Stein mit Hörnern. Liselotte Welskopf-Henrich
Читать онлайн книгу.Erika Cramer, an. Sie wurde auch hier in freundlicher Weise empfangen und konnte ihr Anliegen sogleich vorbringen.
»Ich habe eine Bitte, Mr Crazy Eagle. In den nächsten zehn Tagen bin ich in der Klinik. Auf der Ranch sind wir zu wenig Leute. Joe hat für zwei oder drei gearbeitet. Er ist nicht da. Robert ist ein tüchtiger Bursche, er wird schon mit den Büffeln fertig. Er sitzt im Gefängnis. Von der Schulranch wollen wir niemanden für unsere Arbeit heranziehen, sonst heißt es, wir nutzen die Schüler aus. Mary Booth ist Rancherin, Mutter und Mitglied des Stammesrats. Sie kann nicht unsere Ranch noch mit versorgen. Zwei Büffelkühe werden kalben, vielleicht eben jetzt in diesen Tagen. Dr. Eivie war nicht nur Menschenarzt, er war auch Tierarzt. Er hat uns immer geholfen. Aber Dr. Sligh versteht nichts von Rindern und Büffeln, und so sind wir auf uns allein angewiesen. Kann Robert ein paar Tage Urlaub erhalten? Wenn er anschließend seine Strafe weiter absitzt? Es sind noch fünf Tage Haft übrig. Ich brauche ihn aber jetzt, sofort, weil ich heute in die Klinik gehe.«
Crazy Eagle wartete lange mit der Antwort. Queenie konnte die Gedanken hinter den toten Augen nicht erkennen und wartete in verborgener Ungeduld. Endlich war der Stammesrichter entschlossen.
»Es gibt eine Möglichkeit, Mrs King. Aber sie hängt nicht nur von mir, sie hängt ebensowohl von Robert selbst ab. Er hat sich in den ersten Tagen gut geführt, obgleich er offenbar überhaupt nicht einsieht, warum und wofür er bestraft wird. Aber vorgestern hat es einen Zusammenstoß zwischen ihm und unserem kleinen Polizisten gegeben. Wenn ich streng verfahren wollte, müsste ich über Robert eine Zusatzstrafe verhängen. Ich habe das davon abhängig gemacht, ob er sich entschuldigt. Bis heute war er dazu nicht bereit. Ich kann seine Widerspenstigkeit nicht mit einem Hafturlaub beantworten, das sehen Sie ein, Mrs King. Ich könnte aber Ihrem Wunsch entgegenkommen, wenn Sie Robert dazu bringen, sich zu entschuldigen.«
»Was hat er angerichtet?«
»Er hat unseren Polizisten ein Dickhornschaf genannt.«
»Einen Freund von Bighorn?«
»So etwa ist es zu erklären.«
»Darf ich Robert sprechen?«
»Sie haben ein berechtigtes Interesse daran, ihn zu sprechen. Er ist Ihr Angestellter; ich werde ihn herbringen lassen. Vielleicht gelingt es Ihnen, zum Guten zu wirken.«
Queenie saß auf einem einfachen Stuhl. Die Lehne stützte ihren Rücken.
Als Robert gebracht wurde, schaute er sie mit Trauer und Fragen an. Der große Polizist stand neben ihm. Queenie erhob sich.
»Robert,«– Queenie Tashina benutzte jetzt die Stammessprache, während sie mit Crazy Eagle Englisch gesprochen hatte –, »Robert, es geht um die Büffel und um die Büffelkühe, die kalben werden, und darum, dass Mary nicht allein damit fertig wird. Joe hat die Büffel wieder auf unsere Prärie gebracht. Ich möchte ihm sagen können, dass alles gut damit geht. Aber ich muss jetzt in das Hospital, und dann ist überhaupt niemand mehr da, der den ganzen Tag über auf das Vieh und auf die Pferde achtet. So geht es nicht. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen. Ich muss dich bitten, dass du sagst, du habest den kleinen Polizisten zu unrecht ein Dickhornschaf genannt. Dann kannst du die Tage bei uns daheim sein, bis ich wiederkomme.«
Robert verzog das Gesicht und überlegte nicht weniger lange, als der Richter überlegt hatte. Er war ein prächtiger Bursche, groß und stark, mit offener Miene. Jedermann konnte darin lesen, wie schwer es ihm wurde, eine Unwahrheit zu sagen. Der kleine Polizist war ein Dickhornschaf. Das war noch das beste, was Robert glaubte von ihm sagen zu können. Vielleicht meinte er, dass man um der ganzen Wahrheit willen sogar noch viel Ärgeres über diesen kleinen Mann sagen müsse. Aber die Büffel … und Joe … und vor ihm stand Queenie mit durchsichtigen Wangen und flehenden Augen … Robert machte eine Bewegung, als ob er irgendeine Schlange abwürge.
»Also, er ist kein Dickhornschaf. Ich habe es zu unrecht gesagt. Wahrhaftig, ich habe es zu unrecht gesagt. Ich hätte es nicht sagen sollen.«
Queenie neigte den Kopf. Der Dank lag auf ihren Lippen, Robert atmete ihn ein, ohne dass sie ihn aussprach. Das Blut stieg ihm bis zu den Schläfen.
Erika Cramer nahm die entschuldigenden Worte zu Protokoll. Der große Polizist lächelte, verborgen, wie sein Dienst es ihm gebot.
Als die junge Frau in die Entbindungsanstalt aufgenommen worden war, erinnerte sie sich daran, dass sie drei Jahre zuvor in dem gleichen Raum gelegen hatte, ganz im Weißen; zwischen weißen Wänden, Türen und Fensterrahmen, im weißen Bett, vor einem noch unbekannten Erlebnis. Aber nun wusste sie schon, was kommen würde, und richtete sich darauf ein. Sie dachte an Joe, der auch in einem solchen Bett lag. Sie wollte ihm die Freude machen, das schönste und stärkste seiner Kinder zu gebären.
Im gleichen Raum lagen noch zwei Frauen, ältere Frauen. Die eine, Mrs Whirlwind, hoffte auf das zweite Kind. Es war ihr und ihrem Mann zu einsam daheim geworden, nachdem sie die Tochter Susanne in ein Schulinternat außerhalb der Reservation gegeben hatten. Die andere Frau, Florence Bighorn, erwartete das elfte Kind, die vierzehnte Geburt. Beide Frauen schauten mit Wohlwollen auf Queenie Tashina King. Sie freuten sich, dass es eine so schöne junge Indianerin gab. Margot Crazy Eagle, die gazellenäugige Schwester, kam zu den Frauen, von denen jede auf ihre Art Aufmerksamkeit anzog und beanspruchte. Oberarzt Barn machte seine Visite.
Queenie erinnerte sich an Piter Eivie, an sein freundliches, rundes Gesicht und an die Art und Weise, in der sie sich mit ihm über alles hatte aussprechen können, auch über die Frage, was ein Indianer in einer Klinik der weißen Geister fühlte und dachte. Aber mit Barn scherzte sie nur.
»Was soll es denn werden? Ein Junge?«
»Haben wir schon, Dr. Barn.«
»Ein Mädchen also?«
»Haben wir auch schon, Doktor.«
»Sie waren ja fleißig. Und was muss nun vermehrt werden? Bestand an Jungen? Bestand an Mädchen?«
»Die Frage ist noch nicht dringend, Doktor. Die stellen wir nach dem achten Kind.«
Queenie sagte es heiter, aber ihre eigenen Worte hatten für sie versteckte Spitzen und Stacheln, denn sie wusste nicht, ob sie je noch einmal ein Kind von Joe würde haben können.
»Die Indianer sterben nicht aus, das ist sicher. Und auch ein Glück. Was werden Sie denn als Nächstes malen?«
»Prärie.«
»Landschaft? Das wäre neu.«
»Für mich, ja, wäre es neu.«
»Und was reizt Sie daran?«
»Eben die Prärie.«
»Was ist daran zu sehen?«
»Nichts.«
»Und was reizt Sie daran?«
»Eben das Nichts.«
»Wenn Sie das Bild zustande bringen, denken Sie an mich?«
»Ich vergesse nicht, Sie darauf aufmerksam zu machen.«
»Ausgezeichnet.«
»Es könnte aber sein, dass mein einstiger Lehrer, James Clark, ein solches Bild als Beute haben möchte.«
»Beute?«
»Ja. Beute seines Sieges.«
»Sieges?«
»Über mich, seine Meisterschülerin.«
»Erklären Sie, bitte.«
»Clark ist für das Chaos, das Nichts – aus dem allein, wie er behauptet, das Werden kommen kann. Er wollte mich einmal lehren, das Nichts zu sehen.«
»Und jetzt haben Sie es entdeckt?«
»Ja.«
»In der Prärie?«
»Ja.«
»Sie haben nicht unrecht. Es ist ein schauderhaftes Nichts hier ringsum.«
»Nichts – köstlich und wunderbar,