Seewölfe Paket 20. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.grimmigen Alten richtig einzuschätzen. Die Ladung gehackten Bleis würde sie allesamt aus dem Beiboot fegen.
„Wir sprechen uns noch, Alter“, sagte er tückisch, bevor er den Befehl gab, zurückzupullen.
„Glaube ich nicht!“ brüllte Old Donegal hinter ihnen her. „Laßt euch hier nicht mehr blicken, oder ihr kriegt Feuer unter dem Hintern!“
Er wartete, bis sie die Schaluppe erreicht hatten. Dann entwickelte er eine fieberhafte Aktivität. Ringsum bestückte er die „Empress“ mit Drehbassen, die er sofort schußfertig machte. Gleich darauf lud er Pistolen und Musketen und legte sie sich mit ausreichendem Munitionsvorrat zurecht.
„Jetzt könnt ihr antanzen“, knurrte er. „Aber dann wird euch das Grinsen vergehen, Amigos. Darauf könnt ihr Gift nehmen.“ Mit grimmiger Entschlossenheit baute er sich hinter einer der Drehbassen auf dem Achterdeck auf.
Sie taten ihm den Gefallen nicht. Die Halunken dachten nicht daran, auf die schnelle etwas zu unternehmen. Tatenlos hockten sie an Bord ihrer erbärmlichen Schaluppe und schielten herüber wie die Aasgeier.
Old Donegal schwor sich, die Ruhe zu bewahren. Denn das ständige Belauern konnte zu einer nervenzerfetzenden Angelegenheit ausarten. In diesem Punkt gab er sich keinen Illusionen hin.
Warum sie so lange zögerten, schien ihm inzwischen klar zu sein. Da sie desertiert waren, hatten sie möglicherweise keine Schußwaffen, zumindest keine weitreichenden. Wie auch immer, in den Wirren des Sturms mußte auf ihrem morschen Kahn das Pulver naß geworden sein. Darum gierten sie auch zu sehr nach der hervorragend bestückten „Empress“.
Plötzlich gerieten sie drüben an Bord in Bewegung – auf ein gemurmeltes oder vielleicht nur geflüstertes Kommando hin.
Old Donegals Haltung spannte sich an. Nicht auf Anhieb konnte er erkennen, was die Strolche im Schilde führten. Sie verholten die Schaluppe bis auf eine Distanz von vierzig Yards an Steuerbord der „Empress“. Dann setzten sie ein Beiboot aus, das von allen zehn Kerlen bemannt wurde. Sie legten sich mächtig ins Zeug, als sie durch das Kabbelwasser auf die Landzunge voraus zupullten.
Fünf Mann sprangen ins seichte Uferwasser und verschwanden im nächsten Augenblick im Dickicht.
Old Donegal zog die Brauen zusammen und witterte Unrat. Was, zum Teufel, sollte das bedeuten? Planten die Halunken etwa eine Art Zangenangriff?
Er brauchte nicht lange über diese Frage nachzugrübeln.
Unter der Führung des Sargento pullten die vier anderen Kerle in die Bucht zurück. Zum Erstaunen des alten O’Flynn ließen sie sich jetzt Zeit und trödelten buchstäblich. Aus schmalen Augen beobachtete er jede ihrer Bewegungen. Sie taten desinteressiert und blickten nicht einmal herüber, als sei die „Empress“ die nebensächlichste Sache der Welt für sie.
Gemächlich umrundeten sie die Schaluppe in weitem Bogen, bis sie achteraus von der „Empress“ lagen. Dort holten sie die Riemen ein und brachten allen Ernstes zwei Angelruten aus. Wahrscheinlich hatten sie sich nach ihrer Desertion auf diese Weise mit Nahrung versorgt. Jetzt allerdings wirkte ihre Angelei mehr als lächerlich.
Was sie planten, war aber noch immer nicht offenkundig. Old Donegal war gezwungen, in kurzen Abständen immer wieder nach vorn und nach achtern zu spähen.
Nichts tat sich.
Im Dickicht rührte sich nichts. Und der Sargento spielte mit seinen vier Strolchen gähnende Langeweile. Dabei war es bei dem beträchtlichen Wellengang in dem kleinen Boot alles andere als gemütlich. Denn mit unverminderter Kraft brauste nach wie vor der Sturm über die Bucht hinweg.
Einen Moment spielte Old Donegal mit dem Gedanken, drei Musketenschüsse abzufeuern, das alte Warnsignal der Arwenacks. Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Wenn er Krach schlug, mußten Arkana und die fünf Männer ihre Wurzelsuche abbrechen, und sie würden eine Menge Zeit verlieren. Und das nur wegen dieser zehn lächerlichen Vogelscheuchen.
Nein, entschied der alte O’Flynn, mit denen wurde er allemal fertig.
Er hatte es kaum gedacht, als ein heftiger Ruck durch das Schiff lief. Er geriet ins Taumeln. Armrudernd versuchte er, das Gleichgewicht zu behalten.
„Elendes Lumpenpack!“ fluchte er. Aber es half nichts. Er schaffte es nicht, in der Senkrechten zu bleiben. Doch bevor er auf die Achterdecksplanken stürzte, warf er sich halb herum und sah, was sich vorn an Land abspielte.
Die fünf Kerle waren dort aus dem Dickicht aufgetaucht. Mit Triumphgebrüll zogen sie an den Leinen, die wegen der zusätzlichen Sicherung an Land verfahren und um die Bäume geschlungen worden waren. Das also war ihr Plan! Sie meinten, die „Empress“ trotz des Bugankers, den sie überfahren oder ausbrechen würden, an Land ziehen zu können.
Die Wut verlieh Old Donegal Behendigkeit. Es gelang ihm, sich eilends wieder aufzurappeln und nach vorn zu hasten.
Die Dons zerrten noch immer an den Leinen und gaben sich jetzt Kommandos im Takt.
Im Handumdrehen hatte Old O’Flynn die Steuerbord-Drehbasse gerichtet. Blitzartig senkte er die glimmende Lunte aufs Zündloch und hielt die Visierlinie mit eisernem Griff. Brüllend entlud sich das Geschützrohr und jagte die Ladung aus gehacktem Blei mit grellrotem Mündungsblitz hinaus.
Schreie gellten markerschütternd.
Im verfliegenden Pulverrauch sah Old Donegal, wie zwei der Kerle zusammenbrachen. Die Leine, die sie gehalten hatten, war vom Blei zerfetzt worden, der Tampen klatschte ins Wasser.
Reaktionsschnell warfen sich die drei anderen in Deckung.
Old Donegal wollte zur nächsten Drehbasse, um auch ihnen das nötige Lehrgeld zu verabfolgen. Gerade noch rechtzeitig sah er die Bewegung im Blattwerk. Der mattschimmernde Laufstrahl einer Pistole tauchte auf. Also verfügten sie doch über Kurzwaffen, und offenbar hatten sie einen Rest von Pulver trockengehalten.
Geistesgegenwärtig zog Old Donegal den Kopf ein.
Der Schuß bellte.
Er glaubte, den sengenden Gluthauch des Bleis zu spüren, das haarscharf über ihn wegstrich.
„Jetzt reicht’s“, knurrte er. „Einem alten Mann noch einen Scheitel ziehen zu wollen!“ Geduckt humpelte er weiter, um die vordere Backbord-Drehbasse herumzuschwenken.
Siedend heiß fiel ihm im selben Moment ein, daß er die Kerle im Boot außer acht gelassen hatte. Und genau das gehörte zum Plan der spanischen Galgenstricke. Auch seine geladenen Musketen und Pistolen und der Blunderbuss befanden sich auf dem Achterdeck. Nur den Entersäbel trug er am Gurt.
In dem Augenblick, in dem er sich herumwarf, geschah es bereits.
Höhnisch grinsend enterten die „Angler“ über die Heckbalustrade an Bord, voran der bullige Sargento. In Ermangelung einer besseren Waffe trug er einen der Riemen aus dem Beiboot. Auch zwei weitere Kerle hatten sich mit Riemen bewaffnet. Die beiden übrigen verfügten über nichts als ihre bloßen Fäuste.
Old Donegal zog den Cutlass. Die breite Klinge blinkte im trüben Tageslicht. Geduckt und breitbeinig sah er den Angreifern entgegen – entschlossen, der Übermacht zu trotzen.
In drei Yards Entfernung stellte der Sargento den Riemen senkrecht auf die Planken.
„Willst du nicht lieber die Segel streichen, Opa?“ erkundigte er sich grinsend.
„Einem mißratenen Knaben wie dir ziehe ich vorher den Hosenboden stramm“, entgegnete Old Donegal grimmig. „Kommt schon, kommt schon. Wollen doch mal sehen, wer hier die Segel streicht!“
Sie ließen sich nicht zweimal auffordern. Mit Gebrüll stürmten sie auf ihn los.
Schon beim ersten Angriff mußte Old Donegal erkennen, daß er sich selbst überschätzt hatte. Mit den langen Riemen verfügten sie über die größere Reichweite. Es nutzte ihm rein gar nichts, daß er den ersten Hieb mit dem Säbel parierte. Als der zweite Riemen niedersauste, fegte er ihm den Cutlass weg wie ein Spielzeug.
Und