Du wartest jede Stunde mit mir. Dietrich Bonhoeffer

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Du wartest jede Stunde mit mir - Dietrich Bonhoeffer


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Stoß gegeben. Heute wurde rührenderweise eine warme Griessuppe und ein Rotweinsago für meinen Magen von zu Hause gebracht und nun ist alles wieder gut. Übrigens bin ich hier seit ein paar Tagen entschieden aufgerückt: Ich kriege zu jeder Mahlzeit Messer und Gabel geliefert! Ich hatte es fast verlernt, damit zu essen. Es ist sehr komisch, wie gleichgültig man gegen derartige Dinge ist – d. h. vielleicht nicht jeder. – Ich versuche nun, mir das Gewusel in Eurem Hause vorzustellen; es ist doch vielleicht sehr nett und wenn man sich nach Belieben retirieren kann, dann habe ich auch gar keine Angst davor. Ob die Verpflanzungen vielleicht aufs Große gesehen den Sinn der Städter für das Land etwas öffnen und damit eine hoffentlich einmal eintretende Rückwärtsbewegung aufs Land vorbereiten helfen? Was meinst Du? Das wäre in der Tat ein sehr großer Gewinn.

      Eigentlich sollte ich längst einmal der Mutter persönlich für ihre lieben Briefe gedankt haben, die mich immer so sehr erfreuen. Aber ich denke dann immer, dass die gute Mutter es versteht, wenn ich keine Gelegenheit vorbeigehen lassen möchte, Dir zu schreiben. So ist es doch, nicht wahr? Schreib es mir bitte mal! Grüße sie bitte herzlich und dankbar. – Die kleine Christine tut mir leid. Sie ist mir aus einigen Tagen bei der Großmutter in Stettin in eindrucksvoller Erinnerung. Grüße alle Geschwister.

       Dich, liebste Maria, umarmt Dein Dietrich

      Hab vielen Dank für alles Mitgebrachte und für den Kuchen, den Du der Mama gebacken hast.

       19. An Karl und Paula Bonhoeffer

      31. August 1943

       Liebe Eltern!

      Wie Ihr ja schon 2 Tage nach meinem vorigen Brief durch Maria, die mich ganz überraschend hier besuchen durfte, gehört habt, bin ich wieder ganz gesund. Aspirin gegen Fieber und Kohle gegen die entsprechenden Beschwerden sind für mich Allheilmittel, und mithilfe Eurer großen Thermosflaschen war ich kurz darauf wieder mobil. Nicht einmal die herrliche Leberwurst brauchte ich mir zu verkneifen. Habt vielen Dank für Eure Mühe. Mir ist jetzt hier sogar Weißbrot verschrieben worden, und ich bitte Dich, liebe Mama, Dir keins mehr für mich abzusparen!

      Marias Besuch hier war wunderschön, und ich habe mich so gefreut, dass sie hauptsächlich Euretwegen gekommen war. Schrecklich leid tut es mir, dass Renate in ihrer neuen Wohnung Bombenschaden hatte; auch für Ursel, die mit der Ausstattung so viel Mühe hatte, ist das scheußlich. Ich mache Renate nun den Vorschlag, sie soll sich auf meine Kosten 2 Zinnteller und 2 Zinnbecher zu kaufen versuchen; in dem Geschäft, in dem wir ihr zur Hochzeit die Zinnterrine besorgt haben, gibt es manchmal noch so etwas. Es würde mich sehr freuen, wenn es ihr gelänge, und dafür kriegt sie nichts von mir zum Geburtstag. Sie soll es also wirklich tun.

      Meine Überlegungen für Christophs Geburtstag, dem ich gern etwas Hübsches schenken würde, sind leider ganz unfruchtbar geblieben. Ob ihn „Du und das Wetter“ interessiert? Das steht unter meinen Büchern. Vielleicht ist auch in der Plahnschen Buchhandlung (Würdet Ihr dort bitte für mich das eben erschienene Buch „Das Zeitalter des Marius und Sulla“ im Dieterich-Verlag (16 RM) bestellen?) noch etwas für ihn aufzutreiben? Könntet Ihr dort mal anrufen? Die haben mich immer gut beliefert. Jedenfalls grüßt ihn doch sehr, und ich hoffe, dass wir das nächste Mal einen vergnügten Geburtstag miteinander feiern können. Diese Belastungsprobe für die Kinder ist wirklich sehr hart. Aber er ist ja schon erstaunlich vernünftig und weiß, was für eine Haltung er seinen Eltern schuldig ist. Inzwischen habt Ihr bei Schleichers Geburtstag gefeiert, und ich habe natürlich ganz besonders zu Euch hingedacht!

      In den letzten Tagen habe ich wieder gut arbeiten können und viel geschrieben. Wenn ich nach ein paar Stunden völliger Versenkung in den Stoff mich wieder in meiner Zelle vorfinde, dann brauche ich immer wieder erst einen Moment, um mich zu orientieren. Das Unwahrscheinliche meines gegenwärtigen Aufenthaltes ist doch immer noch nicht überwunden bei aller Gewöhnung an das Äußere. Ich finde es ganz interessant, diesen allmählichen Prozess der Gewöhnung und Anpassung an sich zu beobachten. Als ich vor 8 Tagen zum Essen Messer und Gabel bekam – das ist eine neue Einrichtung –, schien mir das fast überflüssig, so selbstverständlich war es mir geworden, mit dem Löffel das Brot zu streichen etc.

      Andrerseits glaube ich, dass man sich an etwas, was man als sinnwidrig empfindet, also z.B. den Zustand des Gefangenseins als solchen, überhaupt nicht oder doch nur sehr schwer gewöhnt. Da bedarf es immer noch eines bewussten Aktes, um sich zurechtzufinden. Wahrscheinlich gibt es darüber doch auch psychologische Arbeiten?

      Die Weltgeschichte von Delbrück liest sich sehr schön. Ich finde nur, dass es mehr eine deutsche Geschichte ist. Die „Mikrobenjäger“ habe ich mit sehr viel Freude zu Ende gelesen. Sonst habe ich mehreres von Storm gelesen, aber im Ganzen doch, ohne davon sehr beeindruckt zu sein. Ich hoffe, Ihr bringt mir noch Fontane oder Stifter.

      Leider dauern die Briefe jetzt immer so sehr lange, meist 10–12 Tage. Dafür, dass wir nur 10 km voneinander getrennt sind, scheint einem das etwas reichlich. Aber es ist trotzdem immer die größte Freude, einen Brief zu bekommen. Mir ist nun mitgeteilt worden, dass ich, da Dr. Roeder offenbar nicht in Berlin ist, meine Briefe an Maria über Eure Adresse schicken soll. Da muss sie sich also immer noch etwas länger gedulden. Das tut mir leid für sie. Aber ich hoffe ja nun doch, dass es nicht mehr allzu viele Briefe sein werden, die ich von hier aus schreiben muss. Ich finde, fünf Monate Warten und Ungewissheit sind genug, auch für Euch! Und der Sommer ist bald vorüber. Aber es gibt ja auch noch schöne September- und Oktobertage.

      Nun grüßt bitte alle Geschwister und Kinder sehr. Ich habe nun doch schon großes Verlangen, sie alle wiederzusehen. Vor allem bleibt bis dahin alle gesund!

      Es grüßt Euch von Herzen Euer dankbarer

       Dietrich

       20. An Karl und Paula Bonhoeffer

      5. September 1943

       Liebe Eltern!

      Von der vorletzten Nacht brauchen wir uns wohl gegenseitig nichts zu erzählen. Ich werde den Blick durch das Zellenfenster auf den grausigen Nachthimmel wohl nicht vergessen. Sehr froh war ich, schon am Morgen durch den Hauptmann zu hören, dass bei Euch alles gut gegangen ist. Dass Susi zum zweiten Mal Schaden hatte und nun ihre Wohnung räumen muss, tut mir sehr leid für sie. Sie hat auch einen Packen zu tragen. Wie gut, dass die Kinder nicht da waren! Dass Maria nicht in Berlin sein muss, ist mir eine ganz große Beruhigung. Aber wäre es nun nicht auch für Euch an der Zeit, wenigstens Euer Nachtquartier in Sakrow aufzuschlagen? Es ist merkwürdig, wie einen in solchen Nachtstunden ganz ausschließlich der Gedanke an diejenigen Menschen, ohne die man nicht leben möchte, bewegt und das Eigene völlig zurücktritt oder geradezu ausgelöscht ist. Man spürt dann erst, wie verwoben das eigene Leben mit dem Leben anderer Menschen ist, ja, wie das Zentrum des eigenen Lebens außerhalb seiner selbst liegt und wie wenig man ein Einzelner ist. Das „als wärs ein Stück von mir“ ist schon ganz richtig, und ich habe es bei Todesnachrichten von gefallenen Amtsbrüdern und Schülern oft empfunden. Ich glaube, das ist einfach eine Naturtatsache; das menschliche Leben greift weit über die eigene körperliche Existenz hinaus. Am stärksten empfindet das wahrscheinlich eine Mutter. – Darüber hinaus aber sind es zwei Worte der Bibel, in denen sich für mich immer wieder dieses Erlebnis zusammenfasst. Das eine aus Jeremia 45: „Siehe, was ich gebaut habe, das breche ich ab, und was ich gepflanzt habe, das reute ich aus und du begehrst dir große Dinge? Begehre es nicht! Aber deine Seele will ich dir zur Beute geben“, und das andre aus Psalm 60: „Gott, der du die Erde bewegt und zerrissen hast, heile ihre Brüche, die so zerschellt ist.“

      Nun möchte ich Euch und allen Beteiligten wieder sehr für das letzte Paket danken. Ich vergesse es nie und mache es mir täglich bewusst, wie viel Gedanken, Mühe und Verzicht so ein Paket immer mit sich bringt. Aber es ist gerade darum auch immer wieder nicht nur eine äußere, sondern auch eine große innere Hilfe. Dass die Schleichermädels mir wieder von ihrem bisschen Konfekt, das sie kriegen, geschickt haben, ist wirklich sehr nett von ihnen, aber ich denke, sie könnten es wirklich selbst sehr brauchen.


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