Du wartest jede Stunde mit mir. Dietrich Bonhoeffer

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Du wartest jede Stunde mit mir - Dietrich Bonhoeffer


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und Magen gelacht haben und dass ich nur bedauerte, Dir, Mama, nicht davon anbieten zu können!

      Nur um Euch auf dem Laufenden zu halten, nicht weil ich es für der Rede wert hielte, muss ich noch von meinem Hexenschuss berichten. Er ist nicht schlimm, aber dauert schon über 3 Wochen; das ist etwas lästig. Schuld ist wohl der Steinboden. Hier geschieht alles Erdenkliche, Lichtbäder, Fußbäder, aber nützen tut es gar nichts.

      Es ist nun 1/4 Jahr Haft herum. Ich erinnere mich, als Student in der Ethik bei Schlatter gehört zu haben, es gehöre zu den christlichen Staatsbürgerpflichten, eine Untersuchungshaft ruhig auf sich zu nehmen. Damals waren mir das leere Worte. Ich habe in den vergangenen Wochen manchmal daran gedacht; und nun wollen wir auch die Zeit, die uns noch auferlegt ist, ebenso ruhig und mit Geduld abwarten wie bisher. In Träumen bin ich mehr denn je schon wieder in Freiheit bei Euch.

      Ganz wunderschön waren die Feuerlilien, die Kelche öffnen sich morgens langsam und blühen nur einen Tag, am nächsten Morgen sind neue da, übermorgen werden die letzten geblüht haben.

      Eben komme ich von der Sprecherlaubnis. Das war doch wieder ganz wunderschön; ich bin sehr dankbar dafür. Besonders geht mir der Gedanke an Renate nach, Ihr habt doch mit den Schwestern schon so viel Erfahrung in diesen Zuständen, dass Ihr es ihr werdet erleichtern können; ich freue mich doch sehr; übrigens war Goethes Mutter knapp 18 Jahre, als er zur Welt kam. Grüßt sie doch besonders! Auch alle Geschwister und Kinder lasse ich sehr grüßen; ich glaube, es ist keiner, an den ich nicht alle Tage einmal dächte. Dass es der Großmutter wieder so gut geht, hat mich auch besonders gefreut zu hören. Wenn Ihr nun nur bald die Sorge loswürdet und reisen könntet! Das ist unaufhörlich mein Wunsch. Habt nochmals Dank für alles und nehmt viele Grüße von

       Eurem Dietrich

       9. An Karl und Paula Bonhoeffer

      24. Juli 1943

       Liebe Eltern!

      Nun seid Ihr gestern bei der Hitze selbst mit dem Paket hier gewesen! Hoffentlich hat es Euch nicht doch zu sehr angestrengt. Ich danke Euch sehr dafür und für alles Gebrachte! Die sommerlichen Erzeugnisse sind mir hier natürlich besonders willkommen. Nun sind also auch die Tomaten schon reif! In diesen Tagen spüre ich zum ersten Mal die Wärme; noch ist sie hier in der Zelle nicht lästig, besonders da ich mich ja wenig bewege. Aber das Verlangen nach frischer Luft wächst. Ich möchte mal wieder einen Abend im Garten erleben. Die halbe Stunde Spazierengehen am Tage ist zwar schön, aber doch zu wenig. Wahrscheinlich werden die verschiedenen Erkältungserscheinungen, Reißen, Schnupfen etc. erst weggehen, wenn ich wieder an die Luft komme. Eine große Freude sind mir immer die Blumen, die etwas Farbe und Leben in die graue Zelle bringen. Für Eure Briefe mit den Familiennachrichten danke ich Euch sehr. Hoffentlich haben es nun alle in ihren Ferien gut getroffen; denn es braucht sie doch jeder. Von Susi hatte ich wieder einen sehr netten Brief, über den ich mich sehr gefreut habe. Sie hat ganz recht, diese Zeit der Trennung macht es einem erst deutlich, dass man sich in normalen Zeiten oft zu wenig Mühe gibt zusammenzukommen. Gerade weil man es nicht für nötig hält, die selbstverständlichen geschwisterlichen Beziehungen eigens zu „pflegen“, kommt doch manches zu kurz; und das ist schade. Walter danke ich auch sehr für seine Karte, Susi noch besonders für das häufige Herbringen des Paketes, was für sie doch immer eine Strapaze ist. Aber bei aller Mühe, die Ihr mit den Paketen für mich habt, müsst Ihr doch wissen, dass ich jedes Stückchen mit sehr großer Dankbarkeit und auch mit wirklich gutem Appetit genieße und dass ich dadurch bisher gut bei Kräften geblieben bin. Ich richte mich auch immer so ein, dass ich gerade eine Woche damit reiche und so täglich eine hübsche Erinnerung und Stärkung habe. So fühle ich mich schon beim Frühstück umgeben von Euch allen, und das ist umso schöner, als gerade der Morgen für mich der innerlich am schwierigsten zu bewältigende Teil des Tages ist.

      Zwei schöne Briefe von Maria und einen von der Schwiegermutter – übrigens vom 27. VI.! Der ist wohl irgendwo liegen geblieben? – haben mir große Freude gemacht. Maria soll reiten, so viel sie will, ich freue mich darüber und beneide sie nur darum; da sie allerdings auf meinen Vorschlag, mir Reitstunden zu geben, nicht eingeht, nehme ich an, dass sie mich für einen hoffnungslosen Fall ansieht – aber vielleicht täuscht sie sich darin sogar!? Sollte sie jedoch meinen, Reiten schicke sich nicht für einen Pfarrer, so wäre ich darüber anderer Ansicht! Schön, dass ihr der Musikvorschlag einleuchtet. Wenn sie eine Gambe auftreiben könnte, wäre es herrlich. Beibringen kann man sich es zur Not selbst, Renates Mann ist darin ja groß. Aber ich hoffe ja, wir können es zusammen lernen. Dass Maria gegen den Willen des Arztes ihre Ruhezeit abbricht, kommt doch wohl ernstlich nicht infrage? Abgesehen von allem anderen braucht sie später auch als Pfarrfrau gesunde Füße und da wird es allerdings mit dem Reitpferd wohl nichts werden! Schön, dass sie viel zum Lesen kommt.

      Ich lebe mit meiner Lektüre ja jetzt ganz im 19. Jahrhundert. Gotthelf, Stifter, lmmermann, Fontane, Keller habe ich in diesen Monaten mit neuer Bewunderung gelesen. Eine Zeit, in der man ein so klares, einfaches Deutsch schreiben konnte, muss im Grunde eine sehr gesunde Substanz gehabt haben. Bei den zartesten Dingen wird man nicht sentimental, bei den kräftigsten nicht frivol, bei der Aussprache von Überzeugungen nicht pathetisch, keine übertriebene Simplifizierung und Komplizierung in Sprache und Gegenstand – kurz, das alles ist mir äußerst sympathisch und scheint mir sehr gesund zu sein. Aber es setzt wohl viel ernste Arbeit am deutschen Ausdruck und darum viel Stille voraus. Übrigens haben mich auch die letzten Reuters wieder sehr gefesselt und ich empfinde mit Freude und Erstaunen die innere Gleichgestimmtheit oft bis ins Sprachliche hinein; man fühlt sich doch oft einfach durch die Art und Weise, etwas auszudrücken, mit einem Verfasser verbunden oder von ihm getrennt.

      Besonders zu danken habe ich noch für die Versorgung mit Rauchwaren und allen freundlichen Spendern von Zigaretten!

      Wie geht es Renate? Grüßt sie doch sehr und ich lasse auch für ihre Grüße sehr danken.

      Von Mal zu Mal hoffe ich, dass es der letzte Brief aus dem Gefängnis ist, den ich Euch schreibe. Schließlich wird es ja auch mit jedem Tag wahrscheinlicher und allmählich kriegt man es hier ja auch satt. Ich würde es uns allen so wünschen, dass wir noch ein paar schöne Sommertage zusammen hätten.

      Hast Du, Papa, Dich eigentlich nun in dem „Film der Persönlichkeiten“ drehen lassen? Ich fände es ja doch ganz nett. Außerdem kriegt man auf die Weise doch sicher eine Reihe guter Fotografien von Dir heraus?

      Nun also noch mal vielen Dank für alles, was Ihr immerfort für mich tut. Viele Grüße an Maria, Mutter, Großmutter, auch an die neuen Schwäger und Schwägerinnen, natürlich auch an alle Geschwister und Kinder! Es grüßt in Liebe und Dankbarkeit

       Euer Dietrich

       10. An Karl und Paula Bonhoeffer

      30. Juli 1943

       Liebe Eltern!

      Bei der heutigen Besprechung im RKG [Reichskriegsgericht] hat mir Herr Dr. Roeder die Erlaubnis gegeben, an Euch und an Rüdiger Goltz wegen meiner Verteidigung zu schreiben. Da ich Rüdigers bayrische Adresse nicht genau weiß, wollte ich Euch bitten, Euch mit ihm in Verbindung zu setzen. Ob er selbst die Sache übernehmen kann, ist mir ja im Hinblick auf seine Beinverletzung, die, soviel ich weiß, wieder schlechter geworden ist, fraglich. Aber er wird sicher eine geeignete Persönlichkeit empfehlen können. Herr Dr. Roeder meinte, der Verteidiger würde einen Tag für die Akten, einen für Besprechung mit mir und einen für die Verhandlung brauchen, also 3 Tage. Das ist ja nicht sehr viel. Aber auch Du, Papa, kennst doch vermutlich viele Anwälte. Aus dem Lubbe-Prozess kennst Du doch sicher auch Dr. Sack. Aber es ist fraglich, ob so eine „Kanone“ sich einer für ihn so geringfügigen Sache richtig annimmt, außerdem soll er furchtbar teuer sein. Ich wollte nur daran erinnern und kann es gar nicht beurteilen. Ich denke mir einen ruhigen, erfahrenen, älteren, nicht kirchenpolitisch festgelegten Mann, zu dem man sachlich und menschlich Vertrauen haben kann. Ich selber kenne niemand, aber Ihr werdet schon das Richtige finden. Es wäre gut, wenn Ihr


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