Du wartest jede Stunde mit mir. Dietrich Bonhoeffer

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Du wartest jede Stunde mit mir - Dietrich Bonhoeffer


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hattest; und habe damals, glaube ich, wirklich selbstlos an Dich denken und an Deiner Trauer teilnehmen können. Liebste Maria, auch bei Dir geht der Glaube und das Vertrauen nur durch Widerstände hindurch. „Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens ist Freude“, dieser Vers des 30. Psalms ist mir seit einer Abendmahlsfeier besonders lieb. Auch Ihr werdet übermorgen so Eure Abendmahlsfeier halten. Später musst Du mir einmal viel von Vater und vom 22. August erzählen, wenn Du magst. Vielleicht schweigst Du auch lieber darüber. Über manches kann man nicht reden. –

      Ich sehe, dass der Bogen sich schon wieder zu seinem Ende neigt. Und wie wenig habe ich Dir sagen können von dem, was mich bewegt, wenn ich an Dich denke. Nun musst Du immer noch warten und ich kann Dir immer noch keine gewisse und frohe Nachricht geben. Dies ist sehr hart. Nachts, wenn die Sirenen gehen, bin ich froh, Dich nicht in Berlin zu wissen. Glaube übrigens bitte nicht, dass ich mich irgendwie beunruhige. Es ist merkwürdig, aber ich denke manchmal, ich bin vielleicht stumpf, dass ich mich so gar nicht aufregen kann. Wenn nur die Eltern bald aus Berlin heraus könnten; sie sind zwar auch bei Alarmen völlig ruhig, aber die gestörten Nächte sind doch sehr anstrengend. –

      Im letzten Paket war eine herrliche Erdbeermarmelade und Anisplätzchen. Stammen sie von Dir oder von der Großmutter? Wenn Du kannst, backe mir nur mal wieder etwas Schönes, nicht nur weil es gut schmeckt, sondern weil ich so gern dabei an Dich denke! Grüße die Mutter herzlich und dankbar. Leb wohl, Du liebe gute Maria, warte noch ein bisschen und dann wird es schön werden! Es wartet mit Dir

       immer Dein Dietrich

      Viele Grüße auch an die Großmutter! Mir fehlen richtig ihre Briefe!

       17. An Karl und Paula Bonhoeffer

      24. August 1943

       Liebe Eltern!

      Das war nun doch für Euch eine bewegte Nacht! Ich war sehr erleichtert, als mir der Hauptmann bestellen ließ, es sei bei Euch alles in Ordnung. Von meiner hochgelegenen Zelle und dem bei Alarmen vollständig heruntergelassenen Fenster aus sieht man das schauerliche Feuerwerk über der Stadt in südlicher Richtung sehr deutlich, und ohne das geringste Gefühl persönlicher Beunruhigung kommt einem in solchen Augenblicken doch der ganze Widersinn meiner gegenwärtigen Lage in ihrem untätigen Warten überwältigend stark zu Bewusstsein. Merkwürdig berührte mich dann heute früh die Losung der Brüdergemeinde: „Ich will Frieden geben eurem Lande, dass ihr schlafet und euch niemand schrecke.“

      Dummerweise bekam ich am Sonntag nachts einen Magen-Darm-Katarrh, hatte gestern Fieber (38°), das aber heute wieder herunter ist. Ich bin aber nur eben zum Briefschreiben aufgestanden und lege mich danach gleich wieder vorsichtshalber hin; ich möchte unter keinen Umständen krank werden. Da es hier für solche Fälle keine besondere Verpflegung gibt, bin ich sehr froh an Eurem Knäckebrot und einer seit Langem für solche Fälle aufgehobenen Leibnizkeksschachtel. Außerdem hat mir ein Sanitäter etwas von seinem Weißbrot abgegeben. So komme ich ganz gut durch. Man sollte wohl für alle Fälle immer etwas Derartiges hier haben, vielleicht auch ein kleines Tütchen Gries oder Flocken, die einem im Revier gekocht werden könnten. Bis Ihr den Brief kriegt, ist die Sache längst erledigt.

      Dir, liebe Mama, danke ich sehr für Deinen Brief vom 11., der gestern, am 23., ankam. Dass Ihr Euch mit Onkel Paul Hase mal eine solche Vorführung angesehen habt, ist ja vielleicht ganz gut. Er wird ja in solchen Tagen als Stadtkommandant auch alle Hände voll zu tun haben. Auch von Maria und meiner Schwiegermutter kamen gerade gestern, während ich zu Bett lag, Briefe. Das war besonders erfreulich. Dass Maria Dir, liebe Mama, ihre Hilfe angeboten hat, freut mich wirklich sehr. Ob Du sie hättest abschlagen sollen, kann ich von hier aus nicht entscheiden. Es ist so schwer, sich ganz in die Situation zu versetzen. Man versucht es zwar dauernd, aber es fehlt doch die Kenntnis der Einzelheiten.

      Ich habe in der letzten Woche wieder sehr gut arbeiten können und war gerade richtig im Zug, als diese dumme Unterbrechung kam. Nebenbei lese ich mit viel Freude die „Mikrobenjäger“, und da K. Friedrich sie schickt, nehme ich an, dass sie wissenschaftlich zuverlässig sind. Es ist doch ein sehr eindrucksvolles Stück Forschungsgeschichte. – So, nun fällt mir wirklich nichts mehr zum Schreiben ein, und ich werde mich wieder hinlegen. Darf ich nochmals um Briefumschläge bitten? Ich habe nur noch 3. – Bitte lasst Euch doch ja nicht durch den Brief beunruhigen. Ich wollte ihn nur nicht ausfallen lassen, wenn er auch etwas kürzer ist. Übermorgen bin ich bestimmt gesund. – Grüßt bitte nochmals beide Geburtstagskinder und sagt ihnen, wie sehr ich an sie denke und wie gern ich dabei wäre!

      Euch und die ganze Familie grüßt herzlich

       Euer dankbarer Dietrich

      Grüßt doch Christel besonders, sie tut mir in den Alarmnächten immer besonders leid, auch die Kinder. Maria hatte wieder ihre Migräne. Sie scheint ja bei ihr besonders scheußlich zu sein. Könnt Ihr ihr da irgendetwas raten?

       18. An Maria von Wedemeyer

      27. August 1943

       Meine liebste Maria!

      Wie soll ich Dir beschreiben, was Deine Besuche für mich bedeuten? Sie vertreiben jeden Schatten und jeden Kummer und sind tagelang eine Quelle großen und ruhigen Glücks – wenn Du wüsstest, was das für einen Gefangenen heißt, dann wüsstest Du auch, dass es Größeres nicht gibt. Dass ich mich in Gedanken an Dich nicht quälen muss, dass die Sehnsucht, bei Dir zu sein, nichts Aufreibendes zu haben braucht, sondern dass ich in ruhiger Zuversicht und Freude an Dich denken und mich nach Dir sehnen darf – das habe ich Dir und Deinem tapferen guten Herzen und Deiner Liebe zu danken. Dass Du Dir die Sprecherlaubnis zu so ungewöhnlicher Stunde um meinetwillen erbeten hast und erbitten durftest, dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Wenn ich nach unserem Zusammensein in meine Zelle komme, dann überwiegt nicht etwa, wie Du vielleicht denken könntest, das Gefühl der Verzweiflung über die Unfreiheit, sondern es überwältigt mich der Gedanke, dass Du mich genommen hast. Es hätte ja so viel so begreifliche Gründe gegeben, aus denen Du hättest Nein sagen können. Und gegen alle diese Gründe hast Du Ja gesagt, und ich darf spüren, dass Du es immer freier und gewisser sagst. Vor dieser Wirklichkeit versinken alle Fenstergitter. Dann bist Du bei mir; was geht mich die verschlossene Tür an? Als ich neulich in einer Lebensbeschreibung von L. Pasteur dessen Verlobungsgeschichte las, musste ich lächeln und etwas an mich denken. Er schrieb an seine künftige Braut: „Es gibt nichts an mir, was die Fantasie eines jungen Mädchens bezaubern könnte. Aber ich weiß, dass alle, die mich gut kennengelernt haben, mich geliebt haben“. Darauf nahm sie ihn. Auch ich kann auf nichts verweisen als auf eine Anzahl guter, treuer Freunde, die mich kennen und mir trotzdem treu geblieben sind und bleiben werden, und dass sich ihr Kreis auch in Eure engste Familie hinein erstreckt, wird wohl für Dich auch nicht ganz gleichgültig gewesen sein. Wenn bisher in Stunden unfruchtbarer Selbstkritik der Gedanke an die Treue und Liebe so vieler Freunde mir wieder Mut gegeben hat, so spüre ich nun mehr und mehr, wie mir durch Dich – dadurch, dass Du meine Frau werden willst – ein ganz neues Vertrauen zum Leben gegeben wird, und wenn ich Dich wieder eine Stunde gesehen habe, dann denke ich, dass dieses Vertrauen gar nicht mehr verloren gehen kann, und wie wird das erst sein, wenn wir ganz zusammen sind! –

      Dass Du mit Großmutter nicht ganz in der alten Harmonie lebst, tut mir eigentlich sehr leid. Das dürft Ihr mir beide nicht antun! Ich weiß, es handelt sich ja bei Euch immer nur um ganz kleine Schwingungsdifferenzen, aber ich möchte gern, dass Ihr ganz aufeinander eingestimmt seid, und eigentlich kann es zwischen Euch doch auch gar nicht anders sein. Die gute Großmutter tut mir mit ihrem – sicher viel zu großen – Kummer um meinen jetzigen Zustand so leid, und ich denke so oft und dankbar an sie. Was habe ich in Krössin für schöne Tage erlebt! Wir müssen unbedingt bald einmal zu ihr fahren. Ich freue mich immer wieder an dem Gedanken, dass sie uns ihre alten Trauringe schenken will. Weißt Du, die sind noch so hübsch altmodisch breit und dick und so ein schönes Gold. Ich habe ja noch auf einen besonderen Gegenstand ihres Hauses ein Auge geworfen. Den verrate ich aber noch nicht, und einstweilen bemühe ich mich, das 9. Gebot nicht


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