Alle hören auf »Daffy«, nur Daffy nicht. Jennifer Mai

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Alle hören auf »Daffy«, nur Daffy nicht - Jennifer Mai


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wird. Ich erzähle den beiden mit einem dumpfen Bauchgefühl, dass eventuell ab März ein vierter Mitbewohner bei uns leben wird. Beide reagieren verhalten, denn auch sie haben kaum Erfahrung mit Hunden. Also beschließe ich: Erst mal hinfahren und gucken.

      Gesagt, getan.

      Am 4. Dezember 2014 komme ich in Berlin an. Ich stehe am Busbahnhof und nichts passiert. Es ist schweinekalt und ich habe keine Telefonnummer von wem auch immer. Nach zehn Minuten rufe ich in der Schule direkt an, doch niemand nimmt ab. Nach zwanzig Minuten bin ich so wütend, dass ich am liebsten in den nächsten Bus zurück nach Göttingen steigen möchte. Ganz tolle hochgelobte Stiftung! Was soll das eigentlich? Nach einer halben Stunde in der Eiseskälte ist sie endlich da: Daffy! Natürlich ist sie nicht allein.

      „Sie sind Frau Mai, oder?“

      Das war doch die Stimme von Antoine! Nicht im Ernst … Jetzt krieg ich den Auszubildenden von damals? Diesen Anfänger? Warum denn ich? „Sieht wohl so aus, oder?“, antworte ich wütend.

      „Das ist ja so unübersichtlich hier“, höre ich den jungen Mann sagen. „Ich habe schon eine andere Frau angesprochen, die etwas Langes in der Hand hatte, doch dann habe ich gesehen, dass es ein Besen war.“

      Oh nein, was für ein Idiot!

      Wer hätte zu dem Zeitpunkt gedacht, dass dieser inzwischen vollständig ausgebildete Trainer meine große Liebe werden und mich mehr Nerven, schlaflose Nächte und Tränen kosten würde, als Daffy es mit ihrer Dickköpfigkeit je könnte. Mein erster Gedanke, als Daffy mich an der Hand stupst: Oh, ist die flauschig! Ganz untypisch für einen Labrador. Normalerweise haben die ja dieses kurze Fell, das mich immer ein bisschen an Nadeln erinnert.

      Wir fahren zum Standort der Schule, wo ich für zwei Nächte in einem Gästezimmer untergebracht werden soll. Wir kommen ins Gespräch und ich erfahre, dass ich quasi die letzte Chance für Daffy bin, denn sie war ursprünglich für jemand anderen bestimmt, bei dem sie auf keinen Fall bleiben wollte. Dies verdeutlichte sie durch puren Ungehorsam, Weinen, sobald Antoine das Haus verließ, Zerfetzen von Kopfkissen und vieles mehr.

      Mir ist mulmig. „Na toll! Ich krieg euren Sondermüll?“, rufe ich entsetzt aus.

      Antoine fängt lauthals an zu lachen und versichert mir – ganz Geschäftsmann –, dass Daffy der tollste und schönste Hund aus der gesamten Zucht sei und wie schwer es ihm falle, sein „Baby“ wieder abzugeben.

      Na klar sagt der das, der Hund muss ja vermittelt werden, überlege ich bitter.

      Wir plaudern während der ganzen Fahrt, und schon bald ist mein anfänglicher Ärger wie weggeblasen. Ich beziehe mein Zimmer mit eigenem Bad und anschließend machen wir einen kleinen Spaziergang. Als wir in die Residenz der Stiftung zurückgekehrt sind, setzen wir uns zusammen. Sowohl Antoine als auch seinem Chef, Herrn Geiger, fällt auf, dass Daffy von sich aus direkt neben meinem Stuhl liegt und nicht bei einem von ihnen. Natürlich freue ich mich sehr darüber, und trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob dies nicht einfach nur schöne Worte sind, die ich gerne hören möchte.

      Ich stelle alles auf den Kopf. Angefangen mit der Frage, ob ich bitte eine vernünftige Kaffeetasse kriegen könne, denn diese kleinen Dinger seien so schrecklich vornehm und nach zwei Schlucken doch schon leer. „Ich weiß, ich bin zwar nicht in der Position, aber können wir nicht einfach Du sagen?“, frage ich die Anwesenden.

      Die erste Nacht ist sehr unruhig. Daffy kommt immer wieder an mein Bett und leckt mir über die Hand, als ob sie überprüfen möchte, ob ich noch da bin. Für uns beide gibt es hier viele fremde Geräusche. Ich bin sehr unsicher, habe ich doch noch die geräuschempfindliche Gin im Ohr. Doch Daffy ist einfach nur eine coole Socke. Es poltert und bellt von unten, denn es sind gerade acht Wochen alte Welpen da, doch das stört sie in keiner Weise.

      Am nächsten Morgen geht es mit einer Gassirunde und der Arbeit im Geschirr los. Ich stelle fest, dass Daffy sich ungern die Kenndecke für den Freilauf oder das Geschirr anziehen lässt. „Was ist denn nur los? Hat sie Angst vorm Arbeiten?“, frage ich alarmiert.

      „Nein!“, bekomme ich zur Antwort. „Wir können nur mutmaßen. Wahrscheinlich hat sie irgendwann einmal die Kenndecke ins Auge oder das Geschirr ins Gesicht bekommen. Natürlich unbeabsichtigt, aber Madame muss es sich gemerkt haben.“

      Wir fahren nach Friedrichshagen und laufen ein paar Sträßchen entlang. Es ist ein tolles Gefühl, wieder mit einem Hund zu gehen. Man bleibt nirgends mit dem Stock hängen, alles fliegt an einem vorbei. Daffy läuft ziemlich schnell und ich kriege Wadenkrämpfe.

      Antoine freut sich. „Ich hab sie extra wieder schneller trainiert, damit du immer rechtzeitig zur Uni kommst.“

      „Schönen Dank auch“, erwidere ich grimmig und massiere mir die brennende rechte Wade. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich überhaupt in der Lage bin, mich artgerecht um Daffy kümmern zu können. Antoine spricht immer von „Das kannst du dann später so handhaben, wie du willst, welche Bordsteinkanten sie dir anzeigen soll und welche nicht.“

      In meinem Bauch zieht es sich mehr und mehr zusammen. Gibt es ein Später? Will ich das nach Gin wirklich noch einmal riskieren? Daffy macht ihre Sache super. Ampeln und überhaupt fast alles belohne ich mit Leckerlis, aber nicht, weil Antoine das von mir erwartet, sondern weil ich es möchte.

      Nach getaner Arbeit gehen wir in den Park und lassen Daffy laufen. Es ist eine wahre Freude, ihr beim Rennen und Toben zuzusehen! Sie schlägt Purzelbäume und angelt sich die dicksten Stöcke. Antoine merkt allerdings, dass mich etwas bedrückt. „Was ist los?“, fragt er.

      „Also … ich weiß auch nicht … Daffy ist zuckersüß und toll … Aber ich habe das Gefühl – oder ist es eher Angst? –, dass ich ihr nicht gerecht werden kann.“

      „Mach dir keine Sorgen. Mit der Zeit werdet ihr euch aufeinander einstellen. Jeder wird merken, wie der andere tickt. Und du wirst spüren, wenn es ihr nicht gut geht.“

      Nachmittags allerdings werden die Zweifel stärker. Ob ich diesem lieben Hund während meines Uni-Alltags überhaupt gerecht werden kann. Vergangenes Semester ging mein Montag von zehn bis neunzehn Uhr dreißig, mit zwei Stunden Pause dazwischen, von denen ich schon zwanzig Minuten je Strecke nach Hause brauchte. Zudem bin ich megafaul und gammele bis zum Mittag im Bett rum, wenn nichts anderes anliegt. Wie passt da ein Hund in mein Leben? Ich heule und heule und heule, während Daffy neben meinem Bett schläft. Dann wird mir klar: Der Rat meiner Mama muss her!

      Eine halbe Stunde lang redet sie mir am Telefon gut zu. Sie sagt, dass es Daffy letztendlich egal ist, was gemacht wird, die Hauptsache ist, dass sie es mit mir zusammen machen kann. „Du wirst schon im Gefühl haben, was sie braucht und was nicht. Alles wird gut.“ Als ich ihr erzähle, dass Madame es sich heute Morgen in meinem Bett gemütlich gemacht hat, während ich kurz zur Toilette war, ist die Sache für sie sowieso klar. „Siehst du, die mag dich und wollte bei dir sein.“ Das bezweifle ich zwar, doch wahrscheinlich hat sie recht. Langsam beruhige ich mich.

      Nach dem Telefonat wecke ich Daffy, kraule ihre Ohren und rede leise mit ihr. Ich frage sie, ob sie Lust hat, ihr ganzes Leben mit mir zu verbringen. Und was tut sie? Sie setzt sich auf und schleckt mir einmal quer durchs Gesicht. Ich lache und weine gleichzeitig und stelle fest, dass nun auch mein Bauch eine Entscheidung getroffen hat.

      Antoine bemerkt sofort, dass sich etwas gravierend verändert hat. „Alles klar bei euch?“, fragt er vorsichtig.

      „Ja, super klar!“, sage ich und strahle ihn an. Für einen kurzen Moment ist die Professionalität vergessen und er erdrückt mich fast. „Was geht denn bei dir ab?“, frage ich und ringe nach Luft.

      „Ich war mir nicht sicher, wie du dich entscheiden würdest. Du warst so unsicher heute Morgen und ich möchte Daffy nur an jemanden geben, der ihr erstens gewachsen ist, denn vergiss nicht, sie ist nicht immer so kuschelig wie jetzt, und zweitens … Sie ist doch mein Baby – das erste Mädchen, das ich trainiert habe!“

      Weichei, denke ich, schmelze jedoch innerlich immer mehr dahin … Kaum kommen wir in der Stiftung an, trompetet Antoine gleich los: „Sie will sie! Sie will sie!“


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