Seewölfe Paket 10. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 10 - Roy Palmer


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übernahmen es der Kutscher, Smoky und Al Conroy, ihn über die Balustrade zu heben.

      „Wiederbelebung“, sagte der Kutscher hastig. „Hier hilft nur eine Radikalkur.“ Er gab Smoky und Al Conroy ein paar knappe Anweisungen. Dann legten sie den Polynesier mit dem Bauch auf die Holzleiste der Balustrade und drückten ein wenig zu.

      Mehrere Gallonen Wasser ergossen sich auf die Galionsplattform, die inzwischen von Hasard, Bill, Dan, Carberry und den anderen geräumt worden war.

      Der Kutscher griff nach den Schultern des Polynesiers, drehte ihn herum, ließ ihn vorsichtig auf die schwankenden Planken der Back sinken und begann mit der Wiederbelebung, indem er ihm in rhythmischen Abständen mit beiden Händen auf die Brust drückte und gleich wieder losließ. Dies alles wurde durch den Seegang und den Wind erheblich erschwert, aber der Kutscher hatte dennoch Erfolg: Der braunhäutige Fremde kam zu sich, schlug die Augen auf und stammelte ein paar Worte, die sie nicht verstanden.

      Hasard hatte sich neben den Kutscher gekniet.

      „Sir, der Mann ist von einem harten Gegenstand am Rücken getroffen worden“, erklärte der Kutscher. „Er kann dabei noch froh sein, daß es ihm nicht das Kreuz gebrochen hat.“

      „Und daß er nicht ersoffen ist“, fügte Carberry hinzu. „Wenn wir ihn nicht rausgefischt hätten, wäre es jeden Augenblick mit ihm aus gewesen.“

      „Lange kann er noch nicht im Wasser gelegen haben“, meinte Dan O’Flynn. „Sonst wäre er nämlich so oder so abgekratzt, der arme Kerl.“

      Der Eingeborene blickte den Seewolf an, und seine Augen weiteten sich plötzlich. Dann begann er zum großen Erstaunen der Männer und der Roten Korsarin, die unterdessen auch die Back geentert hatte, auf spanisch zu sprechen.

      „Du – ich kenne dich – du bist – El Lobo del Mar!“

      Hasard spürte einen feinen, eisigen Schauer auf seinem Rücken. Es war unmöglich, daß der erste Eingeborene, dem sie in diesem Winkel der Welt durch einen geradezu unerhörten Zufall begegneten, diese Sprache beherrschte – er konnte es einfach nicht glauben.

      Und dann kannte er auch noch seinen Beinamen. Seewolf! Das setzte allem die Krone auf! Dafür gab es nur eine Erklärung.

      „Du kommst von der Insel Hawaii!“ sagte Hasard.

      „Ja.“

      „Wie heißt du?“

      „Andai.“

      „Ich kann mich an dich nicht erinnern“, sagte der Seewolf. „Aber du mußt mir jetzt sofort erzählen, wo …“

      „Die anderen – Brüder und Schwestern“, murmelte Andai. „Sie – wo sind sie – das Boot …“

      „Ein Boot“, sagte Hasard erschüttert. „Sie haben also in einem Boot gesessen und sich in diesen Sturm hinausgewagt – entweder wurden sie von Masot, der ihrer überdrüssig war, einfach ausgesetzt, oder – oder sie sind von Bord der ‚Saint Vincent‘ geflohen …“

      „Sir!“ brüllte Bill mit einemmal aus vollem Hals. „Da, Steuerbord voraus! Da treibt ein gekentertes Boot‘ O Himmel, so was gibt’s doch nicht!“

      Er war kurzerhand in den Fockwanten auf geentert, um nach dem gelungenen Bergungsmanöver des verunglückten Andai erneut Umschau zu halten. Er riskierte dabei sein Leben, denn der Südostwind drohte ihn aus den Webeleinen zu schütteln, aber nur so hatte er diese neue, gleichsam ungeheuerliche Entdeckung machen können.

      „Bill, du Höllenhund, reiß dich zusammen!“ schrie der Profos.

      „Aye, Sir! Sir, ich sehe mehr als ein Dutzend Leute, die sich alle an dem Boot festhalten!“

      Hasard hatte sich aufgerichtet, war zum Schanzkleid der Back gestürzt und blickte erschüttert in die von Bill genannte Richtung. Siri-Tong war wieder neben ihm.

      Sie griff nach seinem Arm und sagte betroffen: „Das sind sie – die Geiseln der Freibeuter. Allmächtiger!“

      „Kurs auf die Schiffbrüchigen!“ rief der Seewolf. „Wir setzen zwei Sturmsegel, um wieder Fahrt aufzunehmen. Wir manövrieren vorsichtig auf das Boot zu und fischen die Leute in Lee auf!“

      Er rief es auf englisch, und Andai, der wieder völlig bei Bewußtsein war, verstand nicht alle Worte, weil Thomas Federmann ihm und den anderen Bewohnern Hawaiis ja in erster Linie spanisch beigebracht hatte. Aber das Wichtigste begriff er doch. Die Jolle der „Saint Vincent“ trieb in der Nähe der „Isabella“. Andai spürte instinktiv, daß nun auch seine Leute gerettet wurden und die Erlösung von allem Übel und Unglück sehr nah war.

      Die Welt hatten sie mit ihrer „Isabella“ umsegelt, hatten Länder und Menschen kennengelernt, mit denen noch kein anderer Europäer Kontakt gehabt hatte. Schier Unglaubliches hatten sie erlebt, und daher hatte so mancher der Crew angenommen, daß es nichts mehr gäbe, das sie noch aus der Fassung bringen könne.

      Aber das hier war denn doch fast zuviel. Wildeste Abenteuer und tolldreiste Amouren in allen Winkeln der Welt hatten sie nicht so erschüttern können wie diese Angelegenheit hier, bei Sturm mitten in der Nacht, mitten in der Südsee: ein Schwarm splitterfasernackter, nasser Mädchen enterte an den ausgebrachten Jakobsleitern an Bord der Galeone und stieß Jubellaute und kleine Schreie des Entzückens aus.

      Zehn waren es, allesamt hübsch, es war keine dabei, die man auch nur annähernd als „uninteressant“ bezeichnen konnte. Auf dem schlingernden Deck der „Isabella“ stürzten sie auf die Männer zu, lachten und weinten vor Freude, umarmten die entgeisterten Kerle und drückten ihnen jede Menge Küsse auf.

      Sogar der Kutscher, der als ein zurückhaltender Mensch galt, hatte plötzlich ein Mädchen am Hals hängen.

      „Kutscher, schämst du dich gar nicht, du alter Lustmolch?“ schrie Matt Davies.

      „Ist doch nicht meine Schuld …“

      Mehr kriegte der Kutscher nicht heraus, denn das Hawaii-Mädchen erstickte jeden weiteren Einwand und Protest durch eine Serie von weichen, salzig schmeckenden Küssen. Der Kutscher war so verdattert, daß er sein Manntau losließ. Er verlor das Gleichgewicht. Das Mädchen kicherte und ging mit ihm zu Boden. Sie rutschten quer über die Planken der Kuhl, richteten sich in einer Krängung der „Isabella“ am Steuerbordschanzkleid wieder auf – und wären um ein Haar beide über Bord gegangen, wenn der Kutscher nicht auf den Boden der Realitäten zurückgekehrt und sich blitzschnell festgehalten hätte.

      Die jungen Männer von Hawaii waren zu Andai auf die Back gestiegen. Sie schienen es nicht beunruhigend oder gar skandalös zu finden, daß sich die Mädchen den Männern der „Isabella“ an den Hals warfen. Im Gegenteil – für sie schien das die natürlichste Sache der Welt zu sein. Eine Selbstverständlichkeit sozusagen.

      Siri-Tong stand ziemlich verdattert da und wußte nicht mehr, was sie sagen sollte.

      „Madam“, sagte Ben Brighton, der bislang von den stürmischen Ovationen verschont geblieben war. „Sie erinnern sich doch an Hawaii, nicht wahr?“

      „An das Hawaii vor sechs Jahren, Ben?“

      „Ja, genau das meine ich.“

      „Natürlich. Und ich weiß ja, was für eine freizügige Art die Inseldamen haben, uns zu begrüßen und sich bei uns zu bedanken. Aber das hier …“

      „Madam, Sie dürfen nicht vergessen, daß wir sie vor dem sicheren Tod bewahrt haben.“

      Sie seufzte. „Ich vergesse es nicht. Und ich bilde mir ein, über den Dingen zu stehen.“ Der Blick, den sie Hasard zuwarf, war aber nicht gerade als liebenswürdig zu bezeichnen. Hauula und Mara hatten sich an Hasard festgeklammert und ließen ihn nicht mehr los.

      Eifersüchtig? dachte die Rote Korsarin. Mach dich nur nicht lächerlich …

      „Lobo del Mar!“ riefen Mara und Hauula immer wieder. „Daß wir dich wiedersehen dürfen! Pele sei Dank, sie hat uns wirklich geholfen. Wie bist du hierhergekommen?


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