Das Rauschen der Stille. Heidi Cullinan

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Das Rauschen der Stille - Heidi Cullinan


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und sagte: »Ihr müsst lernen, mit Nonnen auf andere Weise zu sprechen.«

      Ich wippte vor und zurück. »Dad, der Satz kam schon.«

      »Ich weiß. Aber er gehört zu meinen Lieblingssätzen.« Dad ließ sich auf seinen Lieblingssessel fallen, den großen, dicken mit einem Hocker direkt vor dem Fernseher. Er grinste, als Curtis den Jungs sagte, dass sie zur Kirche gehen mussten.

      Das war ein weiterer kniffliger Teil für mich. Normalerweise singe ich mit James Brown. Dieses Mal sang ich nicht, zitierte nicht. Nicht, als mein Dad es tat. Noch nicht einmal, als er sagte: »Ja, Jesus, heiliger verdammter Bastard Christus, ich habe das Licht gesehen.« Und ich tanzte nicht mit Elwood, was der schwierigste Teil von allen war.

      Als sie darüber sprachen, die Band wieder zusammenzubringen, runzelte Dad die Stirn. »Emmet, fühlst du dich gut?«

      Ich nickte und starrte auf den Boden. Ich sah den Film, aber normalerweise sah ich ihn mir an, indem ich meinen Blick auf den Fernseher richtete. Heute konnte ich es nicht, weil ich mit Sicherheit anfangen würde zu plappern.

      Zuerst sagte Dad nichts dazu. Schließlich lächelte er Jeremey jedoch an. »Wie gefällt dir der Film? Ich hab gehört, dass du ihn zum ersten Mal siehst.«

      »Er ist gut.« Jeremey lächelte zurück. »Er ist lustig.«

      »Du musst Emmet dazu bringen, dass er den Elwood für dich macht. Er kennte jede Zeile. Jede Neigung von Dan Aykroyds Kopf. Als wir mal in den Urlaub gefahren sind, hat er für mich den ganzen Film nachgespielt, während wir auf einen Abschleppwagen gewartet haben. Die besten zwei Stunden meines Lebens.«

      Ich hörte auf, mich zu wiegen und sah am Kopf meines Vaters vorbei. Ich erinnerte mich daran, auf einer dunklen Straße neben dem Auto gesessen und den Film für meinen Dad nachgespielt zu haben. Ich hatte nicht gewusst, dass dies der beste Moment seines Lebens gewesen war. Es war definitiv nicht meiner. Ich hatte nur schwer auf den Steinen sitzen können.

      »Normalerweise«, fuhr mein Dad fort, »wenn Emmet und ich den Film zusammen sehen, geben wir die besten Zitate rauf und runter zum Besten. Was bedeutet, dass wir den ganzen Film mitsprechen, weil er so großartig ist. Du musst mir also verzeihen, wenn ich trotzdem mitspreche. Emmet möchte nett sein und dich den Film ohne unsere Kommentare sehen lassen, aber er hat mehr Kontrolle als ich.«

      Jeremeys Lächeln wurde breiter. »Oh, bitte sprecht mit! Ich wünschte, ich könnte mir Dinge so gut merken, damit ich auch mitmachen kann!«

      »Emmet kann sich genug Dinge für die ganze Welt merken.« Dad zwinkerte mir zu. Dann zog er eine Braue nach oben und sprach gemeinsam mit John Belushi. »Zuerst tauschst du unseren schönen Cadillac für ein Mikrofon ein, danach hast du mich über die Band belogen und jetzt bringst du mich glatt wieder in den Knast zurück.«

      Ich hatte noch immer ein wenig Angst, den Film vor Jeremey nachzuplappern, aber mein Gehirnoktopus war so böse auf mich, weil ich ihm nicht erlaubt hatte mitzusprechen, und mein Dad sah mich direkt an, während er auf mein zweitliebstes Zitat aus dem Film wartete. »Sie werden uns nicht kriegen. Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs.«

      Jeremey lachte – und meine Brust machte flatter, flatter, flatter. Es war die Art von Lachen, die Durchschnittsmenschen bekamen, wenn sie zitierten und einen guten Witz machten. »Oh mein Gott – Emmet, du hast dich genau wie er angehört.«

      »Wart's nur ab«, sagte mein Dad. »Wenn wir ihn dazu bringen können, dass er zur Szene im Ballsaal tanzt, wird das für den Rest des Jahres dein bester Tag werden.«

      Jetzt zitierte ich ein bisschen mehr. Ich wollte nicht die ganze Zeit plappern, aber Dad tat es und kurze Zeit später beobachtete Jeremey mich mehr als den Film und sah mich an, als würde er darauf hoffen, dass ich etwas sagte, also gab ich nach und plapperte.

      »Du willst von diesem Parkplatz runter. In Ordnung.«

      Ich liebte es, Elwood beim Fahren zuzusehen und die Szene im Einkaufszentrum brachte mich zum Lachen. Autofahren sah so spaßig aus. Ich war in einem Freizeitpark mal Gokart gefahren. Das hatte Spaß gemacht. Ich war oft gegen die Wände gefahren und manchmal auch gegen andere Fahrer, aber niemand war verletzt worden. Das war das Beste gewesen.

      Wir zitierten weiter und Jeremey lachte und schon bald wurden dies die besten zwei Stunden meines Lebens. Als wir zur Szene im Ballsaal des Palace Hotels kamen und das Lied der Blues Brothers zu spielen begann, standen Dad und ich auf und tanzten. Er tat so, als würde er ein Paar Handschellen an meinen Handgelenken aufschließen und ich gab das silberne Ding (ich hatte den Film über hundert Mal gesehen, aber ich wusste noch immer nicht, was es war) an den vorgetäuschten Schlagzeuger hinter mir weiter.

      Dad reichte mir den Besenstiel mit einem Mikrofon aus Pappe, den wir neben dem Fernseher stehen hatten, und ich gab Elwoods Rede vor der großen Nummer zum Besten.

      Ich liebe den Song Everybody Needs Somebody To Love, aber Elwoods Rede davor gehört zu meinen Lieblingszitaten des ganzen Films. Er sagt, dass wir alle jemand und gleich sind.

      Ich glaube, dass Elwood Blues auch im Spektrum liegt. Er kommt besser zurecht, aber er hat die Anzeichen. Er isst nur Weißbrot – das ist etwas, was ein autistischer Mensch tun würde. Hinzu kommen das schlechte Fahren und einige seiner Macken. Außerdem kann ich eine Menge Filmcharaktere nachsprechen, aber keiner gelingt mir besser als Elwood.

      Ich weiß nicht, ob er auch schwul ist oder nicht, aber Mädchen scheinen ihn nicht sonderlich zu interessieren, also vielleicht.

      Zusammen mit Elwood sang ich in mein gebasteltes Mikrofon und mein Dad stand auf und sang in seins. Dad mag es sehr, Jake zu spielen. Er sagt, Jon Belushi war ein Genie, das vor seiner Zeit gehen musste. Wir waren toll als Blues Brothers und Dad meinte, dass nur Belushi und Aykroyd den Tanz besser konnten als wir.

      Ich wusste nicht, ob Jeremey dem zustimmte, aber er lachte, klatschte und pfiff und als der Film vorbei war, hatte er einen komischen Ausdruck auf dem Gesicht. Ich wusste nicht, was er bedeutete, aber Dad konnte gut Gesichter lesen.

      Er beugte sich in seinem Sessel vor und grinste Jeremey an. »Du willst die Tanzszene noch einmal sehen, nicht wahr?«

      Jeremey errötete, nickte aber.

      Wir wiederholten die Tanzszene noch drei Mal. Und wenn wir den Film jetzt zusammen sehen, spreche ich alles mit. Jeremey ist gar nicht so schlecht darin, sich Dinge zu merken, wie er behauptet hat, weil er den Film jetzt auch mitspricht.

      Er ist ein toller Curtis.

      Ich sah Jeremey jeden Tag, aber an einigen Nachmittagen konnte ich nicht lange mit ihm auf der Veranda sitzen, weil ich zum Unterricht musste.

      Ich musste keine Sommerkurse belegen, aber Mom und Dad waren der Meinung, dass es gut war, um die Beständigkeit in meinem Leben zu halten. Das Seminar, das ich besuchte, hieß Calculus III. Es war also nicht schwer für mich und war eine gute Wahl für das Sommerprogramm. Das Seminar fand in Carver Hall statt, einem hübschen Raum mit viel Licht. Meistens fuhr ich mit dem Fahrrad und schloss es bei der Studentenvereinigung an, aber wenn es regnete oder zu heiß war, nahm ich den CyRide Bus. Ich kann nicht fahren, aber ich bin ein exzellenter Busmitfahrer. Es gefällt mir, dass ich unabhängig genug bin, um mit dem Bus zur Schule zu fahren, aber ich verbringe keine zusätzliche Zeit auf dem Campus.

      Allerdings ging ich mit Jeremey auf dem Campus spazieren. Von meinem Haus bis zum Rand des Campus war es nicht einmal ein Kilometer und ihn zu durchqueren, war der beste Weg zum West Street Deli, in dem wir zu Mittag aßen, wenn Althea Dienst hatte. Während unserer Spaziergänge redeten wir nicht viel, da Jeremey wusste, dass es mir nicht gefiel, gleichzeitig zu laufen und zu reden. Wenn er etwas sagen wollte, fragte er, ob es mir etwas ausmachen würde, eine kleine Pause einzulegen, und wir setzten uns auf eine Bank oder den Bordstein und unterhielten uns ein paar Minuten. Das bedeutete zwar, dass er reden und sich nicht ausruhen wollte, aber er sagte nie: »Ich will mit dir reden, lass uns anhalten.«

      So ist Jeremey nun einmal, also macht es mir nichts aus.

      Ein paar Tage nach dem vierten Juli liefen wir über den Campus und Jeremey bat um eine Pause. Wir waren vor der


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