Stein mit Hörnern. Liselotte Welskopf-Henrich
Читать онлайн книгу.im Hintergrund ablenken zu lassen.
Aber in seinem Inneren rauschte es von nervöser Unruhe.
Roger Barn kannte tolle Geschichten von Medizinmännern und Träumen; wenn er in dieses Fahrwasser kam, wurde die Unterhaltung flüssig.
»Übrigens ist an meinem Fenster auch einer gewesen, Sligh, oder ich will nicht Roger heißen. Es kann sich also nicht um Ihre Privatangelegenheiten handeln.«
Was Barn hier sagte, war Schwindel, ein Schwindel in guter Absicht, der Sligh auch sofort zu beruhigen schien. Doch verbreitete sich durch Mrs Carson in der folgenden Woche das Gerücht, dass in der Agentursiedlung nächtlicherweise Gespenster umgingen, und da es keine Gespenster gab, mussten es wohl Indianer sein. Richter Crazy Eagle sah sich veranlasst, nächtliche Streifen der Stammespolizei anzuordnen. Dabei wurde eine Katze erlegt.
Es war ein Abschluss in Heiterkeit, der jedoch das Gemüt von Roger Sligh nicht streicheln, nicht einmal streifen konnte. In jeder Minute, in der er nicht mit seiner Arbeit und seinen Patienten beschäftigt war, dachte er daran, wie sich das Geschwätz um seine Person weiterverbreitet hatte. Er misstraute Walker. Er misstraute Bighorn. Die Tatsache, dass es einen Menschen gab, der einen Zettel mit der Adresse von Roger Sligh verschluckt hatte, verursachte ihm wieder psychische Beengung. Er spielte mit den Namen Leonard Lee und Esmeralda O’Connor hin und her, verschaffte sich die Abschriften der Presseberichte über jene Prozesse, von denen Bighorn gesprochen hatte, und leckte an dem Klatsch über die Rauschgifthändlerin Esmeralda, obgleich ihm davon speiübel wurde.
Eines Sonntags in New City musste er sich beim Frühstück mit der zu nichts als einigen mäßigen Ausgaben verpflichtenden Dame deren phantasievolle Kombinationen anhören. Das dezent geschminkte Geschöpf vermutete, dass sich Elisha Field den Gangster Leonard Lee geholt habe, um sich gegen alle Störungen absichern zu lassen, und Esmeralda dem Geschäftsnachfolger Field alte Schmugglerwege wieder habe eröffnen sollen.
»Was für Störungen, was für Wege, Kitty?«
»Du bist verführerisch harmlos. Heroin steht doch auf der Liste. Im Grunde Unsinn. Man sollte es ebenso freigeben wie den Alkohol.«
Roger Sligh ließ den Verkehr mit dieser Dame langsam einschlafen. Der Empfangschef fand einen anderen Partner für sie, so dass sich der Übergang ohne Schwierigkeiten vollzog.
Vorladungen
Roger Sligh saß in seinem Schlafzimmer im Klubsessel. Es war drei Stunden nach Mitternacht. Er hatte die Stehlampe wieder angeschaltet. Vor ihm auf dem kleinen Tisch lag der Zettel: »Roger Sligh, M. D., Indian Hospital, 8 000,-.«
Er konnte das Papier vernichten. Was ging ihn sein eigener Name an! Und die lächerliche Summe. Aber leider hatte er Landis, Walker und Mrs Carson bereits wissen lassen, dass ihn der Zettel interessierte und verwunderte. Der junge und unangenehme Beamte Sidney Bighorn, vor nicht langer Zeit noch Ankläger am Stammesgericht, hatte von der Sache erfahren.
Sligh hatte auf dem Umweg über Dr. Miller, die Stationsschwester und die Patienten, die mit Joe King im gleichen Zimmer lagen, bereits erkundet, wie der Besuch Bighorns bei King verlaufen war. Sligh freute sich über diesen Verlauf. Dort wenigstens war von der verdächtigen Sache nicht die Rede gewesen.
Aber Roger Sligh hatte eine Vorladung der Polizeibehörden in New City erhalten.
Vernichtete er jetzt den Zettel?
Noch stand es ihm frei, das zu tun oder es nicht zu tun.
Wenn er das Papier vernichtete, verzichtete er selbst auf ein Beweisstück. Beweisstück wofür?
Wenn er es nicht vernichtete, konnte der Erpresser vielleicht gefasst werden. Vielleicht.
Der Verbrecher hatte sich schon lange nicht mehr gerührt. Wenn er gefasst wurde, sagte er möglicherweise aus …
Das konnte dem Burschen mehr schaden als Roger Sligh. Absolut gesehen, sicher. Relativ gesehen … Relativ gesehen war es für einen Chirurgen, der nach einer Kunstpause weiteren Ruhm erhoffte und höchstes Ansehen genießen wollte, nicht weniger bitter, in der Versenkung gesellschaftlicher Verachtung zu verschwinden, als es für einen Gauner bitter war, einige Zeit wieder einmal hinter schwedische Gardinen zu gehen.
Sligh spielte mit dem Zettel hin und her. Endlich legte er ihn in seinen großen Aschenbecher, zündete ihn mit seinem Feuerzeug an und verbrannte ihn. Er rauchte noch einige Zigaretten und mischte die Asche. Die Haushälterin würde darauf nicht aufmerksam werden. Er legte sich zu Bett, versuchte aber nicht zu schlafen, denn er wusste im Voraus, dass ein solcher Versuch aussichtslos sein würde. Er rauchte im Bett weiter und stand um sechs Uhr morgens auf.
Nach vier notwendigen Visiten, die ihm der Assistenzarzt nicht abnehmen konnte, fuhr er allein in seinem Privatwagen nach New City, um der Vorladung Folge zu leisten.
Sheriff Crawford empfing ihn.
Crawford erschien Sligh als ein in jeder Beziehung normaler Berufsmensch, nicht zu jung, nicht zu alt, vermutlich weder erschreckend intelligent noch dumm. Sechs Fuß groß, Langschädel, blond, Augen grau, gesunde Hautfarbe, besondere Kennzeichen: keine. Sligh fasste Vertrauen. Crawford schien ganz das zu sein, was der Arzt wenigstens zu scheinen wünschte: Mensch ohne Abweichungen.
»Was hatte es doch mit diesem Zettel auf sich, Dr. Sligh, der in den letzten Ausscheidungen des Patienten Joe King vor der Operation gefunden wurde?«
»Enthielt meinen Namen und die Angabe ›Indian Hospital‹ sowie die Zahl 8 000,-.«
»Weiter nichts?«
»Nichts.«
»Kannten Sie die Handschrift?«
»Nein.«
Sligh log. Er log aus Selbsterhaltungstrieb. Dabei war er sich bewusst, dass er künftig bei seiner Lüge bleiben musste.
Der Sheriff zog die Augenbrauen hoch.
»Nein? Kannten Sie die Handschrift nicht?«
»Nein.«
»Wie erklären Sie sich die Sache, Dr. Sligh?«
»Gar nicht.«
»Ist aber doch merkwürdig, diese Geschichte.«
»Ja, tatsächlich.«
»Was sagt denn King dazu?«
»Nichts.«
»Er muss doch eine Erklärung geben.«
»Warum muss er das? Er erinnert sich überhaupt an nichts, was zwischen dem Reservationsrodeo im Herbst vorigen Jahres und seiner Einlieferung in die Klinik Miller vor sich gegangen ist.«
»Auch nicht an seine Operation?«
»Nein.«
»Halten Sie das für menschenmöglich?«
»Bei der Art seiner Nervenverletzungen, ja. Nicht für unmöglich.«
»Hm.«
»Tja.«
»Können Sie mir den Zettel bitte vorlegen?«
»Ich besitze ihn nicht mehr.«
»Wieso nicht?«
»Ich habe ihn weggeworfen.«
»Mr Sligh!«
»Wie ich Ihnen sage.«
»Warum denn das?!«
»Warum denn nicht? Was soll ich mit meinem eigenen Namen und meiner Adresse? Völlig bedeutungslos.«
»Doch war die Art, wie Sie zu dem Zettel kamen, ungewöhnlich, und Sie selbst waren höchst erstaunt darüber.«
»Ganz natürlicherweise.«
»Und weiter?«
»Ich war sehr erstaunt, und damit hatte sich das auch.«
»Soll ich das glauben?«