Seewölfe Paket 20. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.war. Und wieder wurde er sich der Tatsache bewußt, daß er weiter nichts als ein hilfloses Wickelkind war. Welch eine Ironie, daß ausgerechnet zwei kleine Wickelbälger – nämlich der eigene Nachwuchs – Anlaß für seine Hilflosigkeit waren!
Die beiden Frauen wandten sich von den Männern auf dem Hauptdeck ab und enterten über den Niedergang zum Achterdeck auf.
„Willkommen an Bord, Ladys“, sagte der Boston-Mann mit der geschulten Höflichkeit des Engländers, damit wenigstens einer die Formen wahrte.
Mary und Gunnhild erwiderten lächelnd seinen Gruß, wurden aber gleich darauf wieder ernst.
„Wir haben von deinem Pech gehört“, wandte sich Mary an den Wikinger. „Natürlich tut es uns leid. Aber andererseits trifft es sich ganz gut.“
„Was? Wie?“ entgegnete Thorfin kopfschüttelnd. „Was soll daran gut sein, daß ich mit gebrochenen Gräten langliege?“
Mary verschränkte die Arme über dem hübschen Busen.
„Du kannst Gotlinde vorerst nicht besuchen. Sie wurde vom Kindbettfieber erwischt, und damit ist weiß Gott nicht zu spaßen.“
Thorfin erbleichte. Sekundenlang starrte er die Frauen fassungslos an. Im nächsten Moment verdüsterte sich sein Gesicht. Ruckartig setzte er sich auf der Trage auf.
„Seid ihr vom Knurrhahn gebissen?“ brüllte er los, daß es dröhnend über die Innenbucht der Schlangen-Insel hallte. „Nichts und niemand wird mich daran hindern, meine Kinderchen zu besichtigen! Und wenn Gotlinde mich nicht sehen will, dann muß sie es mir schon selber sagen. Ich lasse mich doch nicht von irgendwelchen verdammten Weibern …“
Mary O’Flynn trat einen drohenden Schritt auf ihn zu und brüllte zurück. An Stimmgewalt war sie dem Wikinger kaum unterlegen.
„Jetzt halt die Luft an, verstanden? Bei deinem Mannsvolk kannst du dir diese Flegeleien leisten. Nicht bei uns! Und damit du klarsiehst: Keiner wird Gotlinde besuchen, solange sie im Fieber liegt. Vielleicht geht es in deinen Torfschädel hinein, was das Kindbettfieber für eine Frau bedeutet. Ihr Leben steht auf dem Spiel, du verdammter Einfaltspinsel. Wenn du ein guter Ehemann bist, dann nimmst du erst mal Rücksicht und sonst gar nichts.“
Thorfin schüttelte ungläubig den Kopf und blinzelte. Aber das Bild der zürnenden Mary O’Flynn ließ sich nicht wegwischen. Und auch die blonde Gunnhild sah verdammt energisch aus. Doch er dachte nicht daran, schon aufzugeben. Zu tief hatte ihn der Schmerz getroffen, Frau und Kindern so nahe zu sein und doch nicht zu ihnen zu dürfen.
„Ihr befindet euch auf meinem Schiff“, knurrte er. „Was du dir herausnimmst, brauche ich mir nicht bieten zu lassen, Mary O’Flynn. Ich kann euch beide unter Arrest stellen, wenn ich will. Hast du verstanden?“ Mary lächelte verächtlich und blies die Luft durch die Nase.
„Keiner von deinen Kerlen wird uns anrühren, Thorfin Njal. Daß Gotlinde unsere Hilfe braucht, ist dir wohl nicht klar, wie? Du hirnverbrannter Narr bringst es fertig, nur an dich zu denken und deine Frau zugrunde gehen zu lassen. Aber das eine sage ich dir: Nur über meine Leiche betrittst du Gotlindes Kammer. Punktum. Ich hatte gehofft, daß du Verständnis zeigen würdest. Aber da habe ich von dir wohl zuviel erwartet.“ Mit energischem Ruck wandte sie sich um und verließ das Achterdeck.
„So weit hättest du es wirklich nicht treiben müssen, Thorfin Njal“, sagte Gunnhild zornig. Dann folgte sie Old Donegals resolutem Weib, ohne auf eine Antwort zu warten.
Der Wikinger blieb noch lange stumm.
Erst als die beiden Frauen längst zum Land zurückpullten, fand er die Sprache wieder.
„Bei Odin und allen Nebelkrähen“, murmelte er. „Vor Old Donegals Mary würde wohl sogar der Teufel Reißaus nehmen.“
Der Boston-Mann nickte nur.
Hatte es am Tag zuvor ausnahmslos strahlende Gesichter auf der Schlangen-Insel gegeben, so vermochte nun auch der strahlende Sonnenschein nichts mehr an der allgemeinen trüben Stimmung zu ändern. Männer und Frauen ließen in trauter Einigkeit die Köpfe hängen. Jeder war mit seinen Gedanken bei der armen Gotlinde und bei dem ebenfalls bedauernswerten Wikinger.
Wenn auch Thorfins Polterei einem Außenstehenden grob und unangebracht erscheinen mochte, so wußten doch alle auf der Schlangen-Insel, daß dies nur die rauhe Schale war, hinter der er seine wahren Gefühle verbarg. Es würde geraume Zeit dauern, bis sein Knöchelbruch geheilt war und er wieder laufen konnte.
Doch um Gotlinde war es wesentlich schlechter bestellt. Die Frauen, die sie umsorgten, waren sich darüber im klaren, daß es unter Umständen um Leben und Tod gehen würde.
In den späten Vormittagsstunden waren Old O’Flynn und der Stör nach wie vor mit dem Aufklaren der „Rutsche“ beschäftigt. Der Langgesichtige schlurfte willig durch die Kaverne, schleppte ungespülte Humpen zum Tresen, rückte Sitzfässer und Tische zurecht und hantierte mit dem Putzlappen. Seit seiner Offenbarung über das Gottesurteil war er merklich einsilbig geworden. Old Donegal ließ ihn kaum eine Sekunde aus den Augen. Jeden Moment rechnete er damit, daß der Stör um die Ecke flitzte, um sich in die Bucht zu stürzen, wo die hungrigen Haie auf ihn warteten.
Doch unvermittelt waren Schritte zu hören, die sich dem Eingang der Felsenhöhle näherten.
Der Stör richtete sich erschrocken vom Putzen auf.
Old Donegal, der hinter der Theke Bierkrüge abwusch, reagierte sofort.
„Hierher!“ zischte er. „Los, los, beweg dich.“
Der Stör erwachte aus seiner Erstarrung, hastete zu ihm und verbarg sich auf Anweisung des alten O’Flynn zwischen Fässern und Kisten hinter dem Tresen. Old Donegal schnappte sich unterdessen einen Wischlappen, verließ seinen Platz und tat, als sei er im Schankraum beschäftigt.
Dann sah er die unverwechselbare stramme Statur im Eingang der Kaverne.
„Mary!“ rief er erstaunt. „Was, in aller Welt, führt dich her?“
Sie trat auf ihn zu.
„Dies ist immer noch der Ort, an dem ich genauso zu Hause bin wie du, oder?“
„Ja, ja, natürlich“, stotterte er, „aber …“
„Für nutzlose Worte ist keine Zeit“, unterbrach sie ihn rauh. „Die Lage ist ernst.“
Er starrte sie an. Dann, als sie berichtete, wie es um Gotlinde stand, traf ihn das Mitgefühl wie ein schmerzhafter Stich.
„Um Himmels willen“, sagte er tonlos. „Kann man denn überhaupt nichts tun?“
„Doch. Deshalb bin ich hier. Ich habe mit Arkana gesprochen. Sie sagt, es gibt da so eine besondere Wurzel, die gegen das Kindbettfieber hilft. Arkana kennt das Rezept für die Medizin, die die Wöchnerin wieder auf die Beine bringt. Allerdings, und das ist der Haken an der Geschichte, wächst die bewußte Wurzel nur auf Hispaniola. Hier gibt’s so was im weiten Umkreis nicht. Also, der langen Rede kurzer Sinn: Du machst sofort die ‚Empress‘ seeklar und segelst nach Hispaniola. Arkana nimmst du mit, damit sie die Wurzeln besorgen kann. Jetzt kannst du mal zeigen, ob du Manns genug bist, dem Teufel ein Ohr abzusegeln. Jede Stunde ist nämlich wertvoll. Wir brauchen das Heilmittel so schnell wie möglich.“
Old Donegal grinste bis zu den Ohrläppchen.
„Wird erledigt“, sagte er erfreut, denn eine solche „Order“ ließ er sich nicht zweimal erteilen. Endlich konnte er wieder etwas Sinnvolles tun, abgesehen vom Schankbetrieb. Und zur Zeit, da die Weiber das Regiment auf der Schlangen-Insel übernommen hatten, war es sowieso besser, aus dem Kinken zu treten.
„Dann steh nicht länger rum, sondern flitz ab!“ befahl Mary mit einem energischen Nicken. „Arkana ist bereit zur Abreise.“
„Sind wir auch“, entgegnete Old Donegal, „so schnell, daß dir die Augen übergehen.“
„Rede kein Zinnober, Mister O’Flynn. Sieh lieber zu, daß du den Auftrag ordnungsgemäß