerzen. Und es beruhigt. Shawano hat es an Bord bringen lassen, mit schönen Grüßen vom Medizinmann.“ Es gab einen dumpfen Laut, als er seine Last zu Boden sinken ließ. Der Krug reichte ihm bis zu den Knien.

      „Ich habe keine Schmerzen“, behauptete Thorfin, „und ich bin völlig ruhig.“

      „Das merkst du selbst gar nicht“, entgegnete Arne. „Shawano sagt, daß die Medizin gut sei. Du kannst wieder aufstehen, wenn der Krug leer ist.“

      Thorfin zog die Augenbrauen hoch.

      „Wirklich?“

      „Wirklich“, sagte Arne treuherzig.

      Olig war bereits beim Schapp und holte eine Muck heraus. Eike blieb indessen in der Nähe des Wikingers, für den Fall, daß dieser übermütig werden sollte.

      „Her damit“, forderte Thorfin ungeduldig. „Wenn das Zeug so gut ist, daß es einen auf die Beine bringt, dann muß es schleunigst vernichtet werden.“

      Arne entkorkte den Krug und füllte die Muck mit der dunkelbraunen, fast sirupartig aussehenden Flüssigkeit. Olig trug den Becher zur Koje, und Thorfin leerte ihn in einem Zug.

      Die drei „Krankenpfleger“ musterten ihn mit heimlichem Interesse. Natürlich hatten Eike und Olig begriffen, daß es mit der „Medizin“ etwas Besonderes auf sich haben mußte.

      Der Wikinger fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schmatzte ein paarmal genüßlich.

      „Mhm. Schmeckt gar nicht unübel. Kann’s sein, daß Honig drin ist?“

      „So was Ähnliches wie Met“, behauptete Arne. „Und ein paar geheime Kräuter, die nur der Medizinmann kennt.“

      „Met? Warum haben die Timucua-Torfköppe uns nicht eher gesagt, daß sie so etwas brauen können!“ Thorfin streckte den Arm mit der Muck aus. „Gebt mir mehr von dem Zeug. Schmeckt teuflisch gut.“

      „Siehst du“, sagte Arne und grinste. „Da mußt du dir erst den Knöchel brechen, um die wirklich guten Sachen zu entdecken.“ In Wahrheit bestand die „Medizin“ aus geringen Teilen Honig, Rübenmelasse und Dorschlebertran sowie zum größten Teil aus hochprozentigem Karibik-Rum.

      Olig ließ die Muck abermals füllen, schnupperte daran, grinste ebenfalls und trug sie dann mit todernster Miene zurück zur Koje. Thorfin kippte das Zeug herunter und atmete voller Behagen tief durch.

      „Nachschenken“, befahl er knapp und drückte Olig die Muck wieder in die Hand.

      „Irgendwie scheint es doch zu beruhigen“, bemerkte Eike trocken.

      Der Wikinger lief rot an.

      „Woher willst du das wissen?“ schnauzte er seinen „Aufpasser“ an.

      Eike zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern.

      „Na, das sieht man doch. Schon nach den ersten beiden Mucks bist du viel vernünftiger geworden. Bis eben hatten wir mächtig Last, dich in die Koje zu zwingen.“

      Arne und Olig, mit dem Nachfüllen beschäftigt, wechselten einen Blick und schüttelten den Kopf. Eike schien mit seiner Faselei dem Stör nacheifern zu wollen.


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