Seewölfe - Piraten der Weltmeere 117. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 117 - Roy Palmer


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– dazu lag die Gegend in zu nördlichen Breiten –, aber auch in einem ausgedehnten Dickicht wie diesem konnte man sich durchaus verirren und steckenbleiben.

      Gary fluchte leise vor sich hin. Er schaute sich nach allen Seiten um – der Schwede und der Segelmacher waren jetzt auch nicht mehr zu sehen. Rundum erhob sich der Wildwuchs der fremden Pflanzen und Sträucher.

      Gary arbeitete sich noch ein Stück vor, dann verharrte er und lauschte. Hinter ihm war verhaltenes Rascheln. Das mußten Stenmark und Will Thorne sein. Aber vor ihm – war da auch etwas, oder bewegte sich der japanische Pirat so geräuschlos wie eine Schlange voran?

      So angestrengt Gary auch lauschte, er vernahm nichts. Nakamura schien vom Erdboden verschluckt worden zu sein.

      Es war ausgeschlossen, daß er die Flußniederungen kannte. Aber vielleicht existierten in seiner Heimat, drüben im geheimnisvollen Zipangu, ähnliche Landschaften, und er hatte es gelernt, geschickt darin zu schleichen.

      Auch die Ureinwohner der Neuen Welt und die Bewohner gewisser Inseln, die Gary Andrews während der Fahrten der „Isabella“ kennengelernt hatte, verfügten über ähnliche Fähigkeiten.

      Gary wurmte es in diesem Augenblick mächtig, daß er nicht als Buschmensch aufgewachen war. Das war eben der Nachteil, wenn man zu fest mit den Schiffsplanken verwachsen war! Gary ahnte, daß er dem Japaner kein Schnippchen mehr schlagen konnte. Der Schurke war wie ein Reptil, das ihm aus den Fingern entschlüpfte.

      Trotzdem gab Gary nicht auf.

      Er drückte Geäst und schlüpfrige Blätter zu den Seiten weg, orientierte sich flüchtig und wandte sich nach Süden. Die Pistole steckte er nicht weg, er hatte beschlossen, dem vertrackten Spiel ein Ende zu bereiten, indem er Nakamura in die Beine feuerte, sobald er ihn sichtete.

      Zum Teufel mit der Fairneß, dachte Gary, wütend.

      Nakamura war praktisch erledigt gewesen, und doch hatte er Reißaus nehmen können. Damit dies nicht noch einmal geschah, wollte Gary auf den Warnschuß verzichten und gleich auf seine Waden halten, schließlich hatte seine Steinschloßpistole nur den einen Lauf.

      Bäume ragten plötzlich auf. Sie schienen aus dem Nichts herauszuwachsen. Das Gebüsch blieb so dicht wie vorher, es rankte an den Stämmern empor, als wolle es die stummen Riesen erdrosseln und vertilgen. Gary fluchte wieder los, als er beinahe in einem Dornengestrüpp hängenblieb. Er riß sich los, schrammte sich gehörig den rechten Arm und verdammte innerlich China, die Zopfmänner und all den Schlamassel, in den sie hier geraten waren.

      Vor ihm regte sich etwas – ganz unvermittelt.

      Gary duckte sich und brachte die Steinschloßpistole in Anschlag.

      „Stehenbleiben!“ rief er, erst auf spanisch, dann auf portugiesisch. „Halt, oder ich schieße!“

      Zumindest ein paar Brocken mußte Nakamura verstehen, denn er war ja auf de Romaes’ Piratengaleone gefahren. Wenn der Portugiese auch meistens chinesisch mit seiner Meute gesprochen hatte – einige Worte seiner Muttersprache hatte er ihnen doch sicherlich beigebracht.

      Ob Nakamura davon etwas behalten hatte, blieb dahingestellt. Für den Bruchteil einer Sekunde war sein Gesicht in einer Buschlücke zu erkennen – eine Fratze des Hasses. Etwas Blinkendes stach von ihm weg.

      Nakamura warf sich herum, flüchtete und scherte sich den Teufel um Gary Andrews’ Warnungen.

      Gary zielte auf den Bereich, in dem sich Nakamuras Beine befinden mußten, aber in diesem Moment erreichte ihn der Dolch. Wie glühendes Eisen fraß er sich in seinen Arm, ausgerechnet in den rechten. Gary stöhnte auf und biß die Zähne zusammen. Er hatte die Geistesgegenwart, die Steinschloßpistole in seine linke Hand zu befördern, dann drückte er ab.

      Der Schuß raste krachend in den Wald, aber die Kugel grub sich wirkungslos in den weichen Boden. Nakamura setzte seine Flucht unversehrt fort. Vielleicht hatte die Kugel nur zwei, drei Schritte hinter ihm gesessen, aber diese kurze Distanz rettete ihm das Leben.

      Gary tobte fast vor Wut.

      Stenmarks Stimme ertönte links hinter ihm, dann meldete sich auch Will Thorne, und zwar von rechts achtern, etwas weiter entfernt als der Schwede.

      „Hast du ihn?“

      „Wo steckt der Bastard, Gary?“

      Gary preßte die Zähne so fest zusammen, daß sie knirschten. Seine Lippen waren ein dünner, blutleerer Strich. Mit äußerster Selbstbeherrschung packte er den Griff des Dolches. Als die Finger seiner linken Hand die im Arm stekkende Waffe nur sanft berührten, raste schon eine neue Schmerzweile durch den Arm.

      Gary stöhnte und sah wogende Schatten und rote Kreise vor seinen Augen. Er wurde fast ohnmächtig, bezwang sich aber, kämpfte gegen Schmerzen und Übelkeit – und riß sich den Dolch mit einem Ruck aus dem Arm. Er würgte heftig, als er sein Blut fließen sah. Die Knie wurden ihm weich, Hölle, er konnte einfach nichts dagegen tun.

      Er sank hin.

      Stenmark war plötzlich neben ihm und stieß einen entsetzten Laut aus. „Allmächtiger, Gary, das ist ja …“

      „Pack den Hund“, sagte Gary mühsam. „Er ist – dorthin …“

      Mit der Linken wies er dem Schweden die Richtung.

      Stenmark stieß einen schrillen Pfiff aus, indem er zwei Finger in den Mund steckte. Will Thorne antwortete, und Gary hörte noch wie aus weiter Ferne, wie Stenmark etwas zurückrief, das mit Nakamuras Fluchtweg zusammenhing.

      Jemand schien Gary Andrews Korkstopfen in die Ohren getrieben zu haben, und außerdem senkte sich jetzt eine dicke Decke auf seinen Kopf und seine Schultern, so schwer, wie man sie sonst nur einem Gaul überzuwerfen pflegte.

      Stenmark fing Garys Körper auf.

      Will Thorne hastete durch das Dikkicht des Waldes, so schnell er konnte, er zerriß sich die Kleidung, strauchelte fast über eine tückische Wurzel und fragte sich unter hundert Verwünschungen, ob dieser elende Busch vielleicht bis nach Shanghai ’runterreiche, zum Teufel noch mal.

      Wenig später fluchte er laut und ohne jegliche Beherrschung, denn die Laute, die er vernahm, waren eindeutig. Ein Pferd entfernte sich. Das Getrappel seiner Hufe klang dumpf. Selbst der größte Schwachkopf, der je zur See gefahren war, hätte in diesem Moment zu erraten vermocht, wer wohl auf dem Rücken des Tieres saß.

      Will folgte der Richtung, aus der das Trommeln der Hufe tönte. Der Südwind, der über den Wald strich, trug ihm die Laute noch eine Weile zu. Nakamura trieb das Pferd zu einem geradezu wahnwitzigen Galopp an.

      Will stieß auf eine kleine Lichtung und entdeckte das zweite Pferd. Das, mit dem Tijang, der Uigure, eingetroffen sein mußte. Nakamura hatte darauf verzichtet, auch dieses Tier mitzunehmen. Für ihn stellte es nur eine Behinderung dar.

      Will stammte aus dem fernen England, und auf der Insel lernte fast jeder Junge, wie man ein Pferd ritt. Er kletterte in den merkwürdigen Sattel, drückte dem Vierbeiner die Stiefelhacken in die Flanken, bewegte die Zügel und schnalzte mit der Zunge. Das war in China nicht anders als daheim in Old England: das Tier setzte sich in Bewegung.

      Ein Pfad führte aus dem Wald. In der Ebene trieb Will das Pferd in einen schwingenden Galopp, und er stellte fest, daß es sich um ein sehr edles Pferd handelte. Will wußte nicht, daß das Tier einem Grundbesitzer in den Lushan-Bergen geraubt worden war und daß dieser Mann und einer seiner Gäste dafür das Leben gelassen hatten, aber eins stand fest: Auf einem so rassigen, schnellen Pferd hatte der Segelmacher der „Isabella“ als Junge nicht gesessen.

      Will hoffte, den Japaner bald vor sich zu haben. Aber sein inniger Wunsch erfüllte sich nicht. Wälder, die nach einem unergründlichen Muster in der Ebene verteilt standen, versperrten ihm die Sicht. Und schließlich nutzte ihm auch das Pferd nichts mehr, so edel es war.

      Nakamura hatte einen Trick angewandt.

      Die Fährte seines Pferdes endete in einem Bachlauf. Der Bach floß in einen breiten Waldstreifen, und kein Jäger, kein Spürhund


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