Die Bande vom Vorwald. Siegfried Böck
Читать онлайн книгу.Triumphierende Katzenschreie ausstoßend, schraubt sich der Bussard immer höher in den blauen Himmel hinauf, nur noch von Edgar und Eddy mit wütendem Geschäcker verfolgt. Trotz wildem Flügelflattern sind die beiden aber bereits hoffnungslos abgehängt und der Abstand wird mit jedem Flügelschlag größer und größer. Schließlich geben sie die Verfolgung auf und kehren mit müden Flügelschlägen zu ihren Geschwistern zurück.
„Hiääh, hiääh, hiääh, hiääh!“
Mit der Erfahrung eines perfekten Segelfliegers lässt sich der Bussard von der Energie des Aufwindes immer höher tragen, bis er endlich, hoch über den Geschwistern, seine ruhigen Kreise zieht. Wohl wissend, dass ihm die schwarzweißen Quälgeister mit ihren kurzen Flügeln und ihrem unbeholfenen Flatterflug dorthin nicht mehr nachfolgen können.
Wahrscheinlich hat er den Zwischenfall auch schon wieder vergessen, denn Bussarde sind zwar geniale Segelflieger, aber, wie schon gesagt, nicht gerade Geistesriesen.
Auf dem Aussichtspunkt des Schlafbaumes, dort, wo normalerweise Eddy seinen Platz hat, sitzt eine etwas klein und schwächlich geratene Elster und beobachtet kopfschüttelnd das Spektakel.
Eine ungewöhnlich weiße Ringfärbung rund um beide Augen verleiht der Schwarzweißen das Aussehen eines Brillenträgers, was, zumindest bei einem menschlichen Beobachter, unweigerlich den Eindruck von überdurchschnittlicher Intelligenz und Gelehrsamkeit hervorruft, und dieser Eindruck täuscht in keiner Weise. Elbert Elster ist so umfassend gebildet, dass oft kein Schwarmfreund mehr versteht, wovon Elbert eigentlich schäckert, wenn er vergeblich versucht dem Schwarm die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Ausarbeitungen zu erläutern. Es geht dann meistens um so komische Sachen wie „Psychologischer Abbau von Flugangst bei Jungelstern“ oder „Wie können wir die Elsternwelt im Zuge der Wissenschaft verändern“. Woher er seine allumfassende wissenschaftliche Ausbildung bezogen hat, ist nicht bekannt und interessiert im Schwarm auch niemanden so wirklich.
Bedächtig kratzt Elbert Elster, der große Universalgelehrte, sich am Kopf und schäckert leise vor sich hin. „Täk, täk, was ich da so mit wissenschaftlichem Interesse verfolge, untermauert meine These bezüglich des recht bescheidenen geistigen Entwicklungsstandes der braunen Einfaltspinsel, täk, täk. Gute Segler, aber alles andere als Gehirnakrobaten, täk, täk.“
Elbert macht eine kleine Pause und verfolgt jetzt mit schief gelegtem Kopf interessiert den Heimflug der deutlich erschöpften und überhitzten Schwarmfreunde.
„Täk, täk, allerdings scheint das Geistesniveau einiger Artgenossen auch nicht wesentlich höher zu liegen. Rohe Gewalt statt geistiger Analyse und das noch bei dieser Hitze, täk, täk, das zeugt bestimmt auch nicht von überragender Intelligenz, täk, täk.“
Damit lässt Elbert es vorerst gut sein. Er schwingt sich energisch von seinem Ausguck, um den angeschlagenen Helden entgegenzufliegen und ihnen mit wissenschaftlichen Ratschlägen zur Seite zu stehen, ob sie diese nun hören wollen oder nicht.
Emil Elsters Leidenschaft
Nach diesem kurzen Ausflug zum Elster-Teenager-Schlafbaum oder besser zum Schlafbaum der Vorwaldbande, kehren wir zur mächtigen, allein stehenden Kiefer zurück, wo der Alltag in seinem gewohnten Gang verläuft.
Neue Bewohner kommen, andere ziehen wieder aus. Nester werden gebaut und wieder verlassen, denn Nestbauer wie Gildo und Gerlinde Grünkern, das Grünfinkenpaar, oder Buchhart und Berta Samenknacker, die Buchfinken, wohnen nur für die Zeit der Kinderaufzucht im Hochhaus der Kiefer. Sind die Kleinen aus dem Haus, packen auch die Eltern ihre Sachen und ziehen weg. Vielleicht werden wir die eine oder andere Familie irgendwann mal näher kennenlernen. Ansonsten sind die Bewohner genug damit beschäftigt, die Kinder zu versorgen, Lebensmittel zu beschaffen, sauber zu machen und mit allem anderen, das der Alltag eben so mit sich bringt. Man wohnt nebeneinander in guter Nachbarschaft und respektiert sich gegenseitig, sodass es nur selten Streitereien zwischen den doch so verschiedenen Gemeinschaften gibt. Alles in allem, es lässt sich wirklich gut leben in der Hochhaussiedlung der mächtigen, allein stehenden Kiefer.
Es hätte eigentlich immer so weitergehen können, wenn Emil Elster nicht dieses eine Hobby hätte. Er sammelt nämlich mit Leidenschaft kleine glänzende Gegenstände und hat davon auch schon eine schöne Sammlung zusammengetragen. Diese kostbare Kleinteile-Ausstellung besteht aus verschiedenen Sorten von Aluminiumfolien, glänzenden Kartoffelchipstüten, aus ein paar Metallscheiben, Nägeln und Schrauben und als Hauptattraktion aus einem wunderschön silberglänzenden Kugelschreiber. Gerade auf dieses Prachtstück ist der Sammler natürlich zu Recht sehr stolz. Die Sammlung wird dann auch jedem, der sie sehen will (oder auch nicht sehen will), mit viel Fachwissen und noch mehr wichtigem Geschäckere vorgeführt.
Jetzt ist es aber so, dass ein echter Sammler nie genug von seinen Schätzen bekommen kann und deshalb sehr viel tut und wagt, um in den Besitz von noch schöneren und noch selteneren glitzernden Dingen zu kommen.
Wer so einer Sammelleidenschaft verfallen ist, der darf sich dann auch nicht wundern, wenn es dabei immer wieder zu aufregenden und vielleicht auch gefährlichen Abenteuern kommt.
Und damit beginnt, wenn man so will, das eigentliche Abenteuer.
Diebstahl im Wald
Es verspricht ein wunderschöner Sommertag zu werden, als der alte Forstmeister Sägebrecht, frühmorgens um halb sieben, in seinen Geländewagen steigt und sich zur Arbeit in seinen Wald aufmacht.
Die Sonne scheint schon kräftig von einem sattblauen Himmel und dieses Blau wird heute Morgen von keinem noch so kleinen Wölkchen getrübt. Im Autoradio verkündet der Wetterfrosch, dass das Wetter auch in den nächsten Tagen warm und niederschlagsfrei bleiben wird. Es ist also ein perfekter Morgen und nichts deutet darauf hin, dass der Tag weniger perfekt verlaufen könnte.
Langsam rumpelt der Wagen den Feldweg Nummer 3 entlang in Richtung Stadtwald. Am Steuer sitzt ein bestens gelaunter Forstmeister, der die Dauer der Fahrt nutzt, um sich noch ein paar Gedanken über den Ablauf des anstehenden Arbeitstages zu machen. Wie es sich für seinen Berufsstand so gehört, ist er ganz in Grün gekleidet, also grüne Hose, grünes Hemd und darüber noch eine grüne Lodenjacke mit großen Taschen. Neben ihm auf dem Beifahrersitz liegt zudem noch ein großer Försterrucksack, natürlich ebenfalls in Grün. In einer der Jackentaschen befindet sich selbstverständlich seine gut gefüllte Schnupftabakdose, denn ohne seinen geliebten Schnupftabak macht unser guter Forstmeister keinen Schritt aus dem Haus.
Habe ich ihn auch wirklich eingesteckt?
Seine rechte Hand löst sich vom Steuerrad und betastet die besagte Tasche. Erst als er die Konturen der Dose spürt, greift er wieder beruhigt zum Lenkrad und widmet sich weiter seiner Arbeitsplanung.
Da wäre die morsche Fichte im Nadelholzforst, die dringend gefällt werden muss. Diese anstrengende Arbeit will Forstmeister Sägebrecht möglichst noch in den kühleren Morgenstunden angehen. Später wird er den Baum noch entasten und den Stamm in grobe Klötze zersägen. Morgen Früh soll dann der junge Forstanwärter Horst Förster das ganze Zeug mit dem Ladewagen abholen. Übrigens: Der junge Forstanwärter heißt wirklich Förster und es hat wohl mit seinem Nachnamen zu tun, dass er seit seiner Kindheit davon träumt, nicht nur Förster zu heißen, sondern auch Förster zu werden.
Mittlerweile hat der Geländewagen den Feldweg Nummer 3 verlassen und ist auf einen unbefestigten Forstweg abgebogen. Der Weg führt zuerst durch einen Mischwald, dann wird die Lichtung Tannengrün durchquert und nach weiteren 500 Metern Holperstrecke hat der Forstmeister sein Ziel erreicht. Da hinten, im Nadelwaldstück, steht die Fichte. Es war einmal ein recht stattlicher Baum, aber die dürren Äste, die nur noch an wenigen Stellen mit braunen Nadeln bestückt sind, zeugen von seinem schlechten Zustand. So schlecht, dass der Forstmeister ihn bereits letzte Woche mit einem roten Farbkreis zum Fällen markiert hat.
Für einen erfahrenen Forstmeister sind solche Arbeiten nichts Besonderes, aber manchmal gibt es Tage, an denen nicht einmal die alltäglichsten Tätigkeiten gelingen wollen. Noch