Seewölfe - Piraten der Weltmeere 386. Davis J.Harbord
Читать онлайн книгу.erlauchten Hofkreisen verkehren würde. Da stand der Weg zum Marineminister offen, wenn man geschickt genug war, andere Rivalen auszubooten.
Don Alonso hatte in dieser Beziehung nicht die geringsten Skrupel. Wenn man zum höchsten Amt aufsteigen wollte, mußte man seine Ellbogen gebrauchen. Ein Gewissen war da unnötiger Ballast.
Er strich sich über den gepflegten Knebelbart und setzte dann den Kieker ans Auge. Zufrieden stellte er fest, daß alles nach Plan lief. Morgen oder übermorgen würde dieses Rattennest Tortuga aufgehört haben zu existieren. Wer Widerstand leistete, sollte erschossen werden. Wer sich ergab, würde in einem Schnellverfahren zu Zwangsarbeit in den königlichen Minen der Neuen Welt verurteilt werden. Diese nichtsnutzigen Indianer starben dort ja wie die Fliegen. Don Alonso rümpfte die Nase. Da waren die weißen Galgenstricke doch aus härterem Holz geschnitzt. Auch die Nigger sollten gut zu gebrauchen sein.
Er ließ den Kieker sinken und wandte sich dem links hinter ihm stehenden Capitán de Segovia zu, jenem ziegenbärtigen Offizier, der im Gefecht mit der „Isabella“ seine Kriegskaravelle „Pax et Justitia“ verloren hatte. Jetzt war der Capitán ihm unterstellt worden – zwecks Erkennung des Dreimasters dieser englischen Piraten.
Etwas herablassend fragte ihn Don Alonso: „Sie sind ganz sicher, daß sich dieses englische Piratenschiff nicht im Hafen befindet?“
Der Capitán, ein grämlicher Mann, Kommandant ohne Schiff und daher noch grämlicher, zerrte an seinem Ziegenbart. Er war wütend über diese Frage. Bezweifelte der Generalkapitän etwa seine Sehkraft?
„Ich habe ja Augen im Kopf“, schnarrte er beleidigt. „Im Hafen liegt nicht ein einziger Dreimaster, schon gar nicht das Schiff dieses Killigrew, das mit seinen flachen Aufbauten und den sehr langen Masten sofort zu erkennen ist. Und wenn es ihm Hafen gelegen hätte, würden Sie hier kein Scheibenschießen veranstalten können – diese Engländer hätten ihr Schiff in eine feuerspeiende Festung verwandelt, und schießen können die!“
Der Generalkapitän runzelte die Stirn. Er mochte den Ziegenbart nicht, der ihm von der Admiralität zugeteilt worden war.
Mit einer Portion Arroganz in der Stimme sagte er: „Ich fragte Sie nicht nach den Schießkünsten dieser Strolche, mein Lieber, denen Sie offenbar mit Ihrer Karavelle nicht gewachsen waren. Im übrigen brauche ich Ihre Belehrungen nicht. Und was Ihre ‚feuerspeiende Festung‘ betrifft, da scheint mir, daß Sie den Gegner reichlich überhöhen – kein Wunder, weil Sie ihm Ihre Niederlage zu verdanken haben. Da macht man den Gegner immer größer und stärker, als er tatsächlich ist, nicht wahr?“ Und er lächelte spöttisch, der Señor Generalkapitän.
Doch der Ziegenbart zahlte es ihm zurück. Tückisch fragte er: „Ach ja? War das mit dem Piraten-Zweidecker genauso, von dem Ihr Flaggschiff ‚Virgen de Andalucia‘ versenkt wurde? War der auch größer und stärker als Ihr Flaggschiff?“
Der Schuß saß! Don Alonso stieg die Zornesröte ins Gesicht.
„Hüten Sie Ihre Zunge, Señor Capitán!“ sagte er scharf. „Ihre Anspielungen lassen den gebührenden Respekt vermissen. Ein Wort von mir, und Sie können sich als Schaluppenführer im Hafen von Cartagena verdingen – falls Sie sich mit Ihren Fähigkeiten für einen solchen Posten nicht überfordert fühlen!“
Ja, da ging es also wieder streng nach der Hackordnung zu. Der Señor Generalkapitän durfte Hiebe austeilen und sparte auch nicht mit Beleidigungen. Und wenn der Capitán darauf reagierte, kriegte er prompt was aufs Maul.
Luis de Segovia preßte die Lippen zusammen und zog es vor, nichts mehr zu sagen. Immerhin hatte er die Genugtuung, dem Generalkapitän ebenfalls einen Hieb verpaßt zu haben. Die Röte in dessen Gesicht klang nur langsam ab. Und die anderen Señores Offiziere auf dem Achterdeck, denen der Disput keineswegs entgangen war, wirkten durchaus nicht schadenfroh. Nein, sie blickten betreten weg. In der nächsten Viertelstunde konnten sie es sein, die von Don Alonso abgekanzelt wurden. Er war bekannt dafür, nicht den geringsten Widerspruch zu dulden. Seine Schroffheit war sprichwörtlich.
Auf keiner der acht Kriegsgaleonen – auf dem Flaggschiff am allerwenigsten – war jemandem aufgefallen, daß sich für etwa fünf Minuten ein kleiner, karavellenähnlicher Dreimaster an der nordöstlichen Kimm gezeigt hatte. Nein, sie starrten alle zum Hafen, der unter der Kanonade der acht Kriegsgaleonen in Schutt und Trümmer verwandelt wurde. Keinem fiel auf oder wurde bewußt, daß man hier mit Kanonen nach Spatzen schoß. Die Salvenorgie war sinnlos. Sie traf die hölzernen Anleger und Stege, die paar Boote oder Schaluppen, die Schuppen oder Bretterhütten, die Palmen, von denen es Kokosnüsse regnete, und den Strand, auf dem Sandfontänen aufblühten und wieder erstarben. Auch im Strandwasser schossen Fontänen hoch. Da wurden allenfalls ein paar Krabben abgemurkst.
Aber Spanien demonstrierte seine Macht. Fein war das. Man war so richtig stark. Acht Kriegsgaleonen Seiner Majestät waren ja auch was. Das war geballte Feuerkraft.
Widerstand? Lachhaft!
Wir werden sehen.
2.
Die Insel Tortuga gleicht aus der Vogelperspektive einem länglichen Oval – länglich von West nach Ost oder umgekehrt gesehen. Diese kleine, felsige Insel mißt etwa acht Seemeilen in der Länge und zwei Seemeilen in der Breite. Von der südlich gelegenen Insel Hispaniola trennt sie ein etwa fünf Seemeilen breiter Kanal. Von Norden oder von Süden betrachtet ähnelt Tortuga dem Buckel einer Riesenschildkröte – daher der Name. Der Seefahrer und Entdecker Kolumbus nannte sie so, und er fand für die Inseln, die er entdeckte, sehr treffliche Namen, auch wenn er sein eigentliches Ziel, Indien zu entdecken, verfehlte.
Old O’Flynn nun pirschte sich an der Nordküste der Insel entlang, umsegelte Portugal Point, die Ostspitze, ging wieder auf Westkurs und steuerte eine kleine Bucht an der Südküste an, die eine knappe Meile vom Hafen westwärts entfernt war.
Er konnte ganz beruhigt sein. Von der Hafenbucht her konnte diese Bucht nicht eingesehen werden. Steilfelsen grenzten die Bucht ab. Sie lag noch dazu in einem Küstenknick und war für flachbodige Segler zwar erreichbar, aber nicht für Schiffe mit dem Tiefgang von Kriegsgaleonen. Dicht unter Land setzten sie den Anker. Von Westen her ertönte das Grummeln vereinzelter Kanonenschüsse. Dazwischen waren auch Musketenschüsse zu hören.
„Die sind bereits gelandet“, sagte Al Conroy.
„Hm.“ Carberry meldete keinen Widerspruch an.
„Und wenn sie gelandet sind“, fuhr Al Conroy fort, „dann dürfte es auch Diego oben in der ‚Schildkröte‘ an den Kragen gehen.“
Old O’Flynn zuckte zusammen – und fuhr hoch. „Himmelarsch! Was sagst du da?“
Al Conroy nickte. „Genau das. Du kannst dir deinen Einkauf in den Schornstein schreiben. Daraus wird nichts mehr. Diegos Lager an Weinen, Rum, Schnaps und allem anderen vereinnahmen die Dons, damit du klarsiehst. Und wenn sie ihn zwiebeln, dann könnte es durchaus sein, daß unser lieber Freund Diego zu singen beginnt – zum Beispiel das Liedchen vom Bund der Korsaren, die in den Caicos-Inseln ein feines Schlupfwinkelchen haben sollen.“
Carberry sagte dumpf: „So ist es.“ Und als Old O’Flynn daraufhin ein unanständiges Wort hervorstieß, sagte er: „Du sprichst mir aus der Seele, Old Donegal. Dabei ist ‚Scheiße‘ noch gelinde ausgedrückt. Das ist Scheiße in Tonnen und Schiffsladungen, wenn du weißt, was ich damit meine.“
Old O’Flynn wußte es. Erstens vermasselten ihm diese spanischen Affen das Geschäft, und zweitens bedeutete dieser Überfall auf Tortuga auch Gefahr für die Schlangen-Insel und Coral Island. Bei allem Zorn, der in ihm tobte, sagte er fast ruhig: „Wir müssen die Lage peilen, Leute.“ Er holte tief Luft. „Und ferner müssen wir den Dons in die Suppe spucken.“
„Geht klar, Old Donegal“, sagte Carberry und fing an, mit der linken Pranke die rechten Handknöchel zu streicheln. Das hörte sich hübsch an. Carberrys Pratzen waren hornhäutig. Es klang, als würde Eisen geraspelt.
Die Zwillinge hörten