Seewölfe Paket 8. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Sturmwind dauerte an, nahm an Stärke zu und beugte die Wipfel der Pinien und Zypressen, die weiter landeinwärts standen. Pinho Brancate schritt aufrecht von den Klippfelsen zu dem eine halbe Meile entfernt stehenden Steinhaus zurück. Seine Frau hielt sich an seinem Arm fest, um nicht doch noch umgerissen zu werden. Pinho sah zu dem einsamen Licht, das nun in der Dunkelheit erschien und ihnen den Weg nach Hause wies.
Dort, in dem roh aus Granitgestein und primitiven Schindeln zusammengefügten Haus, erwartete sie der Rest der Familie. Charutao, mit seinen vierundzwanzig Jahren der älteste Sohn Pinhos und Emilias. Iporá, der nur ein Jahr jünger war als sein Bruder. Die Mädchen Josea, zwanzig Jahre, Segura, siebzehn, sowie die dreizehnjährige Franca. Schließlich noch die Abuela, die Großmutter, wie alle sie nannten – Pinhos Mutter, von der keiner mehr genau wußte, wie alt sie wirklich war.
Pinho dachte an seine große Familie und sagte: „Die ganze Nacht über werden wir auf dem Posten sein, Emilia.“
„Ja, dies ist eine zu wichtige Nacht für uns. Keiner von uns kann es sich erlauben, die Zeit mit Schlafen zu vergeuden.“
„Auch die Mädchen erhalten ihre Aufgabe.“
„Vergiß nicht die kleine Bucht im Süden, Pinho.“
„Segura und Franca sollen dort Wache halten“, beschloß Pinho Brancate, der bei sich zu Hause uneingeschränkte Befehlsgewalt genoß wie ein Kapitän an Bord eines Segelschiffes. „Falls irgendein Fahrzeug in die Bucht verholt, melden sie es uns – und wir sehen dann zu, daß wir das Beste für uns herausholen.“
Sie sahen sich an. Pinho schnitt eine Grimasse, zog dann die ziemlich füllige Frau mit den kräftigen Hüften zu sich heran und hob sie ein Stück hoch. Emilia strampelte mit den Beinen. Er ließ sie wieder zu Boden, sie lachten beide und legten schneller schreitend das letzte Stück Weg zurück, das sie noch von dem Haus trennte.
Jeder Fremde mußte bei seiner Ankunft vor dem Haus bestätigen, daß es weitaus größer war, als man von weitem den Eindruck hatte. Es konnte noch viel mehr Menschen ein Dach über dem Kopf bieten als denen, die bereits darin wohnten.
Und so unterhielt Pinho Brancate sein Heim als eine Art Herberge in einem Landstrich einer der ungastlichsten Gegenden Portugals, die nur selten von einem Reiter oder Wanderer besucht wurde. Hätte Pinhos die Seinen in dieser Umwelt tatsächlich unterhalten sollen, so wäre die ganze Familie inzwischen längst eines bitteren Hungertodes gestorben.
Die niedrige Eingangstür knarrte leicht in ihren eisernen Angeln, als sie von innen geöffnet wurde.
Die Gestalt eines schlanken, von einer durchaus nicht geizigen Natur reif ausgestatteten Mädchens erschien vor dem Licht, das im Inneren des Hauses flackerte.
„Josea!“ rief Pinho Brancate. „Wir sind wieder da!“
„Ist es schon soweit?“ fragte das Mädchen.
„Nein, aber mit ein wenig Glück kriegen wir heute nacht noch alle Hände voll zu tun“, sagte Emilia zuversichtlich.
Nordwärts segelte der stattliche Fünferverband portugiesischer und spanischer Schiffe, der an diesem Abend die Felsenküste passierte. Er bestand aus einer Viermast-Galeone, zwei Galeonen mit je drei Masten und zwei lateinergetakelten Karavellen, die jeweils zwei Masten führten: „Candia“, „Sao Sirio“, „Sao Joao“, „Extremadura“ und „Santa Angela“.
Nordwärts segelte die „Candia“ schon seit geraumer Zeit, denn sie hatte in der Walfischbucht im fernen Südafrika den Kommandanten Lucio do Velho und dessen Bootsmann Ignazio, der aus Porto gebürtig war, aufgelesen.
Kurs nach Lissabon hatte die stattliche Viermast-Galeone seither eingeschlagen. Do Velho hatte das Schiff, das man ihm in Manila übergeben hatte, ohne Rücksicht auf Verluste vorangetrieben und keine zeitraubenden Reisepausen eingelegt.
Das Ergebnis war gewesen, daß ein Teil der Mannschaft vom Skorbut dahingerafft worden war. Do Velho war der Ansicht, daß ein solches Opfer selbstverständlich war – falls es nicht auf seine ganz persönlichen Kosten ging.
Er selbst war ja dem Tod mit knapper Not entronnen, ebenso Ignazio – beide waren dem Teufel sozusagen von der Schippe gesprungen. Es war ein regelrechtes Wunder, daß sie ausgerechnet im Land der Buschmänner doch noch mit heiler Haut davongekommen waren.
Entsprechend hatten sich die hochdekorierten Almirantes und Comodoros ausgedrückt, denen Lucio do Velho in Lissabon seinen Bericht erstattet hatte. Do Velho war nun ein „Milagrolado“, ein vom Wunder Heimgesuchter.
Ignazio wurde dieser Ruhm nicht zuteil, denn do Velho hatte rechtzeitig darauf hingewiesen, daß der etwas einfältige Mann natürlich nur noch am Leben war, weil er, do Velho, sich für ihn eingesetzt hatte. Die Realität sah etwas anders aus. Aber die lag weit hinter ihnen im tiefsten Afrika.
Die hohe Admiralität konnte do Velho nachempfinden, was er durchgestanden hatte, als er diesen verfluchten Engländer Philip Hasard Killigrew gehetzt hatte. Anschaulich hatte do Velho, der ein geborener Mime war, dargestellt, daß er den Seewolf schon in der Bengkalis-Bucht hätte stellen und vernichten können – wenn nicht ein unvorhersehbarer Fall „höherer Gewalt“ eingetreten wäre.
Und so war es dann immer wieder ein böser Zufall, ein peinliches Zusammentreffen von Unglück und Naturereignissen gewesen, das Lucio do Velho den Triumph vorenthalten hatte.
Rügen konnte und wollte man diesen Kommandanten in Lissabon nicht, danach stand niemand der Sinn. Zu frisch war die Niederlage, die das spanisch-portugiesische Königreich im allgemeinen und die Armada im besonderen erlitten hatte – der Überfall Admiral Drakes auf Cadiz.
Nach einem solchen Schlag der Engländer konnte nicht einmal König Philipp II. persönlich einem do Velho vorwerfen, er sei ein Versager. Seine Allerkatholischste Majestät konnte im Augenblick nur gereizt in den dunklen Sälen des Escorial auf und ab wandern und auf Vergeltung sinnen.
Wie aber sollte er sich rächen, wenn seine glorreiche und unüberwindliche Armada durch Drakes Raid in Cádiz so empfindlich getroffen worden war?
Erschüttert hatte Lucio do Velho in Lissabon den Bericht einiger Augenzeugen vernommen. Laut zu wettern hatte er begonnen, als er gehört hatte, daß auch ein Schiff an Drakes Seite gewesen sei, das er anhand der Beschreibungen nur allzu gut wiedererkannte: die „Isabella VIII.“. Zornig hatte do Velho seinen Vorgesetzten Aufschluß darüber gegeben, wer der Kapitän und die Mannschaft dieses „Teufelsschiffes“ war und daß es auf der Welt nur eine große, schnittige Galeone mit so hohen Masten und einer so tolldreisten Crew gäbe.
Nichts hatte do Velho halten können.
Er hatte beantragt, daß alle verfügbaren Kriegsschiffe im Hafen von Lissabon seinem Kommando unterstellt wurden und er Jagd auf den englischen Bastard, den Todfeind, machen durfte – und dies hatte man ihm auch bewilligt. Mehr als die portugiesischen Galeonen „Sao Sirio“ und „Sao Joao“ sowie die spanischen Karavellen „Extremadura“ und „Santa Angela“ hatte man ihm an Schiffsmaterial für die Zusammenstellung eines Verbandes jedoch nicht bewilligen wollen, da der Hafen und die Stadt Lissabon nicht ungeschützt bleiben durften.
Verbissen führte do Velho seinen neuen Verband nach Norden.
Juni war es geworden, aber Lucio do Velho hoffte, wenigstens den Seewolf auf der Heimreise nach England noch zu stellen und vor die Kanonen fordern zu können.
Alle Ermahnungen der Almirantes und der Comodoros, der Feind sei zu stark, hatten do Velho nicht von seinem Vorhaben abhalten können.
„Der Seewolf ist ein Einzelgänger“, sagte do Velho an diesem Abend, bevor ihn die bedenkliche Entwicklung des Wetters an Oberdeck rief. „Wenn man den Schilderungen recht geben darf, die wir in Lissabon vernommen haben, hat Killigrew zwar Seite an Seite mit Francis Drake, dieser Kanaille, gefochten. Aber wie ich Killigrew kenne, hat er sich inzwischen wieder von Drake getrennt und ist allein unterwegs.“ Ober das Pult in der schwankenden Kapitänskammer der „Candia“ hinweg blickte er Ignazio an, den er zu einer kurzen Lagebesprechung herbeigeordert hatte. „Glaubst