Seewölfe - Piraten der Weltmeere 117. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 117 - Roy Palmer


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nicht weit vom Backbordniedergang des Vorkastells auf die Planken. Er keuchte entsetzt, kroch auf dem Hosenboden in Richtung Back und wurde erst durch das Kombüsenschott aufgehalten.

      Ferris blickte sich zu den anderen um.

      Nakamura brüllte wüster als ein Dutzend Samurais und riß den Säbel mit beiden Händen hoch. Als er über ihm bebte, sah es so aus, als wolle sich der Kerl die Klinge selbst in den Leib rammen. Aber Nakamura liebte das Leben viel zu sehr, um einen so heldenhaften Abgang von der Weltbühne zu vollbringen. Nein – er schleuderte die Waffe den anrückenden Seewölfen entgegen. Danach wirbelte er herum, stürzte wie von Furien gehetzt zum Schanzkleid und flankte mit einem Scherenschlag darüber hinweg. Er hielt die Schöße seines Gewandes so gerafft, daß der Stoff ihn nicht behindern konnte.

      Gary und die anderen hatten sich gedankenschnell geduckt. So entgingen sie dem tödlichen Säbel. Er huschte über sie weg und blieb vibrierend im Großmast stecken.

      Gary war als erster am Schanzkleid. Er hörte das Klatschen des Wassers unter sich, sah den Japaner aber nicht mehr.

      „Der Kerl taucht zum Ufer!“ stieß er aus.

      Old O’Flynn stand schon an einer der schweren Culverinen der Backbordseite.

      „Brennen wir dem Hurensohn eins auf den Pelz!“ schrie er. „Viel bleibt nicht von ihm übrig, das schwört der alte Donegal!“

      „Nein!“ rief Ferris Tucker. „Kommt nicht in Frage! Gary, Stenmark, Will, ihr entert das Beiboot ab und verfolgt den Burschen. Ich will ihn lebend haben. Wir schaffen ihn nach Peking und …“

      Weiter gelangte er nicht.

      Batuti hatte einen dumpfen Laut ausgestoßen und den Morgenstern geschleudert. Die ganze Zeit über hatte der Mann aus Gambia den entwaffneten, ramponierten Uiguren nicht aus den Augen gelassen.

      Jetzt, genau im richtigen Augenblick, raste die Waffe auf den Piraten zu. Tijang hatte nämlich unter dem Backbordniedergang etwas entdeckt, das seinen Kampfgeist jäh wieder aufflackern ließ – ein Tromblon.

      Gary Andrews war mit dem Säubern und Laden dieser Waffe beschäftigt gewesen, als Nakamura und Tijang am Ufer der Bucht erschienen waren und mit ihrem irreführenden Mummenschanz begonnen hatten. Gary hatte das kurzläufige Gewehr mit der trichterförmig erweiterten Mündung kurzerhand unter die Stufen des Niederganges gestellt – und das hatte bedenkliche Folgen.

      Das Tromblon, auch Blunderbuss oder Blunderbüchse genannt, war fix und fertig geladen. Pulver, Verdämmungspfropfen und Kugel saßen auf dem Grund des Laufes festgerammt, der Flint war zwischen die Lippen des Steinschlosses geschraubt. Tijang hatte die Büchse gehoben und den Hahn gespannt. Er brauchte nur noch abzudrücken.

      Aber der Morgenstern ereilte ihn vorher.

      Ferris hatte den Kopf zu ihm hin gewandt und sah, wie er von Batutis verheerender Waffe zurückgeschleudert wurde. Tijang hauchte sein Leben am Kombüsenschott aus, das Tromblon polterte auf die Kuhlplanken, und es war ein Wunder, daß es nicht doch noch losging.

      Batuti stieß pfeifend die Atemluft aus, erst dann glitt ein Grinsen der Erleichterung über seine Züge. Ferris war bleich geworden und mußte sich gewaltig zusammenreißen, um nicht schon wieder wie ein Berserker loszufluchen.

      Gary, Stenmark und Will waren von Deck verschwunden, sie hangelten außenbords an der Jakobsleiter in die Tiefe. Unter ihnen dümpelte das Beiboot an der Bordwand, in dem Batuti und Bill vorher Nakamura und den Uiguren zur „Isabella“ geholt hatten.

      Ferris’ Wort und Befehl hatten Gewicht, denn er hatte während Hasards Abwesenheit das Kommando auf der Galeone übernommen. Seiner Order hatten sich alle zu fügen, auch der alte O’Flynn, der Nakamura am liebsten den Hintern versengt hätte, sobald er im Wasser der Bucht auftauchte, und das nicht knapp.

      Bill kniete immer noch neben dem bewußtlosen Sam Roskill. Ferris Tucker, Batuti und Old Donegal liefen ans Schanzkleid der Backbordseite und wurden Zeugen, wie Nakamuras Kopf erst kurz vor dem Buchtufer wieder aus den Fluten hochschoß.

      Gary, Stenmark und Will saßen inzwischen im Boot, stießen sich von der Bordwand ab und begannen zu pullen, als hätten sie den Teufel im Nacken.

      „Beeilt euch!“ rief der alte O’Flynn ihnen nach. „Hölle, ihr wollt den Hund doch wohl nicht entwischen lassen!“

      „Schneller“, stieß Batuti immer wieder hervor. „Verdammich, schneller, Jungs.“

      Arwenack hatte sich unterdessen in den Großmars verzogen. Er wimmerte vor sich hin und traute sich nicht mehr an Deck zurück. Was er Sam Roskill eingebrockt hatte, hatte er schließlich deutlich genug gesehen. So ein schlechtes Gewissen hatte der Affe schon lange nicht mehr gehabt.

      Bill ging es kaum anders, denn er fühlte sich verantwortlich für das, was passiert war. Er hätte sich selbstohrfeigen können. Warum hatte er nur die idiotische Bemerkung ausgesprochen, die „Mönche“ wollten wohl das Schiff segnen?

      Oh, was bist du für ein Esel, dachte er wütend.

      Sam war immer noch nicht zu sich gekommen. Bill schaute verzweifelt auf und suchte nach einem Ratschlag, wie er Sam am besten helfen konnte. Himmel, daß der Kutscher auch nicht an Bord geblieben war!

      Bills Blick verharrte auf Tijangs zusammengesunkener Gestalt. Es war ein schauriges Bild. Schaudernd wollte der Schiffsjunge sich abwenden, aber da fiel sein Blick auf etwas Längliches, Glitzerndes, das Nakamuras Mitstreiter aus dem Ischang gerutscht war.

      Ein Dolch.

      Bill erhob sich, lief zum Kombüsenschott, zwang sich, dabei nicht auf den Toten zu schauen und hob den Dolch von den Planken auf. Dafür, daß Tijang nach Ferris’ Fausthieb nicht den Dolch zum Einsatz gebracht hatte, gab es nur eine Erklärung: logischerweise hatte der Uigure sich mehr davon versprochen, das Tromblon an sich zu reißen und auf die Seewölfe abzufeuern.

      Bill lief mit dem Dolch zu Ferris Tucker, weil ihm ein Verdacht gekommen war.

      „Mister Tucker!“ rief er. „Sehen Sie mal, was ich gefunden habe – vielleicht hat Nakamura auch so einen Dolch!“

      Ferris wandte den Kopf, sah auf die spitze Waffe und drehte sein Gesicht dann wieder dem Ufer zu.

      Nakamura hatte es irgendwie fertiggebracht, unter Wasser den lästigen Ischang abzustreifen. Er war an Land gelaufen, nur mit einer kurzen Hose bekleidet, und hetzte geduckt auf das nächste Gebüsch zu. Er schien etwas zwischen den Händen verborgen zu halten – jetzt wußte Ferris, was es war.

      Gary, Stenmark und Will waren mit dem Boot gelandet; Sie waren ins Flachwasser der Bucht gesprungen und stürmten an Land.

      „Aufpassen, der Kerl hat noch seinen Dolch!“ brüllte Ferris ihnen nach. Er wußte aber nicht, ob sie ihn verstanden hatten.

      2.

      Gary Andrews hatte im Laufen seine Pistole gezückt. Er wollte einen Warnschuß über Nakamuras Kopf jagen, aber der Japaner schlüpfte bereits in dichtes Gestrüpp und entzog sich seinem Blick.

      Ferris Tucker brüllte irgend etwas, aber der Wind blies von Süden her gegen ihn an und trug seine Worte dem Nordufer zu. Die Verfolgung indes fand am südlichen Ufer des Jinzhonghe statt.

      „Was will Ferris?“ rief Stenmark im Dahinhetzen.

      „Keine Ahnung!“ rief Will Thorne keuchend zurück. „Er hat wohl Angst, dieser Schweinehund entwischt uns.“

      Das war zwar eine Fehldeutung, aber sie schien durchaus der Wirklichkeit zu entsprechen. Gary gelangte als erster ans Gebüsch und drang ein, aber er konnte den Japaner im Inneren des Dickichts nicht mehr entdecken.

      „Verflucht und zugenäht“, wetterte er. „Los, schwärmen wir aus und versuchen wir, ihn in die Zange zu nehmen.“

      Ohne auch nur eine Sekunde Zeit zu verlieren, bahnte er sich einen Weg durch das Verfilzte, fast undurchdringliche Gesträuch. In den Niederungen


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