Seewölfe Paket 8. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Balken seines zerstörten Schiffes war fort, er konnte sich an nichts mehr festklammern. Wo Reto, der erste Offizier, steckte, wußte Monforte nicht, er wagte nicht, über das Schicksal des Mannes weiter nachzudenken.
Wie ein Wunder mutete es an, daß der gewaltige Brecher Monforte auf den Felsen gespült hatte, ohne ihm sämtliche Knochen im Leib zu brechen und seinem Leben ein Ende zu bereiten. Nein, er sollte noch nicht sterben. Seine Stunde war noch nicht gekommen.
Mit dieser Erkenntnis vollzog Monforte seine nächsten Handlungen. Die Gewißheit, ein Wunder erfahren zu haben, verlieh ihm Kraft und seelischen Auftrieb.
Er wagte es, sich von dem Felsen ins Wasser gleiten zu lassen, und brachte es fertig, die restliche Distanz zum Ufer durch Schwimmen zu überbrücken. Er blieb auf grobem grauen Kies liegen und atmete heftig. Wogen leckten über seinen Rükken, umspülten seinen ganzen Körper und schienen ihn noch jetzt ertränken zu wollen.
Endlich richtete Monforte sich wieder auf. Er taumelte in Gischt und Schaum an den steil aufragenden Klippfelsen entlang und suchte nach einem Einstieg, nach einem Weg ins Landesinnere. Immer wieder blickte er auch zudem Platz, an dem sich seiner Überzeugung nach das Riff befinden mußte. Aber er konnte weder die tückische Felsenbarriere noch die Reste seiner Galeone entdecken.
Er verharrte, als er eine Männerstimme hörte.
„Capitán!“
„Reto!“ stieß Monforte aus. „Heilige Mutter Gottes, er lebt …“
„Capitán, hierher!“
Alvaro Monforte strebte auf den Klang der Stimme zu. Er fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und stieß ein trockenes Schluchzen aus, bevor er den ersten Offizier der „Sao Sirio“ erreichte. So fühlte er sich freier, etwas von der Tonnenlast, die auf seinen Schultern und auf seinem Gemüt zu liegen schien, löste sich auf.
Die Gestalt des Ersten schälte sich jetzt aus der Dunkelheit. Mitten im Fels stand Reto, und erst beim Näherkommen stellte der Kapitän fest, daß der Mann in eine Art Bresche getreten war, die in das zerklüftete Gestein hinaufführte.
„Zu Ihren Diensten, Kapitän“, sagte Reto. „Bei mir sind noch drei Männer, die etwas weiter oben auf dem Pfad stehen.“
Monforte blieb dicht vor ihm stehen. „Dios – wir können also noch hoffen. Vielleicht – vielleicht haben sich alle retten können. Ich meine, die – die noch lebten, als wir über Bord gingen.“
„Begraben Sie diese Hoffnung, Kapitän“, sagte der Erste.
„Wir sind die einzigen Überlebenden“, fügte der hinter ihm stehende Mann hinzu. Er war ein einfacher Soldado, der, um nicht in die Tiefe der See gezogen zu werden, seinen Eisenhelm und seinen Brustpanzer aufgegeben hatte. Noch bevor er das auseinanderbrechende Schiff verlassen hatte, hatte er sich dieser schweren Teile seiner Montur entledigt, und nur so war er dem schrecklichen Schicksal entgangen, das seine Kameraden getroffen hatte.
Etwas weiter oben in der Felsenpassage befanden sich die anderen beiden Männer der Galeone. Einer von ihnen stieg jetzt zwei, drei Schritte nach unten in die unmittelbare Nähe des Ersten und des Soldados. Monforte erkannte das Gesicht des Decksältesten der „Sao Sirio“. Der vierte Überlebende des Unglücks war einer der einfachen Decksleute, wie der Kapitän nun ebenfalls feststellte.
„Senor“, sagte der Decksälteste. „Wir haben wie die Besessenen gesucht, als wir hier ans Ufer gespült worden sind. Aber wir haben nur angetriebene Leichen gefunden. Die Leichen unserer Kameraden. Es werden immer mehr, Senor, nach und nach finden sie sich an dieser elenden Küste ein. Alle.“
Alvaro Monforte geriet ins Wanken. Sein verwirrter Geist hatte sich den erschütternden Tatsachen verschlossen, aber jetzt traf ihn die Wahrheit mit unnachgiebiger Härte.
Alle waren sie tot – bis auf fünf Mann. Mehr als zwei Dutzend Mann stark war die Besatzung der „Sao Sirio“ gewesen. Über zwanzig Männer hatten ihr Leben in den Fluten gelassen.
Über zwanzig!
Monfortes Hände ballten sich zu Fäusten. Er stand vor den kalten, nassen Felsen und schlug plötzlich auf sie ein. Er hielt inne, preßte die flachen Hände gegen das Gestein und traf Anstalten, in seiner ohnmächtigen Verzweiflung und Hilflosigkeit die Stirn dagegenzurammen.
Reto erkannte das Vorhaben seines Kapitäns. Er stellte sich hinter ihn und hielt ihn an den Schultern fest.
„Capitán“, sagte er eindringlich. „Was nutzt es, wenn Sie sich selbst umbringen? Wem bringt das etwas ein?“
„Niemandem“, sagte der Decksälteste, dessen etwas komplizierter Name Tarquinho lautete. „Seien Sie vernünftig, Capitán. Wir vier wissen, daß Sie keinerlei Schuld tragen an dem, was geschehen ist. Sie haben Ihr Bestes getan, um uns vor dem bitteren Ende zu bewahren.“
Monforte stand eine Weile wie gelähmt da, dann ließ er endlich von dem Felsen ab. Sein Blick war fest, als er die letzten Männer seiner Besatzung der Reihe nach ansah.
„Sie haben Recht“, erwiderte er langsam. „Und ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie trotz allem noch zu mir halten. Ich sehe das durchaus nicht als selbstverständlich an. Meuterer hätten aus Ihnen werden können, Deserteuere der spanisch-portugiesisichen Marine – und doch bleiben Sie der Krone treu. Ich danke Ihnen.“ Er drehte sich um und blickte auf die See hinaus. Regen und Sturmwind fuhren heftig in sein hartes Gesicht, aber er kümmerte sich nicht darum.
„Eines schwöre ich“, sagte Monforte. „Wenn wir je wieder mit dem Kommandanten Lucio do Velho zusammentreffen, ziehe ich ihn für sein unverantwortlidhes Verhalten zur Rechenschaft. Wahrscheinlich werde ich mich der Insubordination schuldig machen, aber das nehme ich in Kauf. Hundertmal. Im Gedenken an die toten Männer der ‚Sao Sirio‘.“
„Und wir schwören, daß wir Ihnen dabei beistehen, Capitán“, entgegnete Reto, der Erste Offizier. „Koste es, was es wolle.“
„Koste es, was es wolle“, murmelten die anderen drei im Chor.
„Laßt uns die Toten bestatten“, sagte Monforte.
Tarquinho antwortete: „Wir haben es bereits versucht, aber es gibt an diesem Ufer nicht genug Steine, um die Leichen ausreichend zu beschweren. Wir finden hier nur große Brokken und den Kies, aus dem die Leichname aber wieder freigeschwemmt werden, wenn wir sie darin eingraben. In der See können wir unsere toten Kameraden auch nicht beisetzen, nicht bei diesem Wetter, nicht ohne ein Boot.“
„Wir würden selbst dabei draufgehen“, fügte Reto hinzu. „Capitán, es gibt hier vorläufig nichts mehr für uns zu tun.“
Monforte, der um Jahre gealtert wirkte, nickte langsam. „Das sehe ich ein. Verlassen wir jetzt diesen Ort und sehen wir zu, daß wir irgendwo einen trokkenen Platz zum Verweilen finden. Morgen, so hoffe ich, läßt der Sturm nach. Dann werden wir unsere Toten mit allen seemännischen Ehren bestatten. Anschließend werden wir versuchen, in die nächste größere Ortschaft zu gelangen und von dort aus eine Depesche nach Lissabon weiterzuleiten, in der wir der Admiralität von unserem Unglück berichten.“
„Vielleicht finden wir auch ein Schiff oder wenigstens eine Schaluppe, mit der wir heimwärts segeln können“, meinte Tarquinho.
„Möglich auch, daß der Comandante im Abklingen des Sturmes umzukehren versucht und nach uns fahndet“, sagte der Soldat.
Monforte musterte ihn. „Ich glaube nicht daran, aber ich würde dem Senor do Velho einen gebührenden Empfang bereiten, das versichere ich dir, Soldado.“
Er schritt an den Männern vorbei und übernahm die Führung der Gruppe. Vorsichtig klomm er in der mit Geröll gefüllten Felsspalte nach oben. Reto, Tarquinho, der Soldat und der Decksmann folgten ihm schweigend. Ihr Respekt vor dem Kapitän war größer denn je. Sie wußten, daß er es mit seinen Ankündigungen ernst meinte. Sich jedoch offen gegen einen do Velho aufzulehnen, bedeutete nicht nur ein jähes Ende der Karriere von Alvaro Monforte, es war auch mit Meuterei gleichzusetzen. Und darauf stand das Todesurteil. Lucio do Velho würde