Seewölfe Paket 8. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Seewolf hatte an Land drei Doppelposten aufziehen lassen, die nach jeweils acht Glasen abgelöst wurden. Er wollte in jeder Hinsicht die Gewißheit haben, daß die Portugiesen oder die Spanier ihn nicht von Land her überraschen konnten. Nach dem Überfall auf Cadiz mußten die Dons geradezu versessen darauf sein, Drake und dessen Mitstreiter zu jagen. Und auch sonst war es klug, keine Vorsichtsmaßnahme auszulassen. Während ihrer Fahrten um den Erdball hatten die Seewölfe immer wieder erleben müssen, welch unglaubliche Überraschungen in unbekannten Gegenden auftreten konnten.
Matt Davies und Dan O’Flynn hatten freiwillig den ersten Doppelposten übernommen, der den nördlichen Bereich des Buchtufers kontrollierte. Sie hockten in einer Felsennische knapp unterhalb des höchsten Punktes der Klippen und unterhielten sich gedämpft, während die Brandung gegen die Küste donnerte und das Seewasser in der Bucht gischtete und rauschte.
Dan O’Flynn hob plötzlich den Kopf. „Matt, da war etwas.“
„Wie meinst du das? Kriegen wir jetzt etwa auch noch ein Gewitter aufs Haupt?“ fragte der Mann mit der Hakenhand verdutzt.
„Nein, glaube ich nicht. Ich habe ein Krachen gehört, als ob Holz zerbricht.“
„Was denn, mitten im Sturm?“
„Matt, wer gute Augen hat, hat auch gute Ohren.“
„Meistens ja, und es ist bekannt, daß deine fünf Sinne geschärft sind“, entgegnete Matt Davies. „Aber wie du diesen – diesen Laut durch dieses elende Getöse hindurch mitgekriegt haben willst, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel.“
„Und da war noch etwas anderes – ein Schrei.“
„Teufel, und das soll mir entgangen sein?“
„Matt“, sagte der junge O’Flynn. „Du warst eben doch wohl mehr auf unser Gespräch konzentriert.“
Der Hakenmann holte tief Luft. „Und ich sage, du täuschst dich, Dan. Weißt du was? Im Sturm glauben manche Leute, die Meersirenen singen und den Wassermann grölen zu hören – angefangen bei deinem Alten.“
„Jetzt hör aber auf“, entrüstete sich Dan.
Sie waren drauf und dran, sich in die Haare zu kriegen, aber Dan O’Flynn bog den Streit auf seine Art ab, indem er sagte: „Hör zu, Matt, ich steige jetzt kurz auf die Klippfelsen und sehe oben nach dem Rechten, klar?“
„Einverstanden. Du hast ja selber schuld, wenn du naß wirst.“
Dan beachtete Matts griesgrämige Miene nicht weiter. Er grinste sich eins, als er die Nische verlassen hatte und Matt ihn nicht mehr sehen konnte.
Beim Aufstieg in die höhergelegene Felsenregion mußte Dan darauf achtgeben, nicht auszurutschen und schneller auf den schmalen Streifen Kiesstrand zurückzukehren, der rund zwanzig Yards unter ihm lag, als ihm dies zu Fuß möglich gewesen wäre. Wind und Regen erschwerten das Klettern, der rauhe Untergrund war naß und glitschig.
Dans Haare waren durchnäßt, als er auf dem kleinen Plateau anlangte, das gleichsam einen natürlichen Aussichtspunkt auf den Klippfelsen darstellte. Matt und Dan hatten diesen Platz entdeckt, als sie das Terrain inspiziert hatten. Etwas später hatten sie sich dann in die trockene Nische zurückgezogen, von wo aus sie immer wieder Erkundungsgänge in die nähere Umgebung unternehmen wollten.
Dan richtete sich auf. Zu seinen Füßen erstreckte sich die Bucht, in der er mit Mühe die „Isabella VIII.“ liegen sehen konnte. Das Beiboot, mit dem Matt, er und die anderen Wachen auf dem Kiesstrand gelandet waren, war von hier aus schon nicht mehr zu erkennen.
Dan drehte sich im heulenden Wind und blickte nach Nordwesten auf die offene See hinaus. Er versuchte zu ergründen, welche Ursache die Geräusche gehabt haben mochten. Sie schienen aus jener Richtung herübergedrungen zu sein, aber er erspähte nichts. Eine Wand aus Gischt und Regen baute sich vor ihm auf.
Unvermittelt erstarrte seine Gestalt. Wieder hatte ihn etwas stutzig gemacht – ein Laut hinter seinem Rücken.
Das Zusammenschlagen zweier Steine mochte es gewesen sein, vielleicht durch den Sturmwind hervorgerufen. Aber Dan war auf der Hut. Plötzlich fuhr er herum. Er strauchelte fast, weil der Wind ihn aus dem Gleichgewicht warf, fing sich aber wieder und zog die Pistole aus dem Ledergurt seiner Hose.
Zwischen den Felsen, die etwas weiter landeinwärts lagen, erkannte er die Umrisse einer menschlichen Gestalt.
Nein, Matt Davies war das nicht, und auch keiner der anderen beiden Doppelposten, soviel war Dan sofort klar. Erstens kroch kein Seewolf einem Kameraden hinter dem Rücken herum, ohne sich zu erkennen zu geben. Und zweitens handelte es sich bei dieser Gestalt – Dan sah es ganz deutlich – um eine ausgesprochen schlanke, fast schmächtige Person.
Ähnlichkeit damit hätte allenfalls der Kutscher aufweisen können. Oder Bill, der Schiffsjunge. Aber die befanden sich an Bord der „Isabella“ und rührten sich garantiert nicht von dort fort.
Dan hob die Pistole und spannte den Hahn.
„Halt, stehenbleiben!“ rief er.
Die Gestalt war zwischen den Felsen verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Dan war nicht nur neugierig geworden, mit wem er es wohl zu tun haben konnte, er witterte jetzt auch Gefahr und nahm die Verfolgung auf. Mit einem Satz war er zwischen den Felsen, die das kleine Plateau säumten, und hetzte geduckt auf nassem Geröll dahin.
Er stolperte und fiel, hatte sich aber schnell wieder aufgerappelt. Fluchend hastete er weiter.
Mit einemmal hatte er die mysteriöse Gestalt wieder vor sich, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Schlagartig tauchte sie wieder hinter mächtigen Steinquadern unter. Da nutzte es nichts, daß er seine Aufforderung wiederholte, der Wind trug seine Worte fort und zerstreute sie, mit seinem Heulen schien er sich über den jungen Mann lustig zu machen.
Dan beschloß, dem Fremden einen Warnschuß über den Kopf zu jagen, sobald dieser sich wieder zeigte. Im Sturm konnte das Krachen nur ein paar Yards weit zu hören sein. Dan wollte ein gewisses Risiko, weiter im Landesinneren vernommen zu werden, eingehen. Hauptsache, er konnte diesen rätselhaften Beobachter einschüchtern und stoppen.
Doch es kam anders.
Die Bewegung über seinem Kopf registrierte er etwas zu spät. Von einem der Quader schwebte die Gestalt plötzlich auf ihn nieder, und ehe er die Pistole auf sie richten konnte, hatte sie ihn erreicht, warf ihn mit ihrem Gewicht nieder und begrub ihn unter sich.
Sie lagen auf dem Gestein ineinander verkeilt und balgten sich. Dan hatte die Pistole aus der Hand verloren. Er hätte sich für seinen Leichtsinn und für seine Unachtsamkeit selbst ohrfeigen können.
Durch den Regen, der in sein Gesicht prasselte, konnte er erkennen, daß sein Gegner ein Junge war. Vielleicht war er ein oder zwei Jahre älter als Bill, der Moses. Seine Züge waren jedoch erheblich weicher als die von Bill, der im Laufe der Zeit schon ein richtig harter Seemann geworden war.
Was, und von so einem Milchgesicht läßt du dich unterkriegen? schoß es dem jungen O’Flynn durch den Kopf. Er fühlte es heiß in sich aufsteigen, seine Ohren schienen plötzlich zu glühen. Er war in seiner Ehre berührt – das ließ er nicht auf sich sitzen.
Mit einem Ruck befreite er sich, als der Knabe ihm gerade einen Fausthieb verpassen wollte. Dan setzte nach, packte zu und erwischte die Handgelenke des Gegners. Er warf die schlanke Gestalt von sich ab, richtete sich halb auf und preßte den Gegner mit dem Rücken gegen die nächste Felswand, ehe dieser noch irgend etwas unternehmen konnte.
„So, jetzt ist das Spiel aus“, sagte Dan grimmig. „Hast du dir eingebildet, du könntest mich niederschlagen? Da mußt du früher aufstehen, Freundchen.“
Der Junge musterte ihn aus großen, dunklen Augen. Angst flackerte in diesen ausdrucksvollen Pupillen auf.
„Ich verstehe nicht“, antwortete er auf portugiesisch.
„Richtig, in meiner Wut habe ich englisch gesprochen“, sagte Dan nun auf spanisch. Portugiesisch konnte