Seewölfe Paket 10. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.dem Pfad nach achtern gesichert, und er blieb auch jetzt als Wachtposten im Dickicht zurück, als Hasard und Siri-Tong zur Palisade liefen und das Tor öffneten und Smoky und Matt den Gefangenen auf das Dorf zudirigierten.
Brassens, der dicke Freibeuter, lag zu Dans Füßen. Sie hatten ihn gefesselt und geknebelt.
Hasard hatte den Verriegelungsbalken des großen Tores angehoben, wuchtete ihn jetzt ganz hoch, zog ihn zu sich heran und ließ ihn zu Boden gleiten. Er drückte die Torflügel auf, trat über den Balken hinweg und ging in das Dorf.
Zunächst blickten sie ihn noch voll Entsetzen an, weil sie nicht begriffen, was geschah – Männer, Frauen, Kinder und Greise. Einige von ihnen erkannte er wieder. Er lächelte ihnen aufmunternd zu und beschrieb ein paar Gebärden, die ihnen zeigen sollten, daß sie jetzt frei waren.
Schließlich sagte er auf spanisch: „Ihr seid jetzt frei. Wir sind hier, um euch zu helfen.“
Da hellten sich ihre Mienen auf. Sie wußten jetzt, wer er war, riefen immer wieder „Pele, Pele“ und meinten wohl wie Alewa, daß die Göttin der feuerspeienden Krater ein Wunder vollbracht hatte. Hasard war ziemlich sicher, daß sie das Grollen der Kanonen für die Stimme der Inselvulkane hielten, zumindest in diesem Moment.
Dann fiel draußen ein Pistolenschuß, und Hasard fuhr herum und sah Siri-Tong, die ebenfalls herumgewirbelt war und aus dem Tor hinaus zum Dickicht lief. Hasard eilte ihr nach und hatte die Reiterpistole in der Faust. Er sah Dan O’Flynn aus dem Gebüsch springen und sich zu Boden werfen. Er sah Smoky und Matt Davies, die ihre von der „Isabella“ mitgebrachten Tromblons in Anschlag gebracht hatten und über Dans Gestalt hinwegfeuerten. Er duckte sich, zielte mit der Pistole und drückte zweimal auf die Gestalten ab, die aus dem Gestrüpp drangen und das Feuer auf sie eröffneten.
Auch die Rote Korsarin schoß – zuerst mit ihrer Muskete, dann mit der Pistole, die sie aus dem Gurt riß.
Fünf Piraten fielen, die drei anderen waren über die Lichtung vor dem Dorf hinweg und rannten in panischer Flucht zur Ankerbucht der „Saint Croix“ davon.
„Das müssen die Kerle gewesen sein, die hinter Waialae, Koa, Lanoko und den anderen Mädchen und Männern aus dem Pfahlhüttendorf her waren!“ rief Dan O’Flynn, der sich gerade wieder erhob und den Schmutz von der Kleidung wischte. „Sie haben natürlich den Kanonendonner gehört und sind aus den Bergen zurückgekehrt, um nachzusehen, was los ist.“
Hasard steckte seine Pistole weg. „Seid ihr unverletzt?“ fragte er.
Sie bestätigten es ihm durch Gesten, und er konnte sich zu den Insulanern umdrehen, die jetzt zunächst zögernd, dann aber zügiger aus der Palisade hervortraten und ein aufgeregtes Gemurmel anstimmten.
Er wies zu den Zwillingsgipfeln von Hawaii und rief ihnen auf spanisch zu: „Geht hin und sucht eure Freunde – die Bewohner des zerstörten Fischerdorfes. Sagt ihnen, daß alles vorbei sei und sie sich nicht mehr zu verstecken brauchen. Versteht ihr mich?“
„Jedes Wort, Lobo del Mar“, antwortete ihm ein weißhaariger alter Mann mit freundlichem Lächeln.
Hasard fand, daß es eine großartige Tat von Thomas Federmann gewesen war, diesen Eingeborenen die spanische Sprache beizubringen.
Brennend segelte die „Saint Croix“ aus der Bucht auf die offene See. Ihre Geschütze schwiegen jetzt und würden nie mehr sprechen. Die letzten Überlebenden des kurzen, vehementen Gefechts retteten sich durch kühne Sprünge ins Wasser und schwammen zu den Beibooten. In dem einen saß der erschütterte Louis mit seinen Mitstreitern vom Dorf. Das andere war gerade noch rechtzeitig von Bord der Piraten-Galeone aus abgefiert worden, ehe es auch in Flammen hatte aufgehen können.
Die „Saint Croix“ glitt durch die Passage. Ihre Fahrt verlangsamte sich, es war kein Stück Zeug mehr vorhanden, das sie voranbringen konnte. Es war ein gespenstisches Bild, wie sie allmählich mehr Wasser in ihren Rumpf aufnahm und tiefer sank.
Louis blickte zur „Isabella“.
Die war zwar lädiert, brannte aber nicht. Auch ihre Kanonen waren verstummt. Sie hob und senkte sich auf den blaugrünen Wogen, und von ihren Decks drangen die Stimmen der Engländer herüber.
„Sie werden uns alle töten“, sagte einer der Freibeuter vor Louis.
„Nein“, murmelte Louis. „Wenn sie das gewollt hätten, hätten sie es längst getan. Sie verschonen uns, gewähren uns Überlebenden freies Geleit.“
„Louis“, sagte ein anderer Kerl. „Dort, am Ufer! Drei von unseren Leuten!“
Louis blickte zum Ufer der Bucht.
Die drei, die den Kampf vor der Palisade überlebt hatten, rannten soeben in die Brandung, als hätten sie sämtliche Teufel der Hölle im Nacken sitzen. Sie begannen zu schwimmen und hielten auf die Beiboote der „Saint Croix“ zu.
„Wir nehmen sie über“, murmelte Louis.
Er nahm seinen Blick nicht vom Ufer. Weitere Gestalten erschienen jetzt. Da war der schwarzhaarige Teufel, dessen Namen er immer noch nicht wußte, dann eine Frau, ein Mann mit einer Eisenhakenprothese und noch zwei Kerle. Engländer. Bastarde, dachte Louis, der Leibhaftige soll euch holen. Wer seid ihr bloß?
Plötzlich waren auch Maurice, der Ausguck, und Brassens, der Dicke, da. Louis erkannte die beiden Posten, die er vor dem Tor der Palisade zurückgelassen hatte. Sie machten einen benommenen Eindruck und schienen soeben aus tiefer Ohnmacht erwacht zu sein.
Sie alle durften in das Wasser der Bucht steigen und zu ihren Booten schwimmen – und von Bord der „Isabella“ plumpsten jetzt auch zwei andere Gestalten ins Wasser, die sich bei näherem Hinsehen als Richard und Luc, der Bärtige, entpuppten.
Ein narbiger Riese mit wuchtigem Kinn blickte ihnen von der Back aus nach, schüttelte die Faust und brüllte: „Ihr habt Schwein gehabt, ihr Satansbraten! Laßt euch bloß nie wieder blicken, ihr krummbuckeligen Zander, oder es geht euch wirklich schlecht! Ich hätte mich ja gern noch näher mit euch unterhalten, aber man ist ja ein Mensch und keine Bestie wie ihr Kanaillen!“
Louis sah wieder zu dem schwarzhaarigen Kapitän der fremden Galeone. Gewiß, er konnte jetzt zu ihm schwimmen und ihn vor die Klinge fordern. Aber plötzlich fehlte ihm der innere Ansporn dazu. Sein Haß schien verflogen zu sein. Der Selbsterhaltungstrieb überwog.
„Fort“, sagte er mit rauher Stimme zu seinen Männern. „Nichts wie weg von hier, ehe die es sich anders überlegen.“
Sie nahmen ihre Kumpane in die Boote auf, pullten aus der Bucht hinaus und an der sinkenden „Saint Croix“ vorbei. Draußen, auf See, setzten sie ihren Jollen Masten auf und segelten bald darauf in westlicher Richtung davon.
Von Bord der „Isabella“ löste sich wieder eine Gestalt – Alewa. Sie tauchte mit einem Kopfsprung ins Wasser, verschwand in dem klaren Wasser der Bucht, schoß wenig später aber wieder an die Oberfläche und schwamm mit langen, weit ausholenden Zügen zu den am Ufer Wartenden. Sie ging an Land und fiel vor Hasard, Siri-Tong und den anderen auf die Knie.
Der Seewolf legte ihr die Hand auf die Schulter. „Steh auf“, sagte er. „Für solche Gesten sind wir nicht zu haben.“
Sie erhob sich wirklich und sah ihm in die Augen. „Wie kann ich dir danken, Lobo del Mar?“
„Hast du über die Insel nachgedacht, zu der Masot mit seinen Geiseln unterwegs ist?“
„Ja.“
„Dann wirst du mir aufzeichnen, wie sie auf Thomas Federmanns Karte ausgesehen hat. Traust du dir das zu?“
„Ich glaube, ja.“
Rufe erklangen aus dem Dickicht. Alewa wandte den Kopf etwas nach rechts, blickte zwischen Hasard und Siri-Tong hindurch, lachte plötzlich und rief: „Das sind Waialae und Koa! Und Lanoko und die anderen! Sie kommen! O Pele, Göttin von Hawaii, sie kommen wirklich!“
Braunhäutige Gestalten traten aus dem Ufergestrüpp auf den Strand, so viele, daß der Streifen weißen