Alle hören auf »Daffy«, nur Daffy nicht. Jennifer Mai
Читать онлайн книгу.es ist etwas ganz anderes, keine Ahnung. Jedenfalls kann Gin nicht hierbleiben.“
Sie nickte und meinte, ich wäre wohl zu unsicher gewesen und sie würde es gern in drei Jahren noch einmal mit mir probieren. Frustriert schleppte ich Gins Bett zum Auto. Zum Abschied bellte sie mich noch einmal aus dem Auto heraus an. Die Trainerin lachte nur und sagte: „Jetzt bellt sie ja wieder.“
Ich war am Boden zerstört. Alles hätte so schön sein können. Musste ich wirklich drei Jahre lang warten, bis ich einen erneuten Versuch starten konnte? Würde ich überhaupt jemals so weit sein und den richtigen Hund finden?
Wie sollte es nun weitergehen? Ich durchsuchte das Internet nach Führhundschulen. Davon gibt es gefühlt tausend in Deutschland. Das Problem bei dieser Art von Dienstleistung ist, dass jeder, der möchte, eine solche Schule aufmachen kann und dass es nur sehr wenig Statuten und kaum einheitliche Richtlinien gibt. Jede Schule kocht ihr eigenes Süppchen und wir Interessenten können nichts anderes tun, als die Spreu vom Weizen zu trennen. Wahrscheinlich sind von einhundert Schulen sechsundneunzig ein Griff ins Klo.
Die Suche nach der perfekten Schule stellte sich als genauso schwierig heraus wie die Suche nach dem Mann fürs Leben oder einem geeigneten Katzenstreu. Zusammen mit meiner Mutter besuchte ich im August eine weitere Schule in der Nähe unseres Wohnortes in Niedersachsen. Alles klang toll und wieder einmal sehr vielversprechend. Ich betonte, dass ich den Welpen, der für mich in Frage kam, gern schon kennenlernen würde, um später nicht einem völlig fremden Hund ausgeliefert zu sein. Die Idee fand Anklang, ebenso wie mein Wunsch nach einem weißen Königspudel. Im Nachhinein entpuppten sich meine Wünsche als äußerst dämlich. Was, wenn der heute so süße Welpe sich aus irgendeinem Grund nicht zur Ausbildung eignete?
Ich war mir nicht sicher, was ich tun sollte, klang doch alles fast schon zu perfekt. Zu Hause googelte ich den Namen des Trainers, und was ich herausfand, war ernüchternd. Er hatte in der Vergangenheit Polizeihunde ausgebildet. Ich las mehrere Erfahrungsberichte von Hundehaltern, die mit dem Trainer dieser Schule in anderen Kontexten zusammenarbeiteten, und immer wieder tauchten die Worte „Unterwerfung“, „Gewalt“ und „Angst“ auf. Von ihm ausgebildete Führhunde hatten wieder aus dem Dienst genommen werden müssen, da sie erhebliche Mängel in der Führarbeit, im Verhalten oder in anderen Eigenschaften aufwiesen.
Nun ging das Theater los! Ich wurde von der Schule des Trainers mit Anrufen bombardiert, sodass ich bei meinem Mobilfunkanbieter anrief, um mir eine neue Nummer geben zu lassen. Unerklärlicherweise erhielt ich daraufhin Mails von der Schule, obwohl diese nicht im Besitz meiner E-Mail-Adresse sein konnte. Eine entfernte Freundin, die wir von den Heimspielen des VfL Wolfsburg her kennen, rief meine Mutter an und teilte ihr aufgeregt mit, dass sich eine Blindenführhundschule bei ihr gemeldet und nach meiner Telefonnummer gefragt habe. Voll der Psychoterror!
Ich beschloss, mir noch eine einzige verdammte Schule anzusehen, und zwar – welche auch sonst? – die Stiftung aus Berlin. Nun also doch! Blöde Stiftung! Aber was soll ich sagen … Ich hatte mich auch mehrere Jahre lang gegen die Känguru-Chroniken oder gegen Game of Thrones gewehrt und war am Ende vollkommen hin und weg gewesen.
Am 2. November 2012 kam ich am Berliner Hauptbahnhof an und wurde von einer Trainerin und ihrem Auszubildenden begrüßt. „Hallo, ich bin Antoine“, sprach es aus der Nähe meines Bauchnabels zu mir. Mein Gott! Haben wir Deutschen auch so schrecklich typische Namen?
Auf dem Weg zur Schule, der sich etwas verlängerte, da das Berliner S-Bahnnetz wohl auch für Einheimische eine gewisse Herausforderung darstellte, gurkten wir, während ich mit der Trainerin über den Besuch von Martin Rütter plauderte, erst einmal eine halbe Stunde in die entgegengesetzte Richtung, bis einem meiner beiden Begleiter der Irrtum auffiel. Ich konnte mir Kommentare über die Mobilität und ihren Orientierungssinn nicht verkneifen. Als wir endlich ankamen, setzten wir uns bei Kaffee und Keksen zu sechs oder sieben Trainern an den Tisch und ich erzählte von meinen Abenteuern mit den bisher kennengelernten Schulen. Sie hörten aufmerksam zu und schienen keineswegs überrascht.
Die Schule verfügte über eine eigene Zucht, womit die Herkunft der Hunde von Anfang an klar war. Sobald der passende Hund für mich gefunden worden sei, sollte ich für drei Tage in die Schule kommen, damit wir einander kennenlernen. Der erste Teil der Einarbeitung würde in Berlin stattfinden, damit die gewohnten Wege des Hundes dazu genutzt werden konnten, dass ich mich dessen Führung anvertrauen sollte. Das klang gut. Ich erinnerte mich an die Einarbeitung mit Gin, die mich fürchterlich gestresst hatte, weil auf einmal Hund und Haushalt gleichzeitig zu führen waren. Die Warteliste, so hieß es, sei allerdings derart lang, dass es gut und gerne zwei Jahre dauern würde, bis ich einen Hund bekäme. Auch dies sprach in meinen Augen für die Qualität dieser Schule. Es folgte ein Gang durch das Haus mit seinen Gästezimmern, den drei Wurfräumen für Mutter und Welpen, dem paradiesischen Garten, in welchem es so viel Spannendes für kleine Hunde zu entdecken gab, dass ich selbst gerne mit den Welpen ins Bällebad gehüpft wäre, den wackelnden Halbkreis zur Förderung der Balance ausprobiert hätte, über Baumstämme und Sandhaufen gekugelt wäre und vieles mehr. Zu meinem Glück waren gerade Welpen da, von denen mir einer zur Begrüßung voller Inbrunst in die Nase biss. Herr Geiger, der Chef der Schule, grinste und erklärte: „Wir machen Taschenkontrolle, bevor Sie gehen.“ So ein Mist! Konnte der Kerl Gedanken lesen?
Das Kennenlernen
An einem Montagmorgen im November 2014 nimmt also das Übel seinen Lauf. Nach dem Desaster mit Gin und der anderen Schule habe ich überhaupt nicht mehr an einen Hund gedacht. Nach meinem Bachelorabschluss bin ich nach Göttingen gezogen, um dort Psychologie dranzuhängen. Ein wahrer Kulturschock – vom bezaubernden großen Hamburg ins kleine überfüllte Göttingen.
Ich müsste bereits in der Uni sein, werde aber durch einen Telefonanruf aus dem Schlaf gerissen. „Wer wagt es …“, grummele ich. Als ich dann mitkriege, wer mich da anruft, bin ich hellwach und überlege, ob ich das Gespräch annehmen soll. Es ist die Stiftung aus Berlin. Mit rasendem Herzklopfen gehe ich ran. „Hallo, Frau Mai, hier ist die Stiftung. Wir hätten einen Hund für Sie. Wann könnten Sie denn zum Kennenlernen kommen?“, sprudelt es mir entgegen. Voller Tatendrang und guter Laune, und das am frühen Morgen.
„Ach du Scheiße!“, rutscht es mir heraus, noch bevor ich es verhindern kann. Ich schiebe das Problem erst mal weg, indem ich darum bitte, in einer Stunde zurückrufen zu dürfen. Oh Gott, Ein Hund? Jetzt?
Dann gehe ich in mich. Bin ich tatsächlich bereit, das ganze Theater noch einmal mitzumachen? Ich brauche eine ganze Weile, bis ich zu einem Ergebnis komme. Und mir ist klar: Wenn ich jetzt zu Hause anrufe und die Neuigkeit verkünde, komme ich da eh nicht mehr raus.
Und so ist es auch. Meine Mutter rastet aus vor Freude. „Natürlich nimmst du den Hund, das ist doch überhaupt keine Frage!“
„Aber ich bin doch gerade erst nach Göttingen gezogen“, gebe ich zu bedenken. „Alles ist so neu für mich. Und überhaupt …“
„Stell dich nicht so an!“, kontert meine Mutter.
Nach einer Stunde rufe ich zurück. „Okay, ich komme. Wann muss ich mit der Einarbeitung rechnen?“, frage ich. Hier geht es um drei Wochen am Stück.
„Anfang Januar.“
„Nein, stopp! Das geht nicht … Ich habe gerade mit Psychologie angefangen und muss in diesem Semester sieben Klausuren schreiben. Weil die alle im Februar sind, kann ich vorher keinen Hund gebrauchen. Ab März habe ich Semesterferien, vorher geht nichts.“
Betretenes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann die Antwort: „Ich bespreche das mit dem Chef und melde mich in den nächsten Tagen bei Ihnen.“
Ich bin mir schon fast sicher, dass sich das Projekt „Hund“ noch etwas hinauszögern wird. Schließlich gibt es genügend Interessenten, wieso sollten sie denn gerade auf mich warten? Doch ein kleiner Teil von mir ist schon irgendwie traurig.
Sie warten! Sie warten! Sie warten! Ich kann mein Glück kaum fassen. Die Vorstellung beängstigt mich zwar sehr, zumal ich mein eigenes Leben gerade mal halbwegs auf die Reihe bekomme. Kann ich einem