Seewölfe Paket 10. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.nicht einfach so liegen, oder?“
„Er heißt Richard“, sagte Alewa.
„Fein“, sagte Dan O’Flynn. „Ich schätze, wir nehmen ihn als Geisel mit, nicht wahr?“
„Allerdings.“ Hasard gab seinem Profos und Shane einen Wink, und die beiden hoben den besinnungslosen Piraten auf, als handle es sich um einen Sack voll Daunen. „Wir tragen ihn zum Strand, nehmen auch den anderen Kerl mit und kehren an Bord der ‚Isabella‘ zurück, um zu beratschlagen“, fuhr der Seewolf fort. „Bevor Alewa uns nicht alles genau geschildert hat, können wir keinen richtigen Plan schmieden, wie wir die anderen Freibeuter am besten von der Insel vertreiben.“
Er griff nach Alewas Hand, zog sie mit sich fort und setzte sich an die Spitze seines kleinen Trupps. Sie kehrten auf den Pfad zurück, den er vorher mit dem Cutlass durch das Dickicht getrieben hatte, und trafen kurz darauf bei Batuti ein, der sie schon ungeduldig erwartete.
Alewa beugte sich interessiert über den bärtigen Seeräuber, der immer noch ohnmächtig dalag und Arme und Beine von sich streckte. Der Gambia-Mann hingegen betrachtete das Mädchen mit sichtlichem Wohlgefallen. Als er aber bemerkte, daß Hasard und der Profos zu ihm herüberblickten, wandte er sich schleunigst ab.
Dan O’Flynn deutete auf den bärtigen Franzosen. „Eine gute Handschrift hast du, Ed, das muß man dir lassen.“
„Danke“, sagte Carberry.
„Der Mann – ich kenne auch seinen Namen“, ließ sich Alewa vernehmen. „Er heißt Luc.“
„Großartig“, kommentierte Big Old Shane. „Dann hätten wir also Richard und Luc, und Louis ist uns entwischt. Im Gebüsch liegt ein Toter, Alewa, aber dessen Namen werden wir wohl nicht mehr erfahren.“
Alewa warf einen Blick in das Dikkicht, fuhr unwillkürlich zusammen, als sie die Leiche des Freibeuters sah, und sagte: „Jean – einer unserer Bewacher aus dem Pfahlhüttendorf. Ein grausamer Kerl.“
„Um ihn ist es nicht schade“, brummte der Profos. „Und um die anderen, die noch wie die Fliegen krepieren, wenn wir erst mal richtig losschlagen, auch nicht.“ Er hatte immer noch eine höllische Wut im Leib.
„Ed, nimm den Mund lieber nicht zu voll“, warnte der Seewolf. „Du weißt ja, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“
„Aye, Sir“, sagte Carberry. Er griff mit Widerwillen nach der speckigen Mütze, die Richard soeben vom Kopf zu rutschen drohte, stülpte sie dem Burschen wieder über und setzte sich dann in Bewegung, um den immer noch Bewußtlosen mit Shane zusammen zur Jolle zu schleppen. Der Seewolf, Dan O’Flynn und das Mädchen Alewa hatten sich bereits wieder in Marsch gesetzt. Batuti und Ferris Tucker bückten sich nach Luc, dem Bärtigen, hoben ihn vom Strand auf und trugen ihn ebenfalls auf die rauschende, gischtende Brandung zu.
Die Sonne stand jetzt hoch im Zenit und brannte mit erstaunlicher Macht auf Hawaii nieder. Sie wärmte die Decks der wartenden „Isabella“ und hätte die Seewölfe heiter gestimmt, wenn nicht die Bedrohung durch die französischen Freibeuter gewesen wäre.
5.
Louis hatte sich zuerst in südlicher Richtung bewegt, dann aber einen Bogen geschlagen und pirschte jetzt nach Norden, weil Marcel und die anderen von dorther auftauchen würden. Louis konnte es kaum erwarten, mit ihnen zusammenzutreffen, denn in ihm gärten der Haß und der Wunsch nach blutiger Rache. Mit einem starken Trupp würde er die Engländer verfolgen und aus dem Hinterhalt niederschießen.
Tod, dachte er immer wieder, Tod euch allen, ihr verfluchten Bastarde!
Wer war dieser schwarzhaarige Riese mit den blauen Augen, der wie der Teufel zwischen sie gefahren war und Richard gefällt hatte? Wie hatte dieser Hund sich überhaupt anschleichen können? Wer schickte ihn, wie hieß er, was wollte er?
Fragen über Fragen, auf die Louis keine Antwort wußte. Er sann nicht weiter darüber nach, sondern malte sich nur aus, wie grausam er Rache nehmen würde. Für Alewa, so überlegte er, darf es keinen schnellen Tod geben, sie hat uns diese Dreckskerle auf den Hals geholt, sie muß auf grauenvolle, unendlich langsame Weise sterben.
Louis hatte sein Entermesser gezückt und hielt es für den Fall bereit, daß die Fremden wieder aus dem Dickicht auftauchten und ihm den Weg versperrten. Er würde alles daransetzen, sich den Pfad freizufechten, ganz gleich, wie viele Engländer sich ihm entgegenstellten.
Warum war er vor dem Schwarzhaarigen geflohen? Warum hatte er sich nicht mit ihm duelliert? Louis verging fast vor Wut darüber. Hatte er etwa Angst gehabt? Nein, das konnte nicht sein. Er, Louis, fürchtete weder Tod noch Teufel. Nein – das, was er getan hatte, war ein taktischer Rückzug gewesen, denn er hatte ja richtig vermutet, daß sich die Kameraden des Schwarzhaarigen nicht weit entfernt befanden und binnen kurzer Zeit alle Mann über ihn hergefallen wären.
Louis hatte den Terrassenhügel hinter sich gebracht und bog jetzt ins Inselinnere ab. Bald, so wußte er, würde er auf den Pfad treffen, der in das Hauptdorf im Herzen der Insel führte. Auf diesem Weg mußten ihm die anderen begegnen.
Er war so tief in seine Gedanken verstrickt, daß er die Gestalten vor sich erst im allerletzten Augenblick bemerkte. Mit einem Fluch riß er sein Entermesser hoch.
„Louis!“ rief Marcel entsetzt aus. „Mon Dieu, was ist denn in dich gefahren?“
Die Männer hinter Marcels Rükken verharrten betroffen. Es waren acht wilde, abenteuerlich gekleidete Gestalten, die allesamt bis an die Zähne bewaffnet waren – mit Musketen, Blunderbüchsen und Arkebusen, Pistolen, wuchtigen Entermessern und Piken.
Louis blieb wie gelähmt stehen. Er musterte die Ankömmlinge aus seinen glitzernden blauen Augen, ließ das Entermesser langsam sinken und sagte nach einigen Momenten betretenen Schweigens: „Um ein Haar hätte ich euch nicht erkannt. Ich dachte, ihr wäret gottverfluchte Engländer.“
„Was ist geschehen?“ fragte Marcel. „Wir haben Geräusche aus dem Dikkicht gehört. Wo ist Richard?“
„Niedergeschlagen und gefangengenommen“, erwiderte Louis lakonisch. „Los, nichts wie ’runter zum Strand! Wir können diese Hundesöhne noch einholen – und gnade ihnen Gott, wenn wir sie erwischen! Dann schießt ihr, was die Rohre hergeben, verstanden?“
„Ja“, murmelten die Männer.
Unter Louis’ Führung gelangten sie rasch ins Uferdickicht, kauerten sich in die Büsche und spähten in südwestlicher Richtung über den breiten Strand und die Brandung hinweg zu der dreimastigen Galeone, die sich auf den Wellen der Bucht hob und senkte. In derselben Richtung war auch die Jolle zu sehen. Sie lag praktisch auf einer Linie zwischen der „Isabella“ und den Piraten.
Louis, Marcel und die acht anderen Kerle sahen in aller Deutlichkeit, wie vier Engländer die beiden Gefangenen in die Jolle hoben, während der Schwarzhaarige, ein sechster Mann und das Mädchen bereits zupackten und versuchten, das Boot in die Brandung zu schieben.
Richard und Luc lagen jetzt zwischen den Duchten, und ihre Träger griffen ebenfalls mit ans Dollbord, um die Jolle vom Strand herunterzubekommen.
„Los“, zischte Louis. „Wir stürmen. Wir schießen sie nieder, rennen sie über den Haufen, stechen sie ab. Los!“
Er fuhr als erster hoch, brach aus dem Dickicht hervor, rannte eine flache Böschung hinunter, war dann auf dem breiten weißen Strand und stürmte auf die verhaßten Widersacher zu. Er hatte sich von einem seiner Kumpane eine Blunderbüchse aushändigen lassen. Den Hahn der Waffe spannte er jetzt im Laufen, hob die Büchse und preßte den Kolben gegen die Schulter.
Er zielte auf die Jolle, blieb stehen, hielt den Blunderbuss so ruhig wie möglich und drückte ab. Brüllend entlud sich die Waffe. Gehacktes Blei und Eisenstücke stoben auf die Jolle, das Mädchen und die Männer zu.
Marcel und die anderen waren heran und begannen ebenfalls zu feuern.
Im Nu war der Teufel los.