Die Bande vom Vorwald. Siegfried Böck

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Die Bande vom Vorwald - Siegfried Böck


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in seinen Besitz zu bringen. Eilig breitet er die Schwingen aus und lässt sich wie ein Stein in die Tiefe fallen, vom betörenden Glanz des Schatzes magisch angezogen.

      Die Landung auf der Rucksackspitze erfolgt weniger magisch und schon gar nicht elegant, denn der labbrige Stoff bietet kaum feste Standfläche. Nur mit viel Geflatter schafft es Emil, sich so auszubalancieren, dass er nicht sofort wieder herunterfällt. Schwer atmend thront er auf der Rucksackspitze und schielt verlangend nach der offenen Seitentasche, die das Objekt seiner Begierde enthält. Der Schatz ist zum Greifen nah. Emil verharrt noch einen kurzen Flügelschlag lang, um den Anblick aus dieser Nähe zu genießen. Wie er doch glitzert und leuchtet. Dann bückt er sich vorsichtig, öffnet den Schnabel und umfasst blitzschnell, aber doch mit viel Gefühl, den wunderbaren Schatz. Wie gut sich das doch anfühlt. Gerade will Emil den Schatz aus der Tasche ziehen und somit endgültig in seinen Besitz bringen, da verdunkelt sich der Himmel über ihm.

      Ein heftiger Stoß in die Seite nimmt ihm den Atem und wirft ihn hochkant vom Rucksack herunter. Der Angriff kam so überraschend, dass er vergisst die Flügel zu benützen, um den Sturz abzumildern. Hart schlägt Emil auf dem Boden auf, kommt aber strampelnd und flatternd sofort wieder auf die Füße. Erst jetzt erkennt er den heimtückischen Angreifer, der, höhnisch krächzend, seinen Platz auf der Rucksackspitze eingenommen hat. Es ist ein großer, schwarzer Vogel, ein Schwarzbefrackter von der allerschlimmsten Sorte. Es ist Korax Krähe, geistig nicht der Hellste, aber ein übler Rabauke und Elsternhasser. Das Schlimmste aber ist, dass diese Dummkrähe seinen kostbaren Schatz im Schnabel hat. Sorgfältig legt Korax den Schatz vor sich auf den Rucksackstoff und hält ihn mit dem rechten Krallenfuß fest. Dann plustert er sich mächtig auf.

      „Kraab, kraaab, Emil, mach mal den Flattermann, aber im Schnellflug! Ich habe Hunger und in solchem glänzenden Plunder steckt immer was zu essen. Also verschwinde, wenn dir deine albernen schwarzweißen Federn lieb sind, kraaab, kraaab!“

      Schon beginnt Korax Krähe den silbernen Schatz mit dem Schnabel zu bearbeiten, um an die erhoffte Mahlzeit zu kommen. Emil kocht vor Wut über diese unfassbare Unkultiviertheit. Der rüpelhafte Schwarzbefrackte ist größer und stärker als er, aber das ist ihm in diesem Moment vollkommen egal. Mit wildem Geschäcker flattert er senkrecht in die Höhe.

      Oben angekommen, legt er die Flügel an und stürzt sich mit vollem Schwung auf den verdutzten Schwarzbefrackten herab, der nicht mit Gegenwehr gerechnet hat. Emil hat Glück und sein zuschlagender Flügel trifft den stärkeren Widersacher so hart, dass dieser den Schatz loslässt und flügelschlagend um sein Gleichgewicht ringt. Wieder steigt Emil steil nach oben, will jetzt den wütend krächzenden Schwarzbefrackten endgültig von seinem Sockel stoßen. Doch der ist dieses Mal besser vorbereitet. Bevor Emil ihn erreichen kann, schnappt er sich den Schatz mit dem Schnabel und flattert vom Rucksack herunter, um den Gegner auf hartem Boden zu erwarten. Dort wird der ungeliebte Verwandte keine Chance gegen ihn haben. Unten angekommen, macht er sich bereit und faucht dem anfliegenden Emil drohend entgegen.

      „Kraaab, kraaab, komm nur her, Emil! Ich werde dir alle weißen Federn ausreißen, damit du endlich mal aussiehst wie ein anständiger Rabenvogel, kraaab, kraaab!“

      Emil landet ein paar Elsternlängen entfernt von der Krähe, die den Schatz provozierend vor sich auf den Boden gelegt hat, so nah, aber doch unerreichbar für Emil. Mit gesträubtem Gefieder belauern sich die beiden Kontrahenten.

      „Tschäck, tschäck, Korax, du Dumpfkrähe, das glänzende Ding kann nicht mal von deinem verfressenen Krähenmagen verdaut werden, also gib es mir zurück, bevor du dich daran verschluckst, tschäck, tschäck!“

      Emils Gezeter geht vollkommen ins Leere. Im Bewusstsein seiner körperlichen Überlegenheit, tut der Schwarzbefrackte jetzt so, als würde er die lästige Elster gar nicht mehr bemerken. Emil muss ohnmächtig mit anschauen, wie der Schwarzbefrackte ihn mit Missachtung straft und betont gelangweilt auf dem wertvollen Schatz herumknabbert.

      Was Emil dabei nicht sieht, ist der kleine Riss, der sich plötzlich in der Folie auftut – bei der groben Behandlung ja kein Wunder. Es ist nur ein winziger Riss, aber doch groß genug, um etlichen freiheitsliebenden Schnupftabakkrümeln die Flucht aus ihrem Foliengefängnis zu ermöglichen, was diese auch sofort tun. Weit kommen die winzigen Ausbrecher allerdings nicht, denn ihre Flucht endet erst einmal im Inneren des Krähenschnabels. Einige Krümel verbleiben im Schnabel, andere werden jedoch durch die hektischen Kau- und Schluckbewegungen der Krähe weiter und weiter nach hinten transportiert, bis sie in eine steile Rutschröhre geraten, die geradewegs ins Kräheninnere hinabführt. In dieser Röhre krallen sie sich erst einmal fest und beginnen sofort mit ihrer teuflisch quälerischen Tätigkeit.

      „Tschäääck, tschääääck, Korax, lass das, du Oberdummkrähe, du machst alles kaputt, tschääck, tschääck!“

      Emil ist außer sich und will sich, kreischend vor Wut, auf den stärkeren Gegner stürzen – da lässt der Schwarzbefrackte den glänzenden Schatz plötzlich fallen und fängt an ganz komisch mit den Augen zu rollen. Gleichzeitig reißt er den Schnabel weit auf, so weit, dass Emil tief in den roten Rachen hineinblicken kann. Dann folgt ein abgehacktes Japsen und Keuchen, als ob die Krähe um jedes Quäntchen Atemluft kämpfen müsste.

      Emil stoppt seinen tollkühnen Angriff und beobachtet misstrauisch den auf einmal so veränderten Erzfeind. Ist der Schwarzbefrackte krank geworden oder einfach nur übergeschnappt vor lauter Fressgier? Auf jeden Fall scheint er keine Lust mehr auf Streitigkeiten zu haben.

      Plötzlich fällt Emil auf, dass der kreischende Lärm der Motorsäge verstummt ist. Bei allen Krähen, der grüne Mann könnte jetzt jeden Flügelschlag zurückkommen und ihn verjagen, noch bevor er den Schatz an sich gebracht hat.

      Jetzt oder nie, fährt es Emil durch den Kopf.

      Vorsichtig nähert er sich dem röchelnden Schwarzbefrackten, denn man kann ja nie wissen. Der Schatz liegt genau zwischen den Krallenfüßen der Krähe und unter normalen Umständen wäre es unmöglich gewesen, ihn von dort einfach so herauszupicken. Nicht aber jetzt. Kein peitschender Flügelschlag und kein Schnabelhieb treffen ihn, als er sich das schon etwas lädierte Schmuckstück schnappt und sofort einen Riesenhüpfer rückwärts antritt. Korax Krähe sitzt da wie eine Statue und würgt sich die schwarze Krähenseele aus dem Leib. Da kann Emil es sich nicht verkneifen, noch einmal hinzutrippeln und der wehrlosen Krähe einen kräftigen Schnabelhieb zu verpassen. Amüsiert betrachtet er, wie die Krähenaugen vor ohnmächtigem Zorn aufblitzen.

      Aber gerade, als er noch einmal zustoßen will, ertönt, polternd und furchtbar wütend, die Stimme des grünen Mannes: „Ja, was ist denn hier los! Euch zwei hinterlistige Strauchdiebe soll doch gleich der Habicht holen. Mein guter Schnupftabak, lass ihn sofort fallen, du diebische Elster!“

      Von wegen fallen lassen. Aus den Augenwinkeln beobachtet Emil, wie der grüne Mann mit langen Schritten rasch näher kommt, was ihn aber nicht weiter beeindruckt, denn grüne Männer können zwar Bäume zerlegen, aber nicht fliegen. Ein kurzer Hüpfer, ein paar kräftige Flügelschläge und Emil und sein glänzender Schatz sind hoch in der Luft – unerreichbar für den tobenden grünen Mann. Von oben kann er sehen, wie auch der Schwarzbefrackte schwerfällig abhebt und sich kläglich krächzend davonmacht. An dieser Niederlage wird die Dumpfkrähe noch lange zu knabbern haben.

      Im Grunde genommen ist das Emil aber so was von egal, denn das Gefühl, allen Gefahren entronnen zu sein und dazu noch einen wertvollen Schatz erbeutet zu haben, überwiegt bei Weitem den Triumph über die gedemütigte Krähe. Am liebsten würde er vor Freude singen und jubilieren, aber leider ist er kein sehr begabter Sänger und außerdem hat er ja den glänzenden Schatz im Schnabel. Also lässt er es lieber bleiben. Glücklich steigt er höher und höher, um dann, ganz weit oben, seinen Flugweg in Richtung Elsternburg einzuschlagen.

      Zurück bleibt ein wütender Forstmeister Sägebrecht und dieser Forstmeister schimpft und poltert in einem fort, dass die Fetzen fliegen.

      „Solche Spitzbuben, die Elster soll an meinem guten Schnupftabak ersticken! Das darf doch nicht wahr sein, so eine Gemeinheit, so eine – so eine Frechheit habe ich noch nie erlebt! Wehe, wenn ich die beiden erwische, ich drehe ihnen die diebischen Hälse um!“


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